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Analyse: Ein Blick auf die Mutter aller Krisen zeigt: Berlin ist nicht Weimar

Analyse

Ein Blick auf die Mutter aller Krisen zeigt: Berlin ist nicht Weimar

Simon Kaminski
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    Die Mutter aller Wirtschaftskrisen, die auch von einer schweren Krise des Staatshaushalts begleitet wurde: Tausende verzweifelte Menschen stehen im Juli 1931 vor dem Berliner Postscheckamt, um ihr Guthaben abzuheben.
    Die Mutter aller Wirtschaftskrisen, die auch von einer schweren Krise des Staatshaushalts begleitet wurde: Tausende verzweifelte Menschen stehen im Juli 1931 vor dem Berliner Postscheckamt, um ihr Guthaben abzuheben. Foto: dpa (Archivbild)

    Gefühlt ist die aktuelle Krise meistens die schlimmste. So wie jetzt gerade wieder. Nachdem die Zweite Kammer des Bundesverfassungsgerichts die arg kreative Haushaltsführung der Bundesregierung mit ihrem denkwürdigen Urteil vom 15. November förmlich zerschossen hat, geht die Angst um. Die Akteure der Ampelkoalition fürchten, dass Zukunftsprojekte gestrichen werden müssen und sich noch mehr Wählerinnen und Wähler abwenden. In der Bevölkerung wächst die Sorge, dass jetzt alles noch teurer wird oder der Kampf gegen den Klimawandel vernachlässigt wird. 

    Nicht einmal Haushalts- und Finanzexperten sind sich einig, welche Folgen das Urteil hat. Sicher ist jedoch, dass die Weltwirtschaftskrise die Deutschen 1929 mit einer ganz anderen Wucht traf. Der Depression, die der New Yorker Börsencrash auslöste, hatte die Wirtschaft der Weimarer Republik mit ihren erheblichen Strukturproblemen kaum etwas entgegenzusetzen. Der Agrarsektor war rückständig und der globalen Konkurrenz kaum gewachsen. Die Industrie litt unter chronischem Kapitalmangel. Zudem wirkte die Hyperinflation von 1923 nach. Die Lage schien hoffnungslos.

    Jürgen Falter: "Die Menschen in Weimar hatten weniger Zukunftsangst als Daseinsangst."

    „Davon sind wir weit weg. Die Institutionen der Bundesrepublik sind viel stabiler, das Demokratiebewusstsein in der Bevölkerung und in den Eliten ist stärker, die Tiefe der heutigen Krise ist ungleich geringer. Berlin ist nicht Weimar“, sagte der Politikwissenschaftler Jürgen Falter von der Universität Mainz im Gespräch mit unserer Redaktion mit Blick auf Politiker, die einen „Hauch von Weimar“ zu verspüren glauben. Es habe damals viel mehr Arme gegeben. Jede zweite Familie sei durch die Krise hart getroffen worden. „Die Republik litt an den Kriegsfolgen, musste Reparationen zahlen, hatte große wirtschaftsstarke Gebiete an Polen und Frankreich verloren. Nimmt man die verdeckte Arbeitslosigkeit hinzu, standen rund acht Millionen auf der Straße. Die Menschen in Weimar hatten weniger Zukunftsangst als Daseinsangst. Das verstärkte die weitverbreitete Ablehnung des Systems“, sagte Falter. 

    Zurück in die Gegenwart: In Berlin ist angesichts des 60-Milliarden-Lochs im Budget ein Streit entbrannt, ob Sparen, die Aufnahme neuer Schulden oder Steuererhöhungen den Weg aus der Krise weisen – beziehungsweise, wie diese Elemente gewichtet werden sollten. 

    Reichskanzler Brüning setzte alles auf ein Pferd: Eisernes Sparen

    Der damalige konservative Reichskanzler setzte alles auf ein Pferd: „Heinrich Brüning von der Zentrumspartei verfolgte einen eisernen Sparkurs, der sich am Ende als kontraproduktiv entpuppte, da er Verarmung und Arbeitslosigkeit beflügelte“, sagte Falter. Dem Reichskanzler sei es eher um ein Signal nach außen gegangen. Er habe den Siegermächten des Ersten Weltkriegs (1914–1918) vor Augen führen wollen, dass es trotz aller Anstrengungen nicht möglich sei, die Reparationen zu leisten. Falter: „Es ist die Frage, welchen Spielraum Brüning hatte, anders zu handeln. Sicher ist, dass die sich verschärfende Krise und die Arbeitslosigkeit der NSDAP nutzten.“ 

    Es gibt einen weiteren großen Unterschied. Brüning setzte sein rigides fiskalisches Sanierungskonzept am Reichstag vorbei durch – 1930 löste er das Parlament kurzerhand auf, um mit Notverordnungen zu regieren. Das wäre gut 93 Jahre später undenkbar – am Budgetrecht des Bundestags kommt keine Regierung vorbei. Reichskanzler Brüning konnte seine Rosskur dennoch nicht vollenden. Im Mai 1932 zwang ihn Reichspräsident Paul Hindenburg zum Rücktritt.

    Die Geschichte der Bundesrepublik kennt viele Haushaltskrisen

    Auch in der Geschichte der Bundesrepublik gab es schwere Finanzkrisen, die nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) Sanierungsprogramme auslösten, die – was das Volumen betrifft – durchaus mit dem vergleichbar sind, was heute nötig sein dürfte. Beispiel 80er-Jahre: 1981 schob die sozialliberale Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) ein ehrgeiziges Konsolidierungsprogramm an, um die Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen und Investoren zu stärken. Kernpunkt der Finanzierung des Programms waren Kürzungen. Doch Schmidts Regierung platzte im Herbst 1982. Sein Nachfolger Helmut Kohl führte den Sparkurs zunächst fort.

    Insgesamt zählt der IWF im Zeitraum 1978 bis 2014 exakt 16 Krisen, die mit Konsolidierungsprogrammen bekämpft wurden. Im Durchschnitt wurden diese mit über 60 Prozent durch Einsparungen und gut 30 Prozent Steuererhöhungen finanziert.

    Die psychologische Ebene der aktuellen Krise

    Für Jürgen Falter liegt das Alleinstellungsmerkmal der aktuellen Situation auf einer psychologischen Ebene: „Anders als Ende der 80er gibt es heute in Teilen der Bevölkerung angesichts der sich häufenden Krisen eine Art Untergangsstimmung. Jüngere blicken auf die Klimakrise und fürchten, dass die Welt untergeht. Ältere haben Angst, dass die Rente nicht sicher ist. Heute sind eher Zukunftsängste als Gegenwartsängste spürbar.“ 

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