Einsam ist es geworden um den Mann, der einst das Bad in der Menge liebte. Seit sein Freund Wladimir Putin die Ukraine bombardieren lässt, gehen selbst langjährige politische Weggefährten auf Distanz zu Gerhard Schröder. Der inzwischen 78-Jährige reagiert wie so oft in seiner politischen Laufbahn, wenn es eng wurde: trotzig.
Sollen die anderen noch so schreien, einer wie er knickt nicht ein, lautete die Devise. Und so passte eine Meldung am Freitag gut ins Bild: Schröder will sich nicht damit abfinden, dass ihm wegen seiner Lobbyarbeit für russische Energiekonzerne Privilegien weggenommen werden sollen. Ein Anwalt soll die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung prüfen, die tags zuvor der Haushaltsausschuss des Bundestags getroffen hatte. Demnach soll Schröder zwar sein Ruhegehalt und Personenschutz behalten dürfen, das Büro des Altkanzlers soll allerdings abgewickelt, seine Mitarbeiter abgezogen werden.
Einen "auf mea culpa" zu machen ist nicht Schröders Ding
Am selben Tag sprach sich dann auch noch das EU-Parlament für Sanktionen gegen den Politiker aus, der Deutschland von 1998 bis 2005 regiert hatte. Schröder auf einer Liste mit Putin-treuen Oligarchen und anderen dubiosen Geschäftsleuten? Für die meisten Politiker wäre ein solcher Vorgang die maximale Demütigung. Doch Schröder wollte nie sein wie die meisten Politiker. Die ganze Welt gegen sich – das war schon immer die Konstellation, die seinen Ehrgeiz erst recht anstachelte. Er liebte das Spiel mit dem Risiko, die Konfrontation. Er liebte es, seine Gegner zu überraschen – und manchmal sogar die eigenen Parteifreunde. Lieber mit fliegenden Fahnen untergehen als klein bei geben.
In den vergangenen Wochen flackerte diese Attitüde wieder auf. Als ihn eine Journalistin der New York Times im April in Hannover besuchte, erlebte sie jedenfalls keinen einsamen, in sich gekehrten alten Mann, der mit seinem Bedeutungsverlust hadert. Schröder sei zu Scherzen aufgelegt gewesen, habe auf dem Smartphone Fotos von sich mit Putin gezeigt und habe während des Gesprächs eine Menge Weißwein getrunken. Im Gedächtnis geblieben ist aus dem Interview vor allem ein Satz: „Ich mache jetzt nicht einen auf mea culpa. Das ist nicht mein Ding“, sagte der SPD-Politiker über sein heftig umstrittenes Engagement bei russischen Energiekonzernen. Basta!
Es gäbe lediglich einen Grund für ihn, seinen Posten als Aufsichtsratschef beim Ölriesen Rosneft hinzuschmeißen, fügte Schröder hinzu: wenn Putin, wie so oft angedroht, der Europäischen Union tatsächlich den Gashahn zudrehen würde. Schröder zeigte sich damals fest davon überzeugt, dass dies nicht passieren würde. Es war nicht das erste Mal, dass er sich in seinem Freund getäuscht hat.
Schröder hat weitere Jobs bei russischen Konzernen
An diesem Samstagmorgen jedenfalls wird Russland seine Gaslieferungen nach Finnland einstellen. Offizieller Grund ist die Weigerung des EU-Staates, die Energieimporte wie gefordert in der russischen Währung Rubel zu bezahlen. Doch man muss kein Experte sein, um den wahren Hintergrund zu sehen: Erst am Mittwoch hatte Finnland trotz aller Warnungen aus dem Kreml die Aufnahme in die Nato beantragt. Unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine geben die Finnen ihre Neutralität auf und wollen sich dem westlichen Verteidigungsbündnis anschließen. Die Angst davor, selbst eines Tages zum Spielball russischer Großmachtfantasien zu werden, hat viele Menschen in Finnland umdenken lassen. Ist der Gasstopp der russische Konter auf den bevorstehenden Nato-Beitritt? Viel spricht dafür, auch wenn das offiziell am Freitag niemand bestätigt. Und was bedeutet das nun für Energielobbyist Schröder? Ist für ihn nun der Punkt erreicht, an dem er sich doch noch lossagt von seinem lukrativen Job in Putins Diensten? Am Freitagmittag gibt der Staatskonzern Rosneft jedenfalls in dürren Worten bekannt, Schröder habe mitgeteilt, dass es ihm unmöglich sei, sein Mandat zu verlängern. Kein Wort zu den Gründen. Unklar bleibt zudem, ob der Altkanzler auch andere Lobbyaktivitäten einstellt. Noch bekleidet er Posten bei den Pipeline-Projekten Nord Stream 1 und Nord Stream 2 und sollte auf der Hauptversammlung am 30. Juni auch noch in den Aufsichtsrat des Gasriesen Gazprom gewählt werden.
Nach der Kanzlerschaft wollte Schröder richtig Geld verdienen
Man kann nur rätseln, welche Motive wirklich zu Schröders Sinneswandel geführt haben. Der öffentliche Druck, auch aus seiner eigenen Partei, die ihn am liebsten rausschmeißen würde, dürfte kaum den Ausschlag gegeben haben. Auch der neuerliche Appell von Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag, sich von den Ämtern zurückzuziehen, dürfte wie sämtliche Appelle zuvor verpufft sein. War es also doch die Einsicht, dass seine unerschütterliche Loyalität zu einem Kriegstreiber wie Putin ein Fehler war? Dass er sich in seinem Freund getäuscht hat – oder der Mann im Kreml über die Jahre ein anderer geworden ist? Oder war es schlicht die Angst vor finanziellen Konsequenzen für ihn selbst? Fakt ist: Nach seiner politischen Karriere hatte Schröder nie einen Hehl daraus gemacht, dass er nun lieber richtig Geld verdienen will, anstatt eine Rolle als Elder Statesman einzunehmen.
Das Staatstragende hatte dem Mann, der sich aus einfachen Verhältnissen nach oben gekämpft hatte, nie gelegen. Schröder wollte Erfolg – und er wollte ihn zeigen. Mit dicken Zigarren und edlem Rotwein, mit teuren Anzügen und mächtigen Freunden. Anders als seinem Vorgänger Helmut Kohl war ihm sein Status im richtigen Leben immer wichtiger als sein Platz in den Geschichtsbüchern. Doch irgendwann muss sich auch ein trotziger Geist wie Gerhard Schröder überlegen, ob ihm das Ego mehr bedeutet als der Lebensstandard, der von den drohenden EU-Sanktionen durchaus beeinträchtigt werden könnte.
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