Selbst die Prachtkulisse der Alhambra, dieser einmaligen, auf dem Albayzin-Hügel der Sierra Nevada thronenden Festung, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gipfel schon gescheitert war, bevor die ersten der 45 Staats- und Regierungschefs am gestrigen Donnerstag über den blauen Teppich schritten. Der spanische Ministerpräsident und Gastgeber Pedro Sánchez mag daran erinnert haben, dass Granada „für den Respekt gegenüber anderen Kulturen“ wie auch „für die Zivilisation“ stehe.
Doch als sich die Spitzenpolitiker im Schatten der Zeitzeugin europäischer Geschichte beim traditionellen Familienfoto mit guter Miene verewigen ließen, konnten sie trotzdem die entscheidende Frage des Tages nicht weglächeln: Welchen Sinn hatte das Treffen der sogenannten Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) überhaupt noch? Entscheidende Akteure blieben der Zusammenkunft fern und auch die Anwesenden schienen die akuten Krisen am liebsten ignorieren zu wollen. Antworten gab es jedenfalls nicht. Die sonst übliche Pressekonferenz wurde ohne Angabe von Gründen abgesagt.
Die Idee für den neuen Club geht auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zurück
Die Idee für den neuen Club, der im Herbst 2022 zum ersten Mal in Prag und im Mai im moldawischen Chisinau tagte, geht auf Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zurück. Mit der Gründung der EPG wollten die Europäer nach Russlands Angriff auf die Ukraine ein Signal der Geschlossenheit an den Präsidenten Wladimir Putin senden. Es sollte Gesprächskanäle eröffnen und Konfliktparteien zusammenbringen. Die Brutalität des Krieges zeigte sich parallel zu dem Gipfel: Im ostukrainischen Gebiet Charkiw starben Behördenangaben zufolge mindestens 49 Menschen durch russischen Beschuss. Unweit der Stadt Kupjansk seien ein Café und ein Lebensmittelgeschäft getroffen worden, teilte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft mit.
Bei den ersten beiden EPG-Treffen hatten sich die Europäer mit überraschender Geschlossenheit gegen Russland gestellt. Doch nach bald zwei Jahren Krieg weist das Bollwerk immer mehr Risse auf, die Einigkeit scheint zu bröckeln. Und so fragten sich Beobachter, welchen Wert das informelle Treffen noch hatte, wenn es selbst zur Symbolik nicht mehr taugte.
Würde das politische Speed-Dating zumindest zur Selbstvergewisserung der Europäer dienen? „Die größte Herausforderung für uns besteht darin, Einigkeit in Europa zu wahren“, sagte denn auch ein äußerst nachdenklich wirkender ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seiner Ankunft. Wie ernst meinen es die Europäer mit ihren Treueschwüren gegenüber Kiew, wenn nicht mehr nur Dauerstörenfried Ungarn ausschert, sondern auch der Sieger der Wahlen in der Slowakei, Robert Fico, die bei der Bevölkerung unbeliebten Waffen-Hilfen beenden will? Überschattet wurden die Beratungen außerdem vom internen Haushaltsstreit in den USA, der die weitere finanzielle Unterstützung gefährdet.
Immerhin das Erscheinen Selenskyjs galt schon als kleiner Erfolg. Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev blieb hingegen dem Treffen fern. Er sagte kurzfristig ab wegen der seiner Meinung nach vorherrschenden „antiaserbaidschanischen Stimmung“. Die Kaukasusrepublik ließ folglich eine von der EU vorbereitete Vermittlungsinitiative mit Armenien zur Konfliktregion Berg-Karabach platzen.
Auch die Spannungen im Konflikt um den Kosovo standen auf der Agenda
Die Atmosphäre zwischen zwei anderen Konfliktparteien durfte ebenfalls als vergiftet oder bestenfalls äußerst kompliziert beschrieben werden. Die Präsidentin des Kosovo, Vjosa Osmani, reiste zwar nach Spanien, aber verkündete gleich zu Beginn, dass es keinen Grund gebe, mit Serbien zu reden, bevor Sanktionen gegen Präsident Aleksander Vucic verhängt worden seien. Auch hier erwarteten Beobachter keine Entspannung. Auslöser der eskalierenden Spannungen war ein Überfall serbischer Paramilitärs auf kosovarische Polizisten. Belgrad hat zudem serbische Truppen rund um das Kosovo, das sich 2008 nach einem blutigen Krieg für unabhängig erklärt hatte, aufmarschieren lassen.
Vermutlich bewerteten die Teilnehmer als Glücksfall, dass immerhin noch Schwerpunktthemen auf der Agenda standen, bei denen man sich einigermaßen einig war. Dazu gehörten Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sowie Energie und Klimaschutz. Wobei nicht überliefert ist, ob die Staatenlenker bei ihren Gesprächen über Energie jenen Aspekt erwähnten, der sich für die EU zu einem handfesten Problem entwickeln könnte. Die Partner sind angewiesen auf umfangreiche Gaslieferungen aus Aserbaidschan, die einen Großteil der russischen Lieferungen ersetzen. Umso zurückhaltender kommentierte die Gemeinschaft die Aggression der Aserbaidschaner.