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Analyse Türkei-Wahl 2023: Entscheiden Deutschtürken die "Schicksalswahlen"?

Wahlen in der Türkei

Deutschtürken könnten die "Schicksalswahlen" am Bosporus entscheiden

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    Wahlberechtigte Türken gehen in das Generalkonsulat in Hamburg, um ihre Stimme für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei abzugeben.
    Wahlberechtigte Türken gehen in das Generalkonsulat in Hamburg, um ihre Stimme für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei abzugeben. Foto: Marcus Brandt, dpa

    Jubel schlägt Recep Tayyip Erdogan entgegen, als er mit seiner Frau am 8. Februar 2008 die Bühne in der Köln-Arena betritt. Rund 16.000 Anhänger des Präsidenten haben sich versammelt. Wochenlang hingen Plakate, die in türkischer Sprache für die Veranstaltung warben, an zentralen Punkten der Stadt. Alles andere als zum Jubeln war vielen deutschen Politikern zumute, als sie hörten, was Erdogan in der Stadt am Rhein gesagt hatte: Integration bedeute nicht Anpassung, „Assimilation“ sei ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Quintessenz der Rede, die wenige Wochen vor den Parlamentswahlen 2008 am Bosporus für Schlagzeilen sorgte: Ihr lebt zwar in Deutschland, ihr bleibt aber Türken. 

    Ein Motiv, dass er so oder ähnlich bei weiteren Auftritten in den folgenden Jahren wiederholte. Je autoritärer Erdogan und seine konservative Partei AKP in der Türkei agierten, je stärker in der Türkei die Freiheit der Medien und die Unabhängigkeit von Teilen der Justiz ausgehebelt wurde, desto größer wurde die Kritik in Deutschland daran, dass türkische Politiker ihren oft hitzig geführten Wahlkampf auf Deutschland ausweiteten.

    Die türkischstämmige CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler befürwortet die Auftrittsbeschränkungen für ausländische Politiker in Deutschland, wenn es um Wahlkämpfe in den jeweiligen Heimatländern geht.
    Die türkischstämmige CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler befürwortet die Auftrittsbeschränkungen für ausländische Politiker in Deutschland, wenn es um Wahlkämpfe in den jeweiligen Heimatländern geht. Foto: Johannes Neudecker, dpa

    Türkei-Wahlen 2023: Wahllokale für Wahlberechtigte in Deutschland geöffnet

    Aus türkischer Sicht gibt es seit 2014 unschlagbare Gründe, ihre Anhänger in Deutschland zu mobilisieren: Bei den damaligen Präsidentschaftswahlen durften zum ersten Mal Bürgerinnen und Bürger mit türkischem Pass in "Almanya" abstimmen. Zuvor war dafür eine Reise in die Heimat notwendig.

    Am 14. Mai steht die Türkei erneut vor "Schicksalswahlen" für das Präsidentenamt und das Parlament. In den meisten Umfragen liegt der Amtsinhaber knapp hinter dem aussichtsreichsten Herausforderer Kemal Kilicdaroglu von der stärksten Oppositionspartei CHP.

    Während es in der Türkei knapp 61 Millionen Wahlberechtigte gibt, sind im Ausland rund 3,4 Millionen stimmberechtigt. In Deutschland leben rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, darunter gut 1,4 Millionen türkische Staatsbürger, die an den Wahlen in der Türkei teilnehmen dürfen – knapp 170.000 davon wohnen in Bayern. Deutschtürken dürfen bereits seit Donnerstag in den konsularischen Vertretungen der Türkei wählen – die Frist endet am 9. Mai. 2018 gaben rund 50 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmen in Deutschland ab.

    "Es handelt sich diesmal um eine wirklich knappe Wahl, insofern können die Stimmen der Deutschtürken natürlich entscheidend sein", erklärt die türkischstämmige CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler im Gespräch mit unserer Redaktion, warum dieses Wählerreservoir für türkische Parteien so interessant ist.

    In der deutschen Politik herrscht seit einigen Jahren nahezu Konsens darüber, dass "der scharf geführte Wahlkampf in der Türkei nicht zu uns schwappen" dürfe, wie Güler formuliert. Allerdings sind die Möglichkeiten, für türkische Politiker in Deutschland auf Stimmenfang zu gehen, seit 2018 eingeschränkt: Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker sind drei Monate vor der jeweiligen Wahl verboten. "Ein richtiger Schritt", ist sich Güler sicher. 

    Weniger Wahlkampfauftritte von türkischen Politikern in Deutschland

    Tatsächlich beobachtet der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara, Walter Glos, dass es "gegenüber den letzten Wahlen nicht so viele Auftritte türkischer Politiker gegeben" habe. Das liegt jedoch nicht nur an Auftrittsbeschränkungen. "Dass es weniger und vor allem eher propagandistische Aktivitäten gegeben hat, hängt sicherlich auch mit den Auswirkungen des apokalyptischen Erdbebens zusammen. Alle Parteien haben da eher auf leisere Töne gesetzt und Solidarität gegenüber den vielen Opfern und Betroffenen gezeigt", sagte Glos unserer Redaktion. 

    Aktuell konzentrieren sich die Parteien auf Wahlwerbung im privaten Raum. Agitiert wird in türkischen Vereinen, Moscheen oder den Hinterzimmern von Cafés und Restaurants. Dass solche Veranstaltungen nicht immer nach rechtsstaatlichen Standards ablaufen, wird immer wieder vermutet. Wohl nicht zu Unrecht: Im Januar war bekannt geworden, dass ein Abgeordneter der Regierungspartei AKP bei einer Wahlkampfrede in einer Moschee in Neuss die Vernichtung von Anhängern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gefordert hatte.

    Türkei-Wahl: Insbesondere die AKP setzt im Wahlkampf 2023 auf soziale Medien

    Insbesondere die AKP nutzt intensiv die sozialen Medien, wie Instagram, Facebook oder Twitter, um Stimmen in Deutschland zu werben. Aus guten Gründen. Schließlich kam Erdogan 2018 hierzulande auf fast 65 Prozent – insgesamt lag er bei gut 52 Prozent. Auch jetzt hofft die AKP auf eine satte Mehrheit in Deutschland. Allerdings könnten die antidemokratischen Tendenzen und das hart kritisierte Management rund um die Hilfe nach der Erdbebenkatastrophe dieses Übergewicht schrumpfen lassen.

    Grundsätzlich gelten viele Deutschtürken als Anhänger Erdogans, da viele Familien, die in den 60er Jahren kamen, ihre Wurzeln in ländlichen Gebieten der Türkei haben. Dort – in Anatolien oder der Schwarzmeerregion – hat die AKP ihre treuesten Wähler. Ganz anders sieht es in den modernen und eher säkularen Metropolen Istanbul, Ankara oder Izmir aus.

    Serap Güler, die auf einen Machtwechsel in der Türkei setzt, will "die Deutschtürken immer wieder daran erinnern, dass sie mit den Konsequenzen, die ihre Wahl mit sich bringt, nicht leben" müssten. Sie sollten vielmehr auf Menschen in der Türkei hören, die "extrem unter der Inflation leiden – die natürlich auch mit politischen Entscheidungen der aktuellen Regierung zu tun hat".

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