Das Wort "Zeitenwende" benutzt er nicht. Und doch: Olaf Scholz, er trägt eine schwarze Krawatte als Zeichen der Trauer, verkündet am Donnerstagmorgen kurz nach 9 Uhr zum zweiten Mal in seiner Amtszeit eine tiefe Zäsur in der deutschen Politik. Vor 19 Monaten hatte er versprochen, die Ukraine nach Kräften gegen den russischen Angriffskrieg zu unterstützen und zugleich die eigenen Streitkräfte auf Vordermann zu bringen. Nun sagt er Israel im Bundestag volle deutsche Unterstützung gegen den brutalen Terror der Hamas zu.
Dem israelischen Botschafter Ron Prosor, der auf der Tribüne sitzt, versichert er: "In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz, den Platz fest an der Seite Israels." Der SPD-Politiker weiter: "Das meinen wir, wenn wir sagen, die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson". Wie zur Bekräftigung der Kanzler-Worte, kam am Donnerstagnachmittag die Meldung, dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) an diesem Freitag zu einem Solidaritätsbesuch nach Israel reist.
Schon jetzt ist klar: Dieses Bekenntnis könnte noch schwerer wiegen als die Versprechen an die Ukraine, außen- wie innenpolitisch. Das ist es, was Scholz ausdrücken will: Einer Zeitenwende im Verhältnis zu Israel bedarf es gar nicht erst. Denn für die Sicherheit der einzigen Demokratie im Nahen Osten fühlt sich Deutschland nicht erst seit dem 7. Oktober verantwortlich, dem Tag, an dem die Hamas-Terroristen das Land angriffen, mehr als 1200 Menschen niedermetzelten. Doch nun geht es darum, zu zeigen, was das deutsche Bekenntnis abseits feierlicher Reden wert ist.
Solidarität mit Israel bedeutet mehr als Worte
In seiner Regierungserklärung macht Scholz deutlich: "Unsere Solidarität erschöpft sich nicht in Worten." Er habe den israelischen Premier Benjamin Netanjahu gebeten, "uns über jeglichen Unterstützungsbedarf zu informieren. Etwa wenn es darum gehe, bei der Versorgung Verwundeter zu helfen. Doch auch "andere Unterstützungsbitten Israels" werde die Bundesregierung "unverzüglich prüfen und auch gewähren". Dem Vorwurf, zu zögerlich zu sein, den er etwa im Hinblick auf Waffenhilfe für die Ukraine zuletzt so oft gehört hat, will er sich im Falle Israels keinesfalls aussetzen.
Während der Kanzler im Bundestag spricht, ist die militärische Unterstützung bereits angelaufen: Die israelische Regierung hat um Munition für Kriegsschiffe gebeten. Angefragt wurden zudem Blutkonserven und Schutzwesten, darüber sei die Bundesregierung mit Israel im Austausch, so Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Bereits zuvor hatte sein Haus bestätigt, dass Deutschland Israel mit zwei Kampfdrohnen vom Typ Heron unterstützen wird. Die Bundeswehr hat fünf der aus Israel stammenden Drohnen geleast.
Im Unterschied zur Ukraine zu Kriegsbeginn verfügt Israel über eine der am besten ausgerüsteten Armeen der Welt. Mit Deutschland besteht eine langjährige Rüstungszusammenarbeit. Aktuell könnten vor allem Nachschub, Ersatzteile und Munition wichtig werden. Etwa für die von deutschen Werften gebauten Kriegsschiffe und U-Boote. Die sind mit ihrer Fähigkeit, Marschflugkörper abzufeuern – angesichts des vermuteten israelischen Besitzes von Atomwaffen – entscheidend für die Abschreckungsfähigkeit des jüdischen Staats.
Umstritten: Scholz trifft Emir von Katar
Der Kanzler berichtet den Abgeordneten, er stehe nicht nur mit den westlichen Verbündeten in engem Kontakt, sondern auch mit den Staatschefs von Ägypten und der Türkei. Sein noch am Donnerstag geplantes Treffen mit dem Emir von Katar, der als großer finanzieller Unterstützer palästinensischen Terrors gilt, verteidigte er gegen Kritik: "Alle drei können bei der Vermittlung und Deeskalation in der aktuellen Lage eine wichtige Rolle spielen." Etwa für die Freilassung israelischer Geiseln.
Scholz' Amtsvorgängerin Angela Merkel (CDU) war es, die 2008 im israelischen Parlament ein Versprechen gab, das sich aus dem durch Deutsche verübten millionenfachen Mord an Juden ergebe: "Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes." Anlässlich des 60. Geburtstags des Staates sagte sie unter dem Beifall der Knesset-Abgeordneten: "Die Sicherheit Israels ist für mich als Bundeskanzlerin niemals verhandelbar." Dazu hat sich die Ampel-Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich bekannt.
In Berlin feiern Palästinenser-Gruppen den Terror
Im Bundestag buchstabiert Olaf Scholz aus, was das bedeutet. Etwa einen Kurswechsel in den Beziehungen zum Iran. Denn: "Ohne iranische Unterstützung über die letzten Jahre wäre die Hamas zu diesen präzedenzlosen Angriffen auf israelisches Territorium nicht fähig gewesen." Zudem werde die Entwicklungshilfe für die palästinensischen Gebiete überprüft. Aber auch gegen die Feinde Israels im Inneren wolle er hart vorgehen. "Bilder von Männern und Frauen, die auf unseren Straßen den Terror der Hamas feiern, ihrem Hass gegen Israel und unsere jüdischen Mitbürger freien Lauf lassen", in Berlin oder Duisburg, nennt er "abscheulich". Die Sicherheitsbehörden würden das Prinzip "Null Toleranz gegen Antisemiten" mit aller Konsequenz durchsetzen. Dazu werde das Innenministerium etwa "ein Betätigungsverbot für die Hamas in Deutschland" erlassen und Vereine wie "Samidoun", dessen Mitglieder brutalste Terrorakte auf offener Straße feierten, verbieten.
Oppositionsführer Friedrich Merz sichert Scholz die volle Unterstützung von CDU und CSU für alle angekündigten Maßnahmen zu, fordert den Kanzler aber auf, auch ein Phänomen in den Blick zu nehmen, das dieser unerwähnt gelassen hat: Die Israelfeindlichkeit in Teilen des Kulturbetriebs. Der CDU-Chef spricht von "als Kunst getarntem Antisemitismus", der etwa auf der Kasseler Kunstmesse Documenta gezeigt worden sei. "Das ist nichts als widerlicher Judenhass", sagt Merz. "Kein deutsches Steuergeld für Israel-Hasser", diese Regel müsse künftig in allen Bereichen gelten.
In seltener Einstimmigkeit setzt der Bundestag anschließend ein Zeichen der Solidarität für Israel nach den Terrorangriffen der Hamas. Mit den Stimmen aller Fraktionen wird eine Erklärung angenommen, in der das Parlament die "barbarischen Gewaltakte" aufs Schärfste verurteilt und betont, es stehe "solidarisch und entschlossen an der Seite Israels".