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Analyse: Der argentinische Präsident Milei spielt mit dem Feuer

Analyse

Der argentinische Präsident Milei spielt mit dem Feuer

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    Der neue argentinische Präsident Javier Milei will sein Land mit einem radikalen Reformprogramm aus der Dauerkrise führen.
    Der neue argentinische Präsident Javier Milei will sein Land mit einem radikalen Reformprogramm aus der Dauerkrise führen. Foto: Guido Piotrkowski, dpa

    Für die einen ist er ein Heilsbringer, für die anderen der Zerstörer der argentinischen Demokratie: Javier Milei, der erste libertäre Ökonom im Amt des Staatspräsidenten, versucht in Rekordzeit das krisengeschüttelte Land zu reformieren. Und dass in einer Radikalität, die der einen Hälfte des Volks Angst macht, während die andere voller Hoffnung auf diesen Neuanfang setzt.

    Milei, der die Stichwahl im November mit elf Prozent Vorsprung gegen den Vertreter des linksperonistischen Regierungslagers Sergio Massa gewann, baut dabei auf die eigene noch frische Popularität und die Kraft des Wahlergebnisses. Die fehlenden Mehrheiten im Kongress und Senat will er notfalls mit einem Referendum umgehen, obwohl das verfassungsrechtlich hoch umstritten ist. Nun fahren zwei Züge aufeinander zu, die das Land auseinanderzureißen drohen.

    Javier Mileis Schocktherapie als Radikalkur gegen die Wirtschaftskrise

    Mileis Schocktherapie ist eine Radikalkur gegen die Wirtschaftskrise, die Argentinien seit Jahren fest im Griff hat: Per Dekret will der neue Präsident bis 2025 den Notstand verhängen, um insgesamt 350 geltende Gesetze zu ändern oder abzuschaffen. Die Deregulierung des Markts würde das Miet- und Arbeitsrecht, das Finanz- sowie das Rentensystem auf den Kopf stellen. Insgesamt 41 staatliche Betriebe sollen privatisiert werden, darunter die staatliche Fluglinie Aerolineas Argentinas. Rund 7000 Angestellte im öffentlichen Dienst, deren Vertrag ausläuft, werden nicht übernommen. Das libertär-konservative Lager wirft der Vorgängerregierung vor, Verwandte oder Parteifreunde mit Arbeitsverträgen ausgestattet zu haben. Die Argentinier sprechen vom sogenannten Phänomen der "Noquis", Angestellte, die nicht arbeiteten, sondern nur einmal im Monat am Zahltag am Arbeitsplatz erscheinen.

    Besonders laute Kritik gibt es an der Einschränkung für Streiks und Proteste auf der Straße. Die neue Regierung droht Demonstranten, die an Straßenblockaden teilnehmen, mit dem Entzug der Sozialhilfe. Über eine Telefonhotline können sich Bürger oder Anwohner beschweren, wenn sie sich durch die Demos in ihrer Mobilität beeinträchtigt fühlen. Laut offiziellen Angaben gingen nach den ersten Demonstrationen mehr als 20.000 Anrufe ein. 

    Die Gewerkschaften sprechen von "Kriminalisierung" von Protesten

    "Die neue Regelung der sozialen Proteste ignoriert eindeutig die grundlegenden verfassungsmäßigen Rechte und Garantien sowie die demokratischen Institutionen unseres Landes", verurteilten die Gewerkschaften die Anti-Protest-Maßnahmen. Die Initiative der neuen Regierung sei eine "klare und offensichtliche Entscheidung, Protest zu kriminalisieren". 

    Die bislang größten Proteste gab es in dieser Woche, nachdem die Gewerkschaften gegen die Reformpläne Mileis auf die Straße gegangen waren. Argentinien ist ein demonstrationsfreudiges Land, insbesondere die Gewerkschaften mobilisieren regelmäßig ihre Anhänger. Bisweilen kommt es dabei zu skurrilen Szenen: Der dem Peronismus nahestehende Sender CN5 berichtete live von den Protesten und interviewte Demonstrationsteilnehmende. Eine Frau erklärte ganz offen, sie sei heute in Vertretung da, worum es genau gehe, wisse sie eigentlich gar nicht.

    Längst nicht alle Arbeiter sind gegen die Reformpläne

    Wie gespalten das Land ist, zeigen zudem unzählige Videos in den Netzwerken, in denen sich Arbeiter von den Gewerkschaften distanzieren, weil sie sich nicht mehr vertreten fühlen. Sie sprechen sich für die Reformpläne aus. Dennoch haben die Gewerkschaften für den 24. Januar einen Generalstreik angekündigt. 

    Mit seinem Maßnahmenpaket will Milei die Probleme der argentinischen Wirtschaft grundlegend angehen. Nach Analysen der Katholischen Universität (UCA) lebten zum Ende des dritten Quartals rund 44,7 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Fast zwei Drittel der argentinischen Kinder und Jugendlichen bis 17 Jahren sind von Armut betroffen. Die Jahresinflation lag bei rund 160 Prozent. Milei hat der „Inflationssucht des Gelddruckens“, die für die schwere Krise verantwortlich sei, den Kampf angesagt. Er will sie mit einer Art „kaltem Entzug“ bekämpfen, dazu zählt die Aufgabe der Preisbindung, eine Abwertung des argentinischen Peso sowie eine deutliche Verschlankung des öffentlichen Dienstes.

    Was wirtschaftspolitisch in Teilen durchaus plausibel erscheint, muss allerdings auch überzeugen und die Menschen überzeugen. Sonst könnte aus den Protesten ein Flächenbrand werden. Als erste Konsequenz steigen die Preise in den argentinischen Supermärkten. Weil auch die Subventionen für den öffentlichen Nahverkehr aufgehoben werden, steigen hier ebenfalls die Preise. Die ohnehin unter der Krise leidenden Argentinier werden also erst einmal noch stärker zur Kasse gebeten. 

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