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Analyse: Die Ampel ist urlaubsreif: Warum das Kanzleramt besonders im Fokus steht

Analyse

Die Ampel ist urlaubsreif: Warum das Kanzleramt besonders im Fokus steht

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    Bundeskanzler Olaf Scholz.
    Bundeskanzler Olaf Scholz. Foto: Markus Schreiber, AP/dpa

    Nur der Roboter schwitzt nicht: Das gelbe Maschinenwesen hat vier Beine wie ein Hund und einen Schwanenhals. Unermüdlich pickt es rote Äpfel vom grünen Kunstrasen und legt sie in ein Körbchen auf seinem Rücken. Es ist noch heiß am Donnerstagabend in Berlin, Politikerinnen im Sommerkleid nippen an Gin-Cocktails aus dem Schwarzwald. Abgeordnete haben das Sakko abgelegt und laben sich an Maultaschen mit gebräunten Zwiebeln. Feste wie die "Stallwächterparty" der baden-württembergischen Landesvertretung markieren für gewöhnlich den Übergang vom ernsten Politikbetrieb in die leichte Zeit, in der auch der Bundestag Urlaub macht. In diesem Jahr ist zwar der Himmel blau, doch die Stimmung bewölkt. Fasziniert starrt ein erfahrener Parlamentarier aus dem Ländle auf den wuselnden, autonom arbeitenden Fallobst-Sammler, der schwäbischen Erfindergeist demonstrieren soll. Und raunt: "So was müsste es für die Politik geben."

    Der Haushalt sorgt für neuen Ampel-Groll

    Aufgaben für einen Polit-Roboter gäbe es in der Ampelkoalition gerade viele, tief zerrissen geht sie in die Sommerpause, zuletzt konnten SPD, Grüne und FDP sich kaum mehr auf gemeinsame Linien verständigen. Im Volk schwindet die Zustimmung. Besserung scheint nicht in Sicht, im Gegenteil: Die Sparmaßnahmen im Haushaltsentwurf, den Finanzminister Christian Lindner (FDP) nach langem Streit vorgelegt hat, vertiefen den Groll nur noch. Die SPD droht an, das Papier genau auf soziale Ungerechtigkeiten hin zu durchforsten, das letzte Wort sei nicht gesprochen. 

    Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus spricht bei einer Pressekonferenz.
    Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus spricht bei einer Pressekonferenz. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Das sieht auch die grüne Familienministerin Lisa Paus so, die weiter bis zu zwölf Milliarden Euro für die geplante Kindergrundsicherung fordert. Aufgeschrieben hat Lindner aber nur zwei. Dass Paus postwendend die Einkommensschwelle für das Elterngeld auf 150.000 Euro pro Jahr und Paar herabsetzte, wirkt wie der Versuch, es dem liberalen Kollegen so richtig heimzuzahlen. Denn unter den gut verdienenden Müttern und Vätern, die künftig nach der Geburt eines Kindes keine Auszeit mehr finanziert bekommen, dürften sich viele FDP-Sympathisanten finden. Treuherzig versichert Paus, Vorgaben Lindners hätten sie dazu gezwungen. Der betont die völlige Freiheit aller Ministerien, dort zu sparen, wo sie es für richtig halten. 

    FDP-Chef Christian Lindner: Der Staat müsse wieder lernen, mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger auszukommen.
    FDP-Chef Christian Lindner: Der Staat müsse wieder lernen, mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger auszukommen. Foto: Martin Schutt, dpa

    Blitz aus Karlsruhe trifft Habecks Heiz-Gesetz

    Mal entspannen nach all dem Wirbel, sich erholen, Abstand gewinnen – genau das empfiehlt am Abend zuvor Kanzler Olaf Scholz beim Hoffest der SPD seinem Regierungspersonal. Doch kaum haben die Gäste im Tipi am Kanzleramt bei Currywurst und Pils damit begonnen, sorgt ein Blitz aus Karlsruhe für Ernüchterung. Das Bundesverfassungsgericht stoppt das umstrittene Heizungsgesetz. Am ursprünglichen Entwurf aus der Feder des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck hatten auch SPD und vor allem FDP so heftige Kritik geübt, dass sich das Bild einer kaum mehr zu Kompromissen fähigen Koalition verfestigte – mit einem Kanzler an der Spitze, der seinen Laden nicht mehr im Griff hat. 

    Wolfgang Schmidt (SPD), Chef des Bundeskanzleramts.
    Wolfgang Schmidt (SPD), Chef des Bundeskanzleramts. Foto: Kay Nietfeld

    Wenn es um die Frage der Verantwortung geht, wird auch in Ampel-Kreisen oft vielsagend über die Bäume des Tiergartens in Richtung Kanzleramt gedeutet. Das Problem, so heißt es, liege aber nicht bei Scholz, sondern bei dessen Amtschef und SPD-Genossen Wolfgang Schmidt. Dem fällt eigentlich die Rolle der "Kompromissmaschine" zu, die im Hintergrund aus drei oft weit auseinanderklaffenden Meinungen der Ampel-Partner Lösungen formen soll, mit der alle leben können. Doch nun entstehe immer häufiger der Eindruck, dass dieser Apparat ins Stottern gekommen ist. Absprachen ließen oft zu viel Auslegungsspielraum oder hielten nicht lange. Viele wünschen sich vom Kanzler, dass er die Zügel stärker selbst in die Hand nimmt. 

    Bei den Wahlen in Bayern und Hessen droht Ungemach

    Gerade mal drei Monate bleiben, die in Hessen mauen und in Bayern katastrophalen Umfragewerte vor den Landtagswahlen noch in Richtung glimpflicher Ergebnisse zu drehen. Die FDP muss jeweils sogar um den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde bangen. Wie sehr die Nerven in der Ampel blank liegen, zeigt ein Vorfall am Freitag im Bundestag. Als die Union Wirtschaftsminister Habeck in Sachen Heiz-Gesetz in den Bundestag zitieren will, rastet der SPD-Abgeordnete Michael Schrodi aus, beschimpft einen Schriftführer und Abgeordnete von CDU und CSU unflätig. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas brummt ihm ein Ordnungsgeld von 1000 Euro auf. 

    Die Ampel ist urlaubsreif. Soll das Chaos im Herbst nicht nahtlos weitergehen, sind in den kommenden Wochen viele Gespräche nötig, um die schwelenden Konfliktherde zu löschen. Ein Streit-Apfel nach dem anderen müsste ins sichere Kompromiss-Körbchen. Doch Roboter, die diese Art politischer Fleißarbeit erledigen könnten, gibt es noch nicht.

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