Manchmal kommt die politische Pflicht dann doch wie gerufen. Als Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch zu seiner ersten Auslandsreise nach der Sommerpause aufbrach, dürfte er ganz froh gewesen sein über die 1500 Kilometer, die zwischen ihm und den Kollegen der Ampel-Regierung lagen. In Moldau erlebte der Kanzler, dass es in der Welt durchaus noch größere Probleme gibt als die Befindlichkeiten der Koalition. Die ehemalige Sowjetrepublik gehört nicht nur zu den ärmsten Ländern Europas, sie ist auch tief gespalten. Die einen streben nach Russland, die anderen nach Europa, Moskau arbeitet nach Kräften daran, die Stimmung zu vergiften. Im Vergleich dazu wirkt die Krise der Ampel geradezu winzig. Deren Krach ist weitgehend hausgemacht, eine Entspannung des Dauerstreits ist dennoch nicht in Sicht.
In dieser Woche lieferten sich die Partner das, was man im Militär ein „friendly fire“ nennt: den Beschuss der eigenen Kräfte. Am Sonntag erklärte Grünen-Chef Omid Nouripour die Koalition zu einer „Übergangsregierung“. Scholz sprach gar von einem „Schlachtfeld“, auf dem sich die Bundesregierung bewege. Wirtschaftsminister Robert Habeck teilte gegen den FDP-Kollegen aus: „Sollte ich jemals Bundeskanzler werden, wird Christian Lindner nicht Finanzminister werden.“ SPD-Chefin Saskia Esken fühlte sich zum wiederholten Mal verpflichtet, die Regierung zur Mäßigung ihres öffentlichen Streits aufzurufen. Versuchten bislang wenigstens Scholz, Habeck und Lindner den Schein zu wahren, schalten inzwischen fast alle Beteiligten auf Angriff. Die Fronten sind verhärtet, auch, weil es kaum mehr positive Nachrichten gibt, die die Stimmung wieder anheben könnten. Die Wirtschaft im Land kommt nicht in die Gänge, im Osten droht allen drei Parteien bei den Landtagswahlen am 1. September ein Desaster, die Löcher im Haushalt sind gewaltig. Wie es mit der Ukraine-Hilfe und damit dem wichtigsten sicherheitspolitischen Thema weitergeht, kann wegen der wirren Kommunikation aus den Ministerien kaum mehr jemand nachvollziehen.
Koalition beruht auf einer Vielzahl von Kompromissen
„Ich fühle mich von der Ampel-Koalition inzwischen regelrecht belästigt“, sagt Ursula Münch. „Ich habe als Bürgerin und Wählerin einen Anspruch darauf, dass ich nicht mit jeder Befindlichkeit konfrontiert werde.“ Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing ist eine der profiliertesten politischen Beobachterinnen im Land, hat so manche Regierungskrise in den vergangenen Jahrzehnten miterlebt. „Aber inzwischen sind wir auf einem Niveau angekommen, das regelrecht gefährlich ist für die Demokratie“, sagt sie. Das Ausmaß des Streits lässt nicht nur den Zuspruch zu den Ampel-Parteien selbst schrumpfen – in der aktuellen Forsa-Umfrage kommen sie zusammen auf gerade einmal 31 Prozent –, sondern zugleich den Glauben an die Lösungskompetenz der Politik einbrechen.
„Die Koalition hat in den ersten zwei Jahren ihres Bestehens einiges geleistet“, sagt Münch. Gerade in der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Energiekrise habe die Regierung vieles geschafft, zugunsten der eigenen Bevölkerung. Und doch sei der jetzige Zustand, durch den sich die Regierung quält, in gewisser Weise von Beginn an angelegt gewesen. Zwar hätten sich die Akteure selbst als Fortschrittskoalition tituliert und damit hohe Erwartungen an die eigene Wählerschaft geweckt. „Doch wenn wir heute noch einmal in den Koalitionsvertrag schauen, dann sehen wir, wie viele Formelkompromisse er enthält“, sagt Münch. „Die Beteiligten wussten also, dass es nicht einfach werden würde, das wurde eingepreist.“
Wird nach der Wahl alles besser?
Und einfacher dürfte es auch in den kommenden 13 Monaten bis zur nächsten Bundestagswahl nicht werden. Die drei Parteien sind förmlich aneinander gekettet, ein freiwilliges Verlassen der Koalition ist weder für SPD, Grüne noch FDP eine echte Option. „Ich glaube schon, dass Christian Lindner aus seiner eigenen Partei bedrängt wird, die Koalition auch ohne Neuwahlen zu verlassen“, sagt Münch. Doch das Risiko dürfte ihm zu groß sein. Die Ministerposten, die Macht, der Wunsch, die eigenen Vorstellungen auch umzusetzen – all das hat eine zumindest zähmende Wirkung auf die Parteispitze. Doch der Zwang verstärkt zugleich den politischen Frust innerhalb der Mitglieder. Das kleinere Übel bleibt eben immer noch ein Übel. „Und auch die Grünen hängen an jedem Monat, in dem sie noch ihre politischen Mandate haben“, sagt Münch. In der SPD wiederum wird es immer offensichtlicher, dass der Kanzler an Rückhalt verliert, dass die für sozialdemokratische Verhältnisse geradezu wundersame Geschlossenheit in sich zusammengebrochen ist. Selbst die CDU/CSU dürfte, so Münch, kaum ein echtes Interesse daran, die Regierung zum jetzigen Zeitpunkt zu sprengen und selbst bis zur regulären Bundestagswahl in die Rolle unter einem Kanzler Scholz in die Regierung einzutreten. In den Negativ-Strudel hineingezogen zu werden, kann sich Parteichef Friedrich Merz kaum leisten.
Also doch Neuwahlen? „Ich glaube nicht, dass hinterher alles besser ist“, warnt Ursula Münch vor übertriebenen Hoffnungen. „Auch die nächste Bundesregierung wird das Problem haben, dass sie nicht das Geld hat, was sie eigentlich braucht, um wichtige Aufgaben zu lösen.“ Allen voran die Bundeswehr, aber auch Bahn, Digitalisierung, Schulen – die Zahl der Baustellen ist groß. Und dann stellt sich noch die Frage nach den Koalitionsmöglichkeiten. Zurück zur eigentlich so verhassten GroKo aus Union und SPD? Oder doch Schwarz-Grün? Zumindest scheinen die Grünen sich mit dieser Option gedanklich bereits zu beschäftigen. „Für uns ist klar: So geht es in einer künftigen Regierung nicht weiter“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge der Süddeutschen Zeitung. „Wir werden sehr genau prüfen, welche Koalition wir nach der nächsten Bundestagswahl eingehen.“ Bedingung für eine Regierungsbeteiligung werde sein, dass die Partner respektvoll, vertrauensvoll, verbindlich und kollegial miteinander umgehen. „Wir schließen damit niemanden aus“, sagte Dröge. „Das kann auch bei der FDP und SPD erfüllt sein. Aber es sind auch andere Konstellationen und Koalitionen denkbar – auch mit der CDU.“ Tatsächlich könnten die Grünen die neue „Funktionspartei“ des Bundestags werden, die dem jeweiligen Wahlgewinner zur Regierungsbildung verhilft. „Diese Rolle hatte lange die FDP“, sagt Münch.
Die Äußerungen aus den Reihen der Grünen lassen zudem erahnen, dass der Wahlkampf früher anlaufen könnte als in den vergangenen Jahren. Im nahen Herbst will die Union offiziell ihren Kanzlerkandidaten benennen, dann wird das Thema dauerpräsent. Für die Regierungsparteien heißt das vor allem, das eigene Profil zu schärfen. „Und das bedeutet die Unvereinbarkeit der drei Ampel-Koalitionäre“, sagt Münch. „Und die Republik wird noch mehr genervt sein.“
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden