Elf Monate vor der Bundestagswahl zeigt sich die Ampel-Koalition in wesentlichen Politikbereichen zerstritten. Am Wochenende machten sich mehrere Politiker von SPD, Grünen und FDP gegenseitige Vorhaltungen. Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel liest der Koalition die Leviten. Unionspolitiker sehen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gefragt, sollten SPD, Grüne und FDP ihre Zankereien nicht in den Griff bekommen.
Aktuell streitet die Koalition über die Wirtschaftspolitik. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat für Dienstag zu einem Industriegipfel im Kanzleramt eingeladen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) bleiben außen vor. Die FDP-Fraktion - mit Lindner als Gast - will sich am selben Tag ihrerseits mit Wirtschaftsvertretern treffen. Habeck wiederum schlug nach Scholz' Ankündigung einen schuldenfinanzierten «Deutschlandfonds» vor, mit dem Investitionen gefördert werden sollen.
Unionspolitiker: Steinmeier müsste eingreifen
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verwies in der «Bild am Sonntag» darauf, dass die Koalitionspartner geschworen hätten, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. «Dazu gehört auch die Bereitschaft, eine gescheiterte Koalition aufzulösen. Wenn die Chaos-Ampel dazu nicht in der Lage ist, sollte der Bundespräsident den drei Ampel-Parteien in einem Gespräch die Möglichkeiten zur Trennung aufzeigen», betonte Dobrindt.
Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg sagte der Zeitung: «In dieser Dauerstarre einer Regierung müsste jetzt der Bundespräsident eingreifen, ermahnen und eine klare Frist setzen: Entweder es kommt jetzt das Programm für den Aufschwung, oder die Ampel muss den Weg frei machen.» Der permanente Ampel-Streit lähme das ganze Land. Die Koalition wolle nicht mehr regieren, sondern sich nur noch durchschleppen bis zur Wahl.
Ratschlag an Lindner: Nicht die Arbeit des Kanzlers torpedieren
SPD und Grüne reagierten am Wochenende verärgert auf das FDP-Wirtschaftstreffen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich mahnte in der «Rhein-Neckar-Zeitung»: «Der Finanzminister sollte sich auf sein Ressort konzentrieren und nicht versuchen, mit einer eigenen Veranstaltung die Arbeit des Kanzlers zu torpedieren.» Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch kritisierte in der «Bild»: «Die Zeiten sind zu ernst für Gipfel-Ping-Pong. Wir müssen gemeinsam das Notwendige tun.»
Audretsch warb für Habecks Vorschlag eines Investitionsfonds. Mützenich wiederum ging dazu auf Distanz und verwies darauf, dass ein solcher der Zustimmung der Opposition bedürfe. Generell hätte er auf Habecks Impuls «gut verzichten können», sagte der SPD-Fraktionschef.
Streitpotenzial beim Haushalt
Auch der Bundeshaushalt 2025 birgt Streitpotenzial. Nach der jüngsten Steuerschätzung hatte Lindner deutlich gemacht, dass es keine Spielräume für eine Verteilungspolitik gebe. Vielmehr werde man zusätzlich sparen müssen. Im Etatentwurf fehlen noch mehrere Milliarden Euro. Bis zur entscheidenden Sitzung des Haushaltsausschusses am 14. November muss die Lücke geschlossen werden.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr verwies in der «Bild am Sonntag» auf Sparmöglichkeiten. So könne man bei den Kosten für die Unterkunft von Bürgergeld-Empfängern von individuellen auf pauschale Sätze umstellen und so ein bis zwei Milliarden Euro sparen. Die Koalition müsse sich ferner «natürlich die Subventionen anschauen» und Zahlungen an Nichtregierungsorganisationen «kritisch hinterfragen».
SPD-Chefin Saskia Esken ihrerseits verlangte massive staatliche Investitionen von bis zu 600 Milliarden Euro in den nächsten Jahren, um die Wirtschaft in Deutschland anzukurbeln. «Jetzt ist nicht die Zeit zu sparen, jetzt muss investiert werden», sagte Esken den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Sie warb erneut für eine Abkehr von den strengen Schuldenregeln und kritisierte Lindners «kompromissloses Festhalten an der Schuldenbremse».
Ex-SPD-Chef: «Hört auf oder besinnt euch»
Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel zeigte sich besorgt über den Zustand der Koalition: «Angesichts der jüngsten Entwicklungen müsste man eigentlich sagen: Hört auf oder besinnt euch», sagte er der «Augsburger Allgemeinen». «Was da der Öffentlichkeit als Koalition verkauft werden soll, wird zu einem zunehmend gefährlichen Prozess, der nur Politikzorn und damit Extremismus befördert», beklagte der ehemalige Vizekanzler.
Der Koalitions-Zwist verfolgte Regierungsmitglieder auch bis nach Indien. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mahnte zum Abschluss von deutsch-indischen Regierungskonsultationen: «Unser Job ist, Probleme zu lösen und nicht Fingerhakeln.» Kanzler Scholz wurde beim Besuch eines Technologie-Instituts in Goa von einem Studenten gefragt, wie es denn so sei, eine Koalitionsregierung zu führen. «Tja», sagt Scholz. «Ich will sehr ehrlich sein: Die Koalitionsregierung, die ich führe, ist nicht die einfachste auf der Welt.»
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