Schon jetzt verfügt der chinesische Präsident Xi Jinping über eine Machtfülle, die auch für chinesische Verhältnisse exorbitant ist. Alles spricht dafür, dass sich Xi damit aber nicht zufriedengibt: Beobachter gehen davon aus, dass dem heute 68-Jährigen auf dem Parteitag der chinesischen KP im Herbst 2022 durch eine Resolution die Möglichkeit eingeräumt wird, zu einer dritten Amtszeit bis 2027 anzutreten.
Nachrichten, die in Taiwan mit Unbehagen verfolgt werden. Die Angst dort wächst, dass Xi alles daransetzen wird, die Insel als Präsident in sein Riesenreich zu integrieren – und damit einen aus seiner Sicht epochalen Erfolg zu erringen. Eine Gefahr, die auch den China-Experten Reinhard Bütikofer umtreibt: „In der Tat scheint Xi Jinping fest entschlossen, alles zu tun, um Taiwan auch gegen den Willen der Taiwanesen unter Kontrolle zu bringen. Möglicherweise auch mit militärischer Gewalt“, sagt der Politiker, der für die Grünen im EU-Parlament sitzt, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Bütikofer beobachtet seit zwei Jahren, dass „Peking große Anstrengungen unternimmt, den Status quo zu untergraben. Und zwar nicht nur mit militärischen Drohgebärden, sondern auch mit wirtschaftlichem und ökonomischem Druck“. Anfang Oktober donnerten an mehreren Tagen insgesamt rund 150 chinesische Flugzeuge durch Taiwans Luftraumüberwachungszone im Südwesten der Insel. Eine klare Provokation – auch wenn bisher keine Verletzungen des nationalen Luftraums der Insel gemeldet wurden, die zwölf Seemeilen vor der Küste beginnt. Die USA und Verbündete antworteten mit einer erhöhten Marine-Präsenz in der Seeregion.
Der Konflikt um den Status Taiwans hat eine lange Geschichte
Der Streit um Taiwans Status hat eine lange Geschichte. Während die Truppen der nationalchinesischen Kuomintang nach ihrer Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg gegen die Kommunisten unter Führung Mao Tse-tungs nach Taiwan flüchteten, wurde in Peking 1949 die kommunistische Volksrepublik gegründet. Taiwan entwickelte sich unter dem Namen "Republik China" über die folgenden Jahrzehnte zu einer Demokratie. Doch Peking pocht darauf, dass die Insel Teil des eigenen Territorium ist. Mit seiner Ein-China-Doktrin fordert Peking, dass kein Land diplomatische und andere offizielle Beziehungen zu der Inselrepublik unterhalten darf, wenn es ein normales Verhältnis mit der Volksrepublik pflegen will. Zwar erkennen nur wenige Nationen Taiwan als unabhängigen Staat an, aber politische und ökonomische Kontakte pflegen fast alle westlich geprägten Länder.
Die Frage, die in Brüssel und in der Nato diskutiert wird, ist, wie weit Peking gehen wird, um seinen Besitzansprüchen Nachdruck zu verleihen. Analysten sprechen bereits von einer Dauerkrise mit dem weltweit gefährlichsten Konfliktpotenzial. Schließlich hat US-Präsident Joe Biden zuletzt erneut versichert, dass er Taiwan im Falle einer militärischen Aggression Chinas beistehen werde.
Bütikofer verweist allerdings darauf, dass sich die USA in den letzten 50 Jahren nie klar dazu geäußert hätten, unter welchen Bedingungen eine militärische Unterstützung stattfinden könnte und wie sie aussehen würde. Es gebe keinerlei Automatismus. Die USA hätten China immer im Unklaren gelassen und damit signalisiert, dass Peking damit rechnen muss, sich mit den USA anzulegen, wenn es Taiwan angreift. „Trotzdem bin ich nicht der Meinung, dass man jetzt nur noch Schreckensszenarien diskutieren sollte. Denn die Entscheidung darüber, wie sich die Volksrepublik tatsächlich verhält, hängt auch daran, wie sich die internationale Gemeinschaft, wie wir uns verhalten“, sagt Bütikofer. China wolle eine Situation schaffen, in der Taiwan am Ende gar nichts übrig bleibt, als sich zu unterwerfen. „Wenn wir jetzt nur noch darüber diskutieren, wann es eine Invasion Taiwans geben könnte, dann werden wir ohne es zu wollen zu Mithelfern bei einer Propaganda, die lautet, für Taiwan gibt es sowieso nur noch eine Zukunft, nämlich unter Pekings Stiefel getreten zu werden.“ Bütikofer plädiert für eine andere Taktik: „Der Westen sollte China klarmachen, dass die politischen und ökonomischen Kosten für eine Aggression derart hoch wären, dass die Frage auftaucht, ob dadurch Chinas Aufstieg gefährdet werden könnte.“
Dass eine Verschmelzung mit Festlandchina unter den rund 24 Millionen Taiwanesen denkbar unpopulär ist – Bütikofer spricht von einer Zustimmung von unter fünf Prozent für dieses Modell – dürfte auch daran liegen, wie rücksichtslos China das demokratische System in Hongkong geschliffen hat. Aber auch in der Europäischen Union wächst angesichts der mitunter schrillen Rhetorik aus China die Bereitschaft, gegenzuhalten, ohne unnötig Feuer ins Öl zu gießen. „Die große Mehrheit im EU-Parlament – darunter auch ich – will nicht, dass die Situation in der Straße von Taiwan gegen den Willen der taiwanesischen Bevölkerung verändert wird.“ China unterstelle, dass Europa eingeräumt hat, dass Peking im Zuge der Ein-China-Politik im Zweifel das Recht auf eine militärische Option habe. "Das hat Europa aber nie getan. Unsere Position ist immer gewesen, wenn es zu einer Vereinigung kommt, dann friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen.“
Taiwan hat sich international Respekt erworben
Taiwan selber hat nach der Überzeugung von Bütikofer in den letzten Jahren selbst dazu beigetragen, dass es an internationaler Aufmerksamkeit und Respekt gewonnen hat. Das Land sei im Westen lange als kleine, schwache demokratische Insel wahrgenommen worden, die um Unterstützung bittet. "Das hat sich geändert. Taiwan hat etwas zu bieten, wie die weltweit wichtigste Produktion von Halbleitern, aber auch progressive Gesetze oder eine effektive Corona-Politik und natürlich eine freiheitliche Demokratie.“