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Analyse: Die Wahlen in Nigeria werden zum Ritt auf der Rasierklinge

Analyse

Die Wahlen in Nigeria werden zum Ritt auf der Rasierklinge

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    Kurz vor der Wahl erlebt Nigeria eine Energiekrise. Vor den Tankstellen bilden sich kilometerlange Schlangen.
    Kurz vor der Wahl erlebt Nigeria eine Energiekrise. Vor den Tankstellen bilden sich kilometerlange Schlangen. Foto: Olukayode Jaiyeola, imago images

    Afrika steht kurz vor der größten demokratischen Wahl in der Geschichte des Kontinents – wenn die Nigerianerinnen und Nigerianer am 25. Februar denn tatsächlich per Stimmzettel darüber entscheiden können, wer neuer Präsident des Landes wird. Zuletzt wuchsen die Befürchtungen, dass wachsende Spannungen ein Votum der Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt unmöglich machen könnten.

    „Die Frage, ob die Wahlen verschoben werden, stellt sich fast jeden Tag neu. Die Lage ändert sich in kürzester Zeit“, sagt Marija Peran im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Hauptstadt Ajuba war vor wenigen Tagen im Land unterwegs: „Ich fuhr an kilometerlangen Schlangen vor Tankstellen vorbei.“ Dass Benzin in dem erdölreichen Nigeria knapp ist, klingt wie ein schlechter Witz. Der Hintergrund ist, dass keine der Raffinerien in Betrieb ist. Die Folge: Veredelte Erdölprodukte, wie eben Benzin, müssen importiert werden.

    Der Austausch von Banknoten läuft völlig aus dem Ruder

    Fast noch größere Auswirkungen hat ein völlig aus dem Ruder gelaufener Austausch von Banknoten. „Die Geldmarktpolitik ist völlig chaotisch. Große Scheine der Währung Naira werden ersetzt. Jetzt herrscht Mangel an Bargeld“, sagt Peran. Dazu muss man wissen, dass die Bürgerinnen und Bürger überwiegend „Cash“ bevorzugen. Aus Verzweiflung wird Wut. Zuletzt häuften sich die Meldungen von Gewalt gegen Bankangestellte. Warum der Austausch ausgerechnet in der Wahlkampfzeit vorgenommen wird, sorgt für wilde Spekulationen. Die Nerven liegen auch blank, weil sich das Land in der nun dritten Rezession innerhalb von nur acht Jahren befindet. Dabei hatte sich die Wirtschaft zwischenzeitlich etwas erholt.

    Doch jetzt geht es wieder bergab, die allgegenwärtige Korruption lähmt die Ökonomie zusätzlich. Marija Peran hat eine Zahl parat, die das Desaster auf den Punkt bringt: „2021 lebte die Hälfte der Nigerianer unter der absoluten Armutsgrenze, heute sind es bereits zwei Drittel.“ Da überrascht es nicht, dass viele Nigerianer mit Wehmut an die 70er und 80er Jahre zurückdenken, als ein wirtschaftlicher Aufschwung mit gewaltigen Bauprojekten für Aufbruchstimmung sorgte. Bitter zu wissen, dass das Potenzial der noch immer nominal wirtschaftlich stärksten Nation in Afrika nach wie vor da ist, aber nur völlig ungenügend ausgeschöpft wird. Zunehmend bedrohlich sind auch die Auswirkungen des Klimawandels und der in einigen Gebieten katastrophalen Umweltverschmutzung. 

    Neben der angespannten Sicherheitslage und der Wirtschaftskrise leidet Nigeria auch unter Umweltverschmutzung durch Ölhavarien.
    Neben der angespannten Sicherheitslage und der Wirtschaftskrise leidet Nigeria auch unter Umweltverschmutzung durch Ölhavarien. Foto: Marten van Dijl, dpa (Archivbild)

    Hinzu kommt eine sich seit Jahren stetig verschärfende Sicherheitslage, der schlecht ausgebildete und überforderte Sicherheitskräfte nicht Herr werden. Die Ursachen sind vielfältig. Konflikte zwischen den Ethnien und Religionen, blutige Anschläge im Nordosten des Landes durch den IS-Ableger Iswap sowie kriminelle Banden, die Kidnapping als sprudelnde Geldquelle entdeckt haben – bei sogenannten „Expressentführungen“ werden die Opfer gegen die Zahlung eines überschaubaren Lösegeldes nach meist nur wenigen Tagen wieder freigelassen.

    Besonders stark von Gewalt und Anschlägen betroffen sind Christen, die etwa 100 Millionen der rund 220 Millionen Nigerianer stellen. Das christliche Hilfswerk Open Doors hat das Land im aktuellen Weltverfolgungsindex auf Platz 6 der für Christen am gefährlichsten Länder gelistet. Im Juni 2022 erschütterte ein Anschlag auf eine Kirche mit 50 Toten die christlichen Gemeinden. 

    Es geht um die Frage, welcher Kandidat das Land stabilisieren kann

    Kaum verwunderlich, dass es im Wahlkampf weniger um fein ziselierte Wahlprogramme geht, sondern im Fokus der Wähler steht, welcher der drei aussichtsreichen Kandidaten in der Lage sein könnte, das Land aus seiner Dauerkrise zu holen. Sicher ist, dass Amtsinhaber Muhammadu Buhari – ein Muslim – nach zwei Wahlperioden verfassungsgemäß nicht mehr kandidieren wird. Die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllte Buhari nicht. Peran sieht Bola Tinubu von der Regierungspartei APC als Favoriten. Er, ebenfalls Muslim, sei erfahren und gut vernetzt. Allerdings wirke er mit seinen – nach eigenen Angaben – 70 Jahren auch „etwas tatterig“. So fürchten nicht wenige Nigerianer, dass ihm die Kraft fehlt, das schlingernde Land wieder auf Kurs zu bringen. Ebenfalls Chancen werden Atiku Abubakar von der größten Oppositionspartei PDP eingeräumt. Auch er ist muslimischen Glaubens.

    Anders als Tinubu und Abubakar wirbt Peter Obi mit durchgreifenden Reformen. „Er hat unter den Jüngeren in den Städten viele Anhänger. Allerdings tritt er für die Labour Partei an, die kaum Einfluss im Land hat“, taxiert Peran die geringen Chancen für den Außenseiter. Dabei wäre jetzt nach dem ungeschriebenen und oft politisch lähmenden Proporz-Gesetz wieder ein Christ im höchsten Staatsamt an der Reihe. „Dass sich Tinubu und Abubakar von diesem Prinzip offensichtlich abwenden, könnte nach der Wahl für Konflikte sorgen“, fürchtet die Expertin. Voraussagen über den Wahlausgang werden dadurch erschwert, dass die tendenziell sinkende Wahlbeteiligung weiter bröckeln könnte. Sorge vor Manipulationen und Gewalt am Wahltag dürften viele Bürger dazu bringen, am 25. Februar zu Hause zu bleiben.

    Marij Peran von der Konrad-Adenauer-Stiftung glaubt an die Zukunftschancen Nigerias

    Trotz aller Unwägbarkeiten glaubt Peran an die Zukunftschancen des Landes, das sich 1960 endgültig von der britischen Kolonialmacht löste: „Nigeria ist ein Land der Gegensätze. Auf der einen Seite Chaos und Niedergang, auf der anderen ein großes Reservoir an talentierten jungen IT-Experten, eine boomende Film-, Mode- und Musikbranche. Dazu humorvolle Menschen mit bewundernswertem Optimismus – trotz allem.“ 

    Peran ist sich sicher, dass das in Nigeria beliebte Deutschland gut beraten ist, endlich aktiver zu werden. Sonst werde man das Nachsehen haben. „Es fehlt eine langfristige Strategie. Während in Deutschland gerne auf fehlende Rechtssicherheit in Nigeria verwiesen wird, legen Unternehmen aus den USA oder chinesische Investoren los – sie sind viel pragmatischer und flexibler. Das kommt in Nigeria gut an.“ Deutschland müsse in Nigeria politisch sichtbarer werden, mehr wissenschaftliche Austauschprogramme auflegen.

    „Nach UN-Prognosen wird Nigeria 2050 mit rund 450 Millionen Menschen nach Indien und China das Land mit der weltweit drittgrößten Einwohnerzahl sein. Ein Markt der Zukunft“. Und ein politischer und geostrategischer Faktor – ob im guten oder im schlechten Sinne.

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