Noch regieren sie. Doch die Ampel-Koalitionäre leiden heftig – vor allem an sich selbst. Seit der Gründung der Bundesrepublik rühmt sich Deutschland stabiler Regierungen. Mit dem Bündnis aus SPD, Grünen und FDP könnte diese Ära enden. Keine Regierung seit 1949 genoss weniger Ansehen als die Ampel. Der Absturz in der Wählergunst hat vor allem die Liberalen in Existenznöte gebracht. Parteichef Christian Lindner hat „einen Herbst der Entscheidungen“ ausgerufen. Vier Tage entscheiden darüber, ob der 45-Jährige die Reißleine zieht oder nicht.
Die Wahl am 5. November in Amerika
Kamala Harris oder Donald Trump? Die Frage, wer als Präsident ins Weiße Haus einzieht, beschäftigt nicht nur die Amerikaner. Sie könnte auch Auswirkungen auf die Stabilität der Regierung in Deutschland haben. Das gilt vor allem, falls Trump gewinnen sollte. Eine zweite Amtszeit Trumps wäre eine große Herausforderung für Deutschland. Der Republikaner würde auf mehr Ausgaben der Deutschen für die Nato dringen. Gut möglich, dass er sich mit Russlands Präsidenten Putin trifft, um über die Ukraine zu verhandeln – ohne Ukrainer und Europäer. Auch das Klima in der Weltwirtschaft würde wahrscheinlich rauer, angesichts des von Trump angekündigten Handelskrieges mit China. Schwer denkbar, dass sich die Ampel-Koalition in solch einer Weltlage einfach in den Wahlkampf verabschiedet. Dazu kommt: Alle Ampelparteien wissen, dass die darbende deutsche Wirtschaft einen Energieschub braucht. Der Druck, sich hier rasch zu einigen, würde durch Trumps Wahl weiter verstärkt.
Die Soli-Verhandlung des Verfassungsgerichts am 12. November
Ausgerechnet eine Klage aus den eigenen Reihen könnte die Bundesregierung am 12. November in Bedrängnis bringen: An diesem Tag befasst sich ab 10 Uhr das Bundesverfassungsgericht in einer mündlichen Verhandlung mit dem Solidaritätszuschlag. Die meisten Bundesbürger betrifft die ungeliebte Steuer heute nicht mehr. Der Solidarpakt II zur Finanzierung der Einheit lief bereits 2019 aus. Der damalige Finanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) legte damals noch in der Großen Koalition einen Plan vor, dass der Soli ab 2021 nur noch für die oberen zehn Prozent der Einkommen fällig wird. Die übrigen 90 Prozent der Steuerzahler sind seither ausgenommen. Gegen dieses Gesetz klagten sechs FDP-Abgeordnete, als die Liberalen noch nicht Teil der Bundesregierung waren. Sie sehen den Gleichheitsgrundsatz verletzt. Das Problem: Die Ampel-Regierung hat die verbleibenden Soli-Einnahmen von 12,75 Milliarden Euro bereits im Haushalt für 2025 fest eingeplant. Die Koalition stünde abermals vor einer Zerreißprobe, sollte das Geld wegfallen. Müssten sogar Soli-Einnahmen aus früheren Jahren zurückgezahlt werden, wäre das Problem noch größer. Ein Urteil wird am 12. November zwar noch nicht erwartet, die Richter könnten aber durchscheinen lassen, wie sie den Fall bewerten.
Die finale Haushaltssitzung am 14. November
Zwei Tage nachdem sich das Verfassungsgericht über den Soli gebeugt hat, sollen die drei Chefhaushälter der Ampel-Parteien den Etat für 2025 in der traditionellen Bereinigungssitzung festzurren. Die drei Herren Dennis Rohde (SPD), Sven-Christian Kindler (Grüne) und Otto Fricke (FDP) sind das letzte funktionierende Trio der Koalition. Sie schätzen einander, der Ton ist freundlich, fast freundschaftlich. Die Aufgabe ist lösbar. Nach der jüngsten Steuerschätzung müssen die bislang vorgesehenen Ausgaben für kommendes Jahr um ein bis zwei Milliarden Euro gekürzt werden. Zum Vergleich: Das Volumen des Budgets beträgt rund 500 Milliarden. Für Sonderwünsche, wie eine Entlastung der Industrie bei den Stromnetzentgelten, die jetzt auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) anstrebt, besteht allerdings kein Spielraum mehr. Und die Verfassungsrichter müssen mitspielen.
Das kalendarische Herbstende am 20. Dezember
Die Freien Demokraten haben einen „Herbst der Entscheidung“ ausgerufen, der kalendarisch bis kurz vor Weihnachten reicht. Entweder, so ihr Diktum, schwenkt die Koalition auf einen wachstumsfördernden Kurs und eine harte Asylpolitik um, oder die FDP müsse das Bündnis verlassen. Grüne und SPD interpretieren das Manöver als Aufschichten von Trennungsgründen. Denn wie sollen die Liberalen ihre enttäuschten Anhänger bei der nächsten Wahl um ihre Stimme bitten, wenn sie bis zum Schluss in der ungeliebten Koalition verbleiben? Dem steht die Furcht vor dem Stempel der Drückeberger und Deserteure entgegen. Für große wirtschaftliche Sprünge fehlt der Ampel das Geld, eine Abschaffung des Asylrechts ist mit den Grünen nicht zu machen. Bislang hat der FDP die Rolle der Opposition in der Regierung wenig Unterstützung von den Wählern gebracht. Womöglich könnte der Bruch mehr Anhänger zurückholen.
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