Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner konnte der Sache auch etwas Positives abgewinnen. "Also, vorweg könnte man vielleicht sagen, angesichts der Tatsache, dass so viele E-Mails geschickt werden: Ist doch schön, wenn auch mal Briefe geschrieben werden", erklärte Büchner lächelnd in der Bundespressekonferenz. Der Sprecher ist ein Medienprofi, ihm war klar, dass der offene Briefwechsel zwischen Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen und dem liberalen Finanzminister Christian Lindner Fragen nach sich ziehen würden. Substanzielle Antworten gab es gleichwohl keine.
Zwischen Habeck und Lindner knirscht es schon lange. "Wir erfahren meistens erst aus der Zeitung, was das Wirtschaftsministerium nun wieder vorhat", klagt ein hochrangiger Mitarbeiter aus dem Finanzministerium. Habecks Art, auf Tische zu springen und quasi im Handstreich neue Ideen zu verkünden, ist Lindners Sache nicht. Die Ankündigung des Wirtschaftsministers, sich nicht an den von Lindner vorgegebenen Haushaltsplan halten zu wollen, und Lindners teils sarkastische Antwort darauf, macht die Beziehung nur noch toxischer.
Olaf Scholz tat, was er oft tut, wenn es schwierig wird: Schweigen
Hinzu kommt, dass die Ampel nie so werden wollte wie die Union in der Regierungszeit von Angela Merkel, in der Parteiinterna in Echtzeit an Journalistinnen und Journalisten durchgestochen wurden. Jetzt hat es die Ampel auch erwischt, es war deshalb vielfach erwartet worden, dass der Regierungschef Disziplin einfordern würde. Doch Olaf Scholz tat am Freitag das, was er oft tut, wenn es schwierig wird: schweigen.
Über Regierungssprecher Büchner ließ der Kanzler erklären, dass er den Vorgang nicht weiter bewerten wolle. Es folgte das übliche Bekenntnis zur Einhaltung der Schuldenbremse, die für den Finanzminister höchste Priorität hat. Doch so einfach wird sie nicht einzuhalten sein.
200 Milliarden Euro für den "Doppel-Wumms" von Olaf Scholz
Lindner musste sich schon beim Haushalt 2023 gewaltig strecken und wird sich beim Etat für 2024 noch länger machen müssen, wie er selbst bereits einräumte. Seine Finanzplanung ist mit dem Begriff "Kreative Buchhaltung" wohl ganz gut beschrieben. Die 200 Milliarden Euro für den "Doppel-Wumms" von Olaf Scholz – den Abwehrschirm für hohe Energiepreise also – baute er beispielsweise geschickt in den Wirtschaftsstabilisierungsfonds ein. Der ist, wie die zusätzlichen 100 Milliarden für die Bundeswehr, ein Sondervermögen und wirkt sich nicht auf die Schuldenbremse aus. Nächster Trick: Obwohl das Geld 2022 gebucht wurde, fallen die Ausgaben erst 2023 und 2024 an.
Eng wird es trotzdem, denn die Schuldenbremse darf nicht erneut gerissen werden. Rund 424 Milliarden Euro sind die absolute Obergrenze bei den Ausgaben, doch schon jetzt haben die Ministerien für 20 Milliarden Euro Wünsche angemeldet. Auch das ist zunächst ein Ritual, mit dem sich bisher jeder Finanzminister herumschlagen musste. Diesmal jedoch steckt mehr dahinter.
Christian Lindner und die FDP sind in der Defensive
Lindner sieht sich nach der Berlin-Wahl und dem Ausscheiden der FDP aus dem Abgeordnetenhaus in der Defensive. Er muss fürchten, dass die Liberalen im Stadtstaat Bremen Mitte Mai ein ähnliches Schicksal ereilt. Für Hessen und Bayern sieht es derzeit auch nicht gut aus, dort wird allerdings erst im Oktober gewählt und der FDP-Chef will die Zeit nutzen, um Wählerstimmen zurückzugewinnen. Bei der Profilierung steht ihm allerdings ständig Robert Habeck im Weg, der gerne das "Vize" vor dem Wort "Kanzler" loswerden möchte.
Im Moment sitzt der Finanzminister am langen Hebel und lässt das nicht nur Habeck, sondern die Grünen insgesamt spüren. So torpediert er Medienberichten zufolge gerade die Kindergrundsicherung, ein Prestigeprojekt von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). Die SPD und Kanzler Scholz können dem Streit nur still von der Seite zuschauen. Auch sie wollen mehr Geld von Lindner, Verteidigungsministers Boris Pistorius etwa braucht frische Milliarden für die Bundeswehr. Gut möglich also, dass Büchner sich bald über einen wachsenden Briefverkehr freuen kann. Liebesbriefe allerdings werden kaum darunter sein.