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Analyse: Die EU verliert wertvolle Zeit im Kampf gegen den Klimawandel

Analyse

Die EU verliert wertvolle Zeit im Kampf gegen den Klimawandel

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    Mit dem Beschluss der EU ist das Ende des Verbrenners so gut wie besiegelt. Andere Umweltfragen wurden hingegen abgeschmettert.
    Mit dem Beschluss der EU ist das Ende des Verbrenners so gut wie besiegelt. Andere Umweltfragen wurden hingegen abgeschmettert. Foto: Marijan Murat, dpa

    Es ist drei Jahre her, seit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von ihrem „Green Deal“ als Europas „Mann-auf-dem-Mond-Moment“ schwärmte. Vergangenen Sommer dann stellte sie das „Fit for 55“-Paket vor, das weltweit bislang umfangreichste Klima-Gesetzesvorhaben, mit dem die EU ihren Treibhausgas-Ausstoß bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 senken und bis 2050 klimaneutral werden will. Es war, um im Bild zu bleiben, die Zündung der Rakete. Doch seit die Vorschläge im an Tempo eingebüßt.

    Monatelang wurde verhandelt, doch insbesondere beim Kernstück des Klimapakets konnte man sich auf keinen Konsens einigen. So lehnte die Mehrheit der Europaabgeordneten am Mittwoch den Entwurf zur Reform des europäischen Emissionshandels (ETS) ab. Bei der Abstimmung ging es darum, ob der Handel mit CO2-Zertifikaten auf die Bereiche Straßenverkehr und Gebäude ausgeweitet werden soll. Zwar ist das Instrument damit nicht vollends gescheitert, muss aber zurück in den zuständigen Ausschuss. Die Verabschiedung des gesamten Pakets wird sich so unweigerlich verzögern, was auch Auswirkungen auf andere Gesetze hat.

    Klimaschutz ja, aber bitte vor allem für die anderen

    Alles hänge mit allem zusammen, hieß es von der Kommission bei der Vorstellung des Gesetzesbündels. Die Verknüpfungen stellen sich spätestens jetzt als Problem heraus. Denn die Überarbeitung kostet Zeit – Zeit, die der Planet nicht hat. Gleichwohl ist es richtig, sich auf eine ehrgeizige ETS-Reform zu einigen. Jetzt ist der Moment, Mut zu zeigen anstatt Symbolpolitik zu betreiben und Ambitionen auf Kosten des Klimas abzuschwächen. Vor zweieinhalb Jahren rief das EU-Parlament mit großer Mehrheit den Klimanotstand in Europa aus. In diesem Sinne muss es nun auch liefern und nicht dem Druck der Wirtschaft nachgeben. Seit Monaten malen Lobbyisten, ob Autobauer, Stahlproduzenten oder Industrieverbände, in düsteren Farben die wirtschaftliche Apokalypse aus und peitschen Parlamentarier gegen die ehrgeizigen Ziele auf. Ganz nach dem Motto: Klimaschutz ja, aber bitte vor allem für die anderen.

    Fast schon erleichtert nahmen hingegen zahlreiche Abgeordnete das Ergebnis einer anderen Schlüsselabstimmung auf. Das Aus des klassischen Verbrennungsmotors ist seit dieser Woche im Grunde besiegelt. Ab 2035 dürfen Hersteller dem Klima zuliebe nur noch Elektrofahrzeuge auf den Markt bringen. Das De-facto-Verbot des Verbrenners gehört zu den tragenden Säulen des Grünen Deals. Bedeutet das nun wirklich die Katastrophe für die Automobilindustrie, wie einige Gegner lautstark warnen? Mitnichten. Autos und leichte Nutzfahrzeuge wie Kleintransporter machen in der EU die Hälfte der Verkehrsemissionen und 15 Prozent der gesamten Treibhausgas-Emissionen aus – Verschmutzungen, die von einer aus der Zeit gefallenen Technologie stammen. Außerdem ist es nicht nur alternativlos, die EU aus der fossilen Abhängigkeit zu befreien. Die Wirtschaft erhält auch bis 2035 mehr als ausreichend Zeit, um sich vorzubereiten. Hinzu kommt, dass in all dem Getöse untergeht, dass die Politik der Wirtschaft ohnehin hinterherhinkt. Autohersteller haben ihre Strategien längst auf den Elektroantrieb ausgerichtet. Deshalb ist der Aufruhr angesichts des Verbrenner-Verbots überspannt, auch wenn einzelne Sektoren leiden werden, etwa wenn Firmen auf Getriebe spezialisiert sind und sich nun neu erfinden müssen.

    Die Komplettumstellung könnte viele Arbeitsplätze kosten

    Laut Schätzungen von Europas Verband der Automobilzulieferer Clepa wird die Komplett-Umstellung auf Elektrofahrzeuge eine halbe Million Arbeitsplätze in der EU kosten, vor allem bei Zulieferern. Zugleich aber würden bei der Produktion von Elektroantrieben und Batterien 230.000 neue Stellen entstehen. Als Ergebnis droht deren Rechnungen zufolge ein Verlust von 275.000 Jobs bis zum Jahr 2040. Dementsprechend werden viele kleine und mittelgroße Betriebe ohne Frage vor Herausforderungen gestellt werden.

    Bei den Autos immerhin herrscht Klarheit. Anders sieht es bei Spritpreisen, Heizkosten oder CO2-Abgaben aus. Hier wird weiterhin erbittert gestritten. Und einige Pfeiler des Grünen Deals könnten gefährlich wackeln angesichts des Kriegs in der Ukraine und der hohen Energiepreise, unter denen Bürger sowie Industrie ächzen. Ausgerechnet in dieser unsicheren Lage muss die EU das größte Klimapaket in ihrer Geschichte festzurren. Dabei geht in den Hauptstädten längst die Sorge um vor Massenprotesten nach dem Vorbild der Gelbwesten in Frankreich.

    Reicht der geplante 72 Milliarden Euro schwere Sozial-Klimafonds aus, um einkommensschwache Haushalte zu unterstützen, wenn sie ihre Häuser renovieren oder den Umstieg aufs E-Auto planen? Es besteht die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten bei den Klimazielen einknicken, wenn der Volkszorn angesichts hoher Inflation, gestiegener Spritpreise oder mehr Arbeitslosigkeit überkocht.

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