Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist die Sache klar: Kommt die allgemeine Impfpflicht nicht rechtzeitig, droht schon in wenigen Monaten wieder eine Überlastung des Gesundheitssystems durch Corona-Patienten. "Wir stehen im Herbst an der gleichen Stelle wie jetzt, wenn wir diese einmalige Chance nicht gemeinsam ergreifen", warb der SPD-Politiker im Bundestag für die Einführung einer verpflichtenden Immunisierung für alle Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren.
Am Donnerstag haben die Beratungen über das umstrittene Thema begonnen, über das Anfang April abgestimmt werden soll – ohne die sonst üblichen Fraktionsvorgaben. Lauterbach sprach daher auch nicht in seiner Funktion als Bundesgesundheitsminister, sondern als Abgeordneter. Lauterbach betonte, dass die vorhandenen Impfstoffe wirkten, um schwere Krankheiten und Tod zu verhindern. "Die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Herbst keine Schwierigkeiten haben, die Corona-Pandemie zu bekämpfen, liegt bei fast null Prozent", sagte der SPD-Politiker mit Blick auf erwartete weitere Virus-Wellen. "Das ist fast so wahrscheinlich, als dass wir gar keinen Herbst bekämen."
237 Abgeordnete unterstützen eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren
Den Antrag, eine Impfpflicht ab 18 Jahren einzuführen, unterstützen laut Heike Baehrens, der gesundheitspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion, 237 Abgeordnete aus vier Fraktionen. Für eine Mehrheit im Parlament mit seinen 736 Mitgliedern sind das aber zu wenig. Und die Meinungen gehen weit auseinander. Völlig gegen eine Impfpflicht spricht sich ein Antrag von FDP-Vize Wolfgang Kubicki aus. Sein Parteifreund Manuel Höferlin argumentierte, eine Impfung schütze zwar vor schweren Erkrankungen oder Tod, eine Pflicht lasse sich daraus aber nicht ableiten. Er verwies auf das Nachbarland Österreich, wo eine Impfpflicht zunächst eingeführt, dann aber ausgesetzt wurde. Gregor Gysi von der Linkspartei sieht das genauso: "Ich bin ein strikter Gegner der allgemeinen Impfpflicht. Bei Masern war ich dafür, weil das die Krankheit ausrottete, das schafft der Impfstoff hier nicht."
Auch die AfD lehnt eine Impfpflicht ab und hat einen eigenen Antrag dazu formuliert. "Sie reiten ein totes Pferd, bitte steigen Sie ab", sagte Fraktionschefin Alice Weidel in Richtung der Befürworter. Es gebe "keine legitime und verfassungsrechtlich zulässige Rechtfertigung für die Einführung einer Impfpflicht gegen Covid-19".
FDP-Gesundheitsexperte schlägt Mittelweg vor
Eine Art Mittelweg zwischen den beiden Positionen schlägt ein auch aus anderen Fraktionen unterstützter Antrag des FDP-Gesundheitsexperten Andrew Ullmann vor. Menschen ab 50 Jahren, einer besonders durch Corona gefährdeten Altersgruppe, sollten zuerst eine Impfberatung wahrnehmen. Erst wenn sich dadurch keine Steigerung der Impfquote einstellen sollte, wäre eine Impfpflicht der nächste Schritt.
Die Union hat einen eigenen Vorschlag ausgearbeitet: Eine Art gestaffelte Impfpflicht auf Vorrat. Grundlage wäre demnach, zunächst ein Impfregister einzurichten, in dem die Informationen über den Impfstatus der Deutschen erfasst werden. Aufgrund dieser Daten soll dann ein abgestufter Impfmechanismus greifen, der bei Bedarf vom Bundestag aktiviert werde. Je nach Schwere der Pandemielage könne das auch eine Impfpflicht für bestimmte Altersgruppen sein. Das Impfregister ist ein Knackpunkt in der Debatte. CDU und CSU mit ihren 197 Abgeordneten möchten davon nicht abrücken. Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der Union, hatte bereits am Vortag der Bild-Zeitung gesagt: „Eine allgemeine Impfpflicht wird es mit uns nicht geben. Sie hat keine Mehrheit im Parlament, vor allem wäre sie wissenschaftlich und verfassungsrechtlich fragwürdig.“ Gesundheitsminister Karl Lauterbach dagegen fürchtet, dass die Einrichtung eines Impfregisters so lange dauern würde, dass eine Impfpflicht dann zu spät käme. "Ja, die Impfpflicht kommt zu spät für die Omikron-Welle, aber mit Ihrem Vorschlag kommt sie zu spät für alle weiteren Wellen", warf er der Union vor.
Ein Ergebnis der Impfpflicht-Abstimmung deutet sich noch nicht an
Nachdrücklich warb auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für eine allgemeine Corona-Impfpflicht. "Bringen wir diese Pandemie endlich hinter uns, erledigen wir das Virus und kehren wir dann zur Freiheit zurück", sagte er. Mit rein freiwilligen Impfungen "kriegen wir nicht den Grundschutz in der Gesellschaft". Habeck sagte: "Die Freiheitsinterpretation der wenigen darf nicht zur permanenten Freiheitseinschränkung der vielen führen."
Wie die Abstimmung am Ende ausgehen wird, ist auch nach der ersten Beratung nicht absehbar. Am Montag steht im Parlament dazu eine Experten-Anhörung auf der Tagesordnung. Vorgesehen ist eine Abstimmung über die verschiedenen vorliegenden Anträge ohne die sonst übliche Fraktionsdisziplin. Sie ist in drei Wochen geplant.