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Analyse: Das große Versagen des Westens in Hongkong

Analyse

Das große Versagen des Westens in Hongkong

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Am 1. Juli ist es 25 Jahre her, dass Hongkong an die Volksrepublik China ging. Seither wurden fast alle Freiheiten einkassiert.
    Am 1. Juli ist es 25 Jahre her, dass Hongkong an die Volksrepublik China ging. Seither wurden fast alle Freiheiten einkassiert. Foto: Kin Cheung, dpa

    Für die Mehrheit der Hongkonger wird es am Freitag ein trauriges Schauspiel sein, wenn zum 25. Jahrestag der Rückgabe ihrer Stadt an die Volksrepublik im Beisein von Staats- und Parteichef Xi Jinping die Kommunisten-Flagge feierlich gehisst und Chinas Nationalhymne gespielt wird. Denn den Hongkongern wurden in den vergangenen Jahren sämtliche Freiheitsrechte genommen: Versammlungs-, Rede- und Pressefreiheit. Dabei war Hongkong einst nicht nur für Banker, Unternehmer und Touristen aus aller Welt ein Lieblingsort, sondern auch für viele Bewohner der Volksrepublik, die einmal in freiheitlicher Luft durchatmen wollten.

    Die Feierlichkeiten machen das Scheitern einer völkerrechtlichen Vereinbarung deutlich, deren Abschaffung in einer Geschwindigkeit vonstattenging, die kaum jemand für möglich gehalten hatte – vor allem im Westen nicht. Dem gingen eine Reihe von Fehleinschätzungen voraus, für die nun die Hongkonger büßen müssen.

    150 Jahre währte die britische Kolonialherrschaft in Hongkong

    25 Jahre ist es her, dass Großbritannien nach über 150-jähriger Kolonialherrschaft Hongkong an China zurückgegeben hat. Der Rückgabe-Vertrag, den die britische Regierung mit der Führung in Peking damals aushandelte, sicherte der Stadt und ihren damals 5 Millionen Einwohnern ein hohes Maß an Autonomie zu. Sie würden ihr System, wie sie es unter britischer Kontrolle kannten, für 50 Jahre beibehalten dürfen.

    Nun, nach der Hälfte der Zeit, ist China nicht einmal mehr darum bemüht, sich an die Abmachung halten zu wollen. Schon in den Jahren vor 2020 hatte die Führung in Peking die Autonomie schrittweise ausgehöhlt, stets begleitet von heftigen Protesten in Hongkong. Schulen etwa sollten Patriotismus-Unterricht erteilen, kritische Buchhändler wurden inhaftiert, immer mehr Verwaltungsstellen mit Peking-Treuen besetzt.

    Chinas Präsident Xi Jinping feiert die Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik vor 25 Jahren.
    Chinas Präsident Xi Jinping feiert die Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik vor 25 Jahren. Foto: AP / Kin Cheung / Kin Cheung

    Vor zwei Jahren schließlich, während der Rest der Welt mit der Corona-Pandemie beschäftigt war, führte die Führung in Peking quasi über Nacht ein Sicherheitsgesetz ein, das Hongkongs Autonomiestatus de facto aufgehoben hat. Änderungen im Wahlrecht sorgen seitdem dafür, dass keine Oppositionellen im Stadtparlament mehr vertreten sind. Regierungskritische Medien wie Apple Daily wurden zur Aufgabe gezwungen. Die einst lebhaften Debatten sind damit verstummt. Die einst freie Stadt wird seitdem genauso autoritär beherrscht, wie der Rest der Volksrepublik auch.

    Wie konnte es so weit kommen in Hongkong?

    Wie konnte es nur so weit kommen? Und welche Schuld trägt auch der Westen? Die erste Fehleinschätzung geht zurück auf die frühen 80er Jahre. China war damals arm und rückständig, erholte sich erst langsam von den Terrorjahren der Kulturrevolution unter dem brutalen Diktator Mao Tsetung. Der Reformer Deng Xiaoping hatte das Riesenreich nach drei Jahrzehnten der kompletten Abschottung schrittweise der Außenwelt geöffnet.

    Hongkong bestand aus der vorgelagerten Insel, die sich unbefristet in britischer Hand befand. Die gegenüberliegende Halbinsel Kowloon und das flächenmäßig wesentlich größere, umliegende Land, die New Territories, waren für 99 Jahre gepachtet, ihre Rückgabe stand vertragsgemäß 1997 bevor. Die damalige britische Premierministerin Margarete Thatcher hatte Chinas Politik der Öffnung als ein Zeichen der Schwäche gesehen. Sie wollte die Gelegenheit nutzen, Peking das gesamte Gebiet von Hongkong auf Dauer abzutrotzen. Sie irrte sich. Deng entpuppte sich als harter Verhandlungsführer und setzte durch, dass nicht nur das gepachtete Gebiet, sondern Hongkong vollständig an die Volksrepublik ging. Thatcher hätte die Verhandlungen von sich aus nie aufnehmen sollen.

    Zur zweiten Fehleinschätzung kam es, als die Briten für Hongkong eine Karenzzeit von 50 Jahren aushandelten. Die Volksrepublik hatte im Zuge ihrer Öffnungspolitik wirtschaftlich zwar etwas aufgeholt. Aber die meisten, die mit China zu tun hatten, dachten, sie würden es auf Dauer mit einem schwachen Land zu tun haben. Hongkong wiederum war bis zu Beginn der 90er Jahre zu einer der reichsten Handels- und Finanzmetropolen weltweit aufgestiegen, mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen in ganz Asien. Vor allem aber verfügte die Stadt über eine hocheffiziente Verwaltung, ein unabhängiges Justizsystem und eine hochmoderne Infrastruktur mit Direktverbindungen in alle Welt.

    Deutschland hätte seinen Einfluss nutzen können

    Im Nachhinein mag das naiv erscheinen: Aber damals dachten die westlichen Verhandlungsführer, das chinesische Festland werde sich im Laufe der Zeit an das freiheitliche und hocheffiziente Hongkong anpassen, nicht umgekehrt. Die Briten hätten sich auf eine solche Karenzzeit nie einlassen sollen.

    Dass die Regierung Pekings mit ihrem Sicherheitsgesetz so ungestört vorgehen konnte, ist aber das eigentliche Versagen. Großbritannien wäre der Garant für die Einhaltung von Hongkongs Autonomie gewesen. Doch die Briten waren in den letzten Jahren nur noch mit sich und dem Brexit beschäftigt, der Widerstand aus London blieb aus. Doch auch die EU versagte, indem sie einmal mehr ihre Unfähigkeit bewies, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Allen voran Deutschland versteckte sich mit nur zaghafter Kritik hinter der EU – ganz offenbar aus Furcht um die deutschen Wirtschaftsinteressen in China.

    Dabei wäre China ohne Maschinen „Made in Germany“ wirtschaftlich gar nicht so weit gekommen, der weitere Ausbau des Landes würde stocken. Deutschland hätte verhandeln können, für die Einhaltung der Menschenrechte, für Hongkongs Autonomie. Und zwar mit harten Bandagen.

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