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Analyse: Chaos im einstigen Vorzeigeland Sri Lanka

Analyse

Chaos im einstigen Vorzeigeland Sri Lanka

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    Regierungsgegner am Swimmingpool des Präsidentenpalastes in Colombo. Der Hausherr Rajapaksa hat sich auf die Malediven abgesetzt.
    Regierungsgegner am Swimmingpool des Präsidentenpalastes in Colombo. Der Hausherr Rajapaksa hat sich auf die Malediven abgesetzt. Foto: Eranga Jayawardena, AP/dpa

    Wenn Demonstranten im Präsidenten-Pool baden und den Palast besetzt halten, während sich der Hausherr auf die Malediven abgesetzt hat, dann ist gründlich etwas schiefgelaufen. Im Falle Sri Lankas ist das noch eine Untertreibung. Der südasiatische Inselstaat ist ökonomisch und politisch am Boden. Der Niedergang begann nach dem Sieg der Regierungstruppen gegen Rebellen der tamilischen Minderheit im Jahr 2009 zunächst schleichend.

    Als zuletzt die Staatsverschuldung derart erdrückend wurde, dass Treibstoff, Gas, Medikamente und Lebensmittel knapp wurden, fegte eine Protestwelle durch das Land. Am Dienstag bejubelten viele Menschen die Nachricht, dass Präsident Gotabaya Rajapaksa, der seit 2019 regiert, das Land verlassen hat. Zuvor hatte er seine Demission lediglich angekündigt. Doch am Mittwoch war die Party-Stimmung jäh beendet. Ausgerechnet Premierminister Ranil Wickremesinghe ist vorübergehend zum amtierenden Staatschef Sri Lankas ernannt worden. Rajapaksa soll diesen Schritt autorisiert haben. In weiten Teilen der Bevölkerung wird Wickremesinghe für die schwerste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1948 mitverantwortlich gemacht.

    Ein Bild aus besseren Tagen: Der faktisch entmachtete Präsident Gotabaya Rajapaksa hat Sri Lanka verlassen. Sein offiziell schriftlich eingereichter Rücktritt steht allerdings noch aus.
    Ein Bild aus besseren Tagen: Der faktisch entmachtete Präsident Gotabaya Rajapaksa hat Sri Lanka verlassen. Sein offiziell schriftlich eingereichter Rücktritt steht allerdings noch aus. Foto: Eranga Jayawardena, AP/dpa

    Asien-Experte Wagner hofft auf Rücktritt von Rajapaksa

    Der Asien-Experte Christian Wagner von der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) hofft darauf „dass Präsident Rajapaksa in einem Schreiben ganz offiziell seinen Rücktritt erklärt. Das ist verfassungsrechtlich erforderlich. Dann gäbe es Klarheit und ein neuer Präsident könnte in den nächsten acht Tagen gewählt werden.“

    Dass der Premier als Nachfolger für Rajapaksa in Frage kommt, glaubt Wagner nicht. Allerdings könnte Wickremesinghe in Zukunft noch eine politische Rolle spielen. Sein Vorteil: „Er hat bereits mit dem IWF (Internationalen Währungsfonds, die Redaktion) über eine Entschuldung gesprochen und ist im Ausland bekannt. Er käme eventuell als Finanzminister in Frage“, sagte Wagner im Gespräch mit unserer Redaktion.

    Am Mittwoch setzten Polizisten Tränengas gegen Demonstranten in der de facto Hauptstadt Colombo ein.
    Am Mittwoch setzten Polizisten Tränengas gegen Demonstranten in der de facto Hauptstadt Colombo ein. Foto: Eranga Jayawardena, AP/dpa

    Sri Lanka hat den Ausnahmezustand ausgerufen

    Die Regierung hat am Mittwoch den Ausnahmezustand und eine Ausgangssperre ausgerufen. Dennoch gingen viele Tausend Männer und Frauen in Colombo erneut auf die Straße: Als die Menge nach der Erstürmung des Präsidentenpalastes in Colombo vom Wochenende sich nun auch vor dem Büro von Wickremesinghe versammelte und dessen Rücktritt forderte, setzten Sicherheitskräfte am Mittwoch Tränengas ein. Es gab Verletzte. .

    Wie konnte es so weit kommen, dass der einstige südasiatische Vorzeigestaat in ein solches Chaos abgeglitten ist? Das landschaftlich reizvolle Sri Lanka mit seinen 22 Millionen Einwohnern galt als Touristenmagnet, verfügte über eine gute Gesundheitsversorgung und trieb einen Ausbau der Infrastruktur voran.

    Schwer wiegt die finanzielle Abhängigkeit von China, die sich in den letzten Jahren immer weiter verschärft hat. Schwer wiegen aber auch die Fehler, die der Präsident und die Regierung zu verantworten haben. Da gab es gigantomanische Projekte, die sich als Geldvernichtungsmaschinen entpuppten: Darunter ein Flughafen, ein Seehafen sowie ein Kongresszentrum oder der Lotus-Tower in Colombo – ein 350 Meter hohes Sinnbild für Größenwahn und Verschwendungssucht. Weitreichende Folgen hatte ein Vorhaben, das auf den ersten Blick zukunftsweisend anmutet. Doch die Anweisung der Regierung, die Landwirtschaft auf rein organische Praktiken umzustellen, traf die Bauern im Mai 2021 ohne Vorwarnung. Hintergrund war die Absicht der Regierung, die knappen Devisen für Kunstdünger zu sparen. Die Folgen waren eine schwache Ernte und eine angespannte Versorgungslage.

    Nicht alle Probleme sind hausgemacht: Corona traf die Tourismus-Branche

    Doch nicht alle Probleme sind hausgemacht. „Corona hat Sri Lanka hart getroffen. Gerade als die Touristen nach dem Anschlag an Ostern 2019 mit 250 Toten wieder ins Land reisten, kam die Pandemie. Zudem flossen weniger Überweisungen von Sri Lankern aus dem Ausland“, sagt Wagner. „Jetzt ist es notwendig, dem Land in der unmittelbaren Notsituation zu helfen. Das ist logistisch so schwierig, weil nachhaltige Hilfen für eine Insel nur über die Häfen kommen können.“

    Doch entscheidend dürfte sein, ob es gelingt, Sri Lanka aus der Abwärtsspirale zu befreien. Klar ist, dass es internationale Hilfe nur geben wird, wenn es durchgreifende Reformen gibt. Mit heiklen Folgen, da ist sich SWP-Experte Wagner sicher. „Die Bedingungen des IWF werden zu weiteren Wohlstandsverlusten in der Bevölkerung führen. Die heikle Frage ist, wie die sozialen Einschnitte zwischen der singhalesischen Mehrheit im Süden und der tamilischen sowie der muslimischen Minderheit verteilt werden.“

    Indien und China haben geopolitische Interessen

    Auch Indien und China werden sich weiter im Land engagieren – allerdings mit klar umrissenen geopolitischen Zielen. Russland könnte billige Energie liefern. Und die EU? Sie könne nur versuchen, wirtschaftlich zu unterstützen, sagt Wagner. Schon jetzt werde Sri Lanka ein vereinfachter Marktzugang gewährt. Das Problem sei aber, dass die Wirtschaft des Landes „viel zu einseitig von Tee, Textilien und Tourismus abhängig ist“.

    Sollte es nicht gelingen, den Verfall des Landes zu stoppen, fürchtet Christian Wagner eine lang andauernde Instabilität, wie sie in Pakistan zu beobachten ist. Es bleibe nichts anderes übrig als zu hoffen, dass der institutionelle Weg zum Erfolg führt. „Ich war zweimal als Wahlbeobachter dort. Die Wahlen sind relativ frei und fair. Sri Lanka gehört zu den ältesten Demokratien in Asien.“

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