Es vergeht kaum ein Tag in dieser Pandemie, an dem nicht Politiker, Virologinnen, Mediziner warnen und mahnen: Nur mit einer hohen Impfquote könne das Coronavirus weiter zurückgedrängt werden und der Weg geebnet von einer Pandemie hin zu einer Endemie, in der die Gesellschaft mit der Krankheit leben kann.
Doch die Impfquote in Deutschland schreitet nur noch im Schneckentempo voran. Am vergangenen Freitag wurden in Deutschland rund 156.000 Impfdosen verabreicht, wie aus Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervorgeht. Zum Vergleich: Am Freitag vor einer Woche hatten sich inklusive Nachmeldungen noch knapp 224.000 Menschen impfen lassen. Eine große Gruppe von 23,8 Prozent der Bevölkerung (19,8 Millionen Menschen) ist laut Gesundheitsministerium weiterhin ungeimpft. Für 4,8 Prozent (vier Millionen) ist allerdings bisher kein Impfstoff zugelassen, weil sie vier Jahre oder jünger sind.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist für die Impfpflicht
Umso dringender will Gesundheitsminister Karl Lauterbach die verpflichtende Corona-Impfung vorantreiben – anders sei die Impfquote nicht zu steigern. „Wir kämpfen für die Impfpflicht“, sagt der SPD-Politiker der Tageszeitung taz. Die Impfquote erhöhe man nun nicht „durch noch eine Impfkampagne, sondern nur durch die Impfpflicht“. Und er mahnt alle, die den Prozess ausbremsen wollen: „Wenn im Herbst wieder Einschränkungen nötig sind, wird sich jeder daran erinnern, wer aus parteipolitischem Kalkül die Impfpflicht verhindert hat.“
Im März wird sich der Bundestag mit den Vorschlägen beschäftigen. Dem Bundestag liegen verschiedene Gesetzentwürfe vor. Ein Vorstoß mehrerer Abgeordneter der Ampel-Koalition zielt auf die allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren ab. Die Unionsfraktion hat einen eigenen Antrag vorgelegt, der zunächst nur ein Impfregister vorsieht und dann einen Stufenplan mit einer möglichen Impfpflicht für bestimmte Gruppen je nach Pandemielage. Daneben gibt es weitere konkurrierende Entwürfe: einmal für eine verpflichtende Beratung und eine mögliche Impfpflicht ab 50, einmal gegen eine Impfpflicht. Die Ampel-Partner haben sich auf eine erste Lesung am 14. März verständigt, es ist eine Abstimmung ohne die sonst übliche Fraktionsdisziplin geplant.
Coronavirus wird durch die Impfung nicht ausgerottet
Wie schwierig die Debatte und die anschließende politische Entscheidung werden könnte, zeigt sich darin, dass selbst in Mediziner-Kreisen der Weg hin zu einer Impfpflicht mit vielen Zweifeln behaftet ist. Vor allem die Tatsache, dass sich auch Geimpfte weiter infizieren können und damit das Virus weitertragen, lässt Vorbehalte laut werden. „Wären bessere Impfstoffe verfügbar, könnte eine Impfpflicht mit besseren Argumenten begründet werden“, sagt Hartmut Hengel, Leiter des Instituts für Virologie der Uniklinik Freiburg. „Andererseits wäre die Debatte um die Impfpflicht dann nicht mehr erforderlich.“ Hengel warnt davor, zu glauben, dass das Virus durch eine Impfpflicht quasi ausgerottet werden könnte.
Das sei bei Pocken- und dem Rinderpestvirus gelungen. „Diese historischen Erfolge beruhten dabei auf eindeutigen virologischen Voraussetzungen: zum einen der Verfügbarkeit sehr wirksamer Lebendimpfstoffe und zum anderen der Beschränkung der Erreger auf Wirts-Reservoire – das heißt, der Mensch im Falle von Pocken, beziehungsweise Rinder und Wiederkäuer wie Schafe und Ziegen im Falle von Rinderpest –, die mit der Impfung vollständig erreicht werden konnten“, sagt der Virologe, der lange Jahre selbst Mitglied der Ständigen Impfkommission war. Vergleichbare Voraussetzungen gibt es beim SARS-CoV-2-Erreger nicht. Hengel geht davon aus, dass immer wieder Auffrischungsimpfungen nötig seien, solange kein wirklich universeller Impfstoff entwickelt ist. „Dieser Umstand berührt die gesellschaftliche Akzeptanz der aktuellen SARS-CoV-2-Impfung und möglicherweise das langfristige Vertrauen in den Impfgedanken an sich“, warnt er – und plädiert aus diesem Grund für eine Impfpflicht für die sogenannten vulnerablen Gruppen, also etwa Menschen ab 50 Jahren.
Ist eine Impfpflicht trotz sinkender Corona-Zahlen notwendig?
Doch zumindest dieser Schritt könnte das Gesundheitssystem spürbar entlasten, glaubt Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Aufgrund von sinkenden Infektionszahlen und weniger schweren Fällen durch die Omikron-Variante erscheint die Notwendigkeit einer Impfpflicht vielen jetzt fraglich“, sagt er. „Sollte es jedoch im Herbst zum Auftreten einer kränker machenderen Variante kommen, dann werden wir dies wieder von vorne diskutieren. Grundsätzlich wäre eine Impfpflicht, insbesondere für Risikogruppen – zum Beispiel ab 50 Jahre –, für das Gesundheitssystem schon hilfreich.“
Trotz sinkender Infektionszahlen ist die Zahl der Intensivpatienten auf einem vergleichsweise hohen Niveau – allerdings deutlich niedriger als noch im vergangenen Herbst. Die meisten Patientinnen und Patienten mit einem schweren Verlauf sind Menschen über 50. Mit Stand vom Mittwoch wurden 2466 Corona-positiv getestete Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen behandelt – eine Woche zuvor waren es 2398. In den höheren Altersgruppen ist zuletzt auch die Sieben-Tage-Inzidenz noch einmal deutlich angestiegen. Der Scheitelpunkt für die Intensivstationen ist also – anders als bei den Neuinfektionen – noch nicht erreicht.
Novovax-Impfstoff wird ausgeliefert
Vor allem die Union macht sich derzeit dafür stark, dass die Impfpflicht nicht sofort greifen soll, sondern nur die Voraussetzungen geschaffen werden, sie durchzusetzen, falls im Herbst die Zahlen wieder steigen. Doch ist das wirklich realistisch? Zumindest müssten dann entsprechende Grenzwerte festgelegt werden, ab wann die Impfpflicht greift, rät Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum. Die Grenzwerte für die Aktivierung müssten sich dann an klaren Maßzahlen der Krankheitslast (zum Beispiel Übersterblichkeit, Belastung des Gesundheitswesens, und weitere) ebenso wie der Impfstoffwirksamkeit in der konkreten Situation bemessen. Doch dabei müsse man bedenken, dass eine Umsetzung der Impfpflicht mehrere Wochen Vorlauf benötige, um ihre Wirksamkeit zu entfalten. „Dies müsste bei der Wahl der aktivierenden Grenzwerte berücksichtigt werden“, so Krause.
Immerhin einen Lichtblick gibt es: Am Montag werden erste Lieferungen des kommen. Erwartet werden 1,4 Millionen Dosen und in der Woche darauf noch eine Million Dosen. Die Gesundheitsminister der Länder hatten sich dafür ausgesprochen, das Präparat vorrangig Beschäftigten im Gesundheitswesen anzubieten. Novavax könnte eine Alternative für Menschen sein, die Vorbehalte gegen die bisherigen mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna haben. (mit dpa)