Für AfD-Fraktions- und Parteichefin Alice Weidel ist der Durchbruch erreicht: "Merz' Brandmauer ist Geschichte – und Thüringen erst der Anfang", kommentierte sie die folgenreiche Abstimmung über die Senkung der Grunderwerbsteuer im Thüringer Landtag. Eigentlich hatte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz diese Mauer verteidigen wollen. Eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es für die CDU nicht geben. Nun hat seine Partei im Erfurter Landtag jedoch mit jener Partei und der FDP die Steuersenkung durchgebracht, um Häuslebauer zu entlasten. In der CDU brach sofort Feuer aus, hohe Parteifunktionäre widersprachen sich gegenseitig, ob sie jetzt einem Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten oder nicht, wie es der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) formulierte.
Vor einigen Wochen hatte der Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, Maximilian Krah, die Zerstörung der CDU als Ziel ausgerufen. Dann, so sein Argument, sei der Weg für die Rechte frei. In Frankreich ist das bereits geschehen, wo die konservativen Republikaner auf nationaler Ebene keine Rolle mehr spielen und ihnen der rechtspopulistische bis rechtsradikale Rassemblement National (früher Front National) den Rang abgelaufen hat.
Die AfD setzt auf die Wahlen im Osten
Die AfD setzt vor allem auf die drei Landtagswahlen in Ostdeutschland, die im kommenden Jahr anstehen. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg führt die AfD die Umfragen mit großem Vorsprung an und liegt jenseits der 30-Prozent-Marke. Kann die Partei diese Stärke halten, wird es schwieriger, Politik gegen sie zu machen. Um die AfD aus der Regierung fernzuhalten, müsste die CDU womöglich ihre andere Brandmauer schleifen und mit der Linkspartei koalieren, die sich im Osten noch hält.
CDU-Chef Merz zog es zunächst vor, sich nicht öffentlich zu der Erschütterung zu äußern. Für seinen Kurs attackiert wurde er von dem Grünen-Politiker Toni Hofreiter. "Merz schlägt einen gefährlichen Weg für unser demokratisches System ein. Das zeigt sich am Agieren der CDU in Thüringen ganz deutlich. Diesem Agieren bereitet Merz von Berlin aus den Weg", sagte er unserer Redaktion. Dabei werde eine starke CDU gebraucht, die sich auch in einer Minderheitsregierung wie in Thüringen konstruktiv einbringe, so Hofreiter.
Die Abstimmung in Thüringen bringt auch FDP-Chef Lindner in Probleme
Die beschlossene Steuersenkung in Thüringen bringt auch FDP-Chef Christian Lindner in Erklärungsnot. Vor drei Jahren sendete die Wahl des Liberalen Thomas Kemmerich zum Thüringer Kurzzeit-Ministerpräsident Schockwellen durch die gesamte Republik, weil er mit den Stimmen der AfD durch das Ziel ging. "Für uns ist klar, mit der AfD kann es kein Zusammenwirken geben, und zwar aus folgendem Grund: Natürlich hat selbst die AfD Punkte in ihrem Programm, die sehr gut sind, das meiste davon hat sie nämlich woanders abgeschrieben. Aber das, was die AfD exklusiv vertritt, ist für unser Land von größter Gefahr. Die AfD will, dass Deutschland aus der Nato austritt. Die AfD möchte, dass Deutschland aus der EU austritt. Wenn das passieren würde, dann würden wir uns international politisch isolieren und wir würden unsere Wirtschaft ruinieren, in viel größerer Weise als die Briten das mit dem Brexit getan haben. Und deshalb darf die AfD niemals Macht über diesen Staat erhalten", sagte Lindner im Gespräch mit unserer Redaktion. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass seine Erfurter Parteifreunde gegen sein Gebot verstießen. "Alle Landesverbände sind autonom", meinte der 44-Jährige – und betonte zugleich, dass der Antrag schließlich von der CDU gestellt worden sei und nicht von den Liberalen: "Deshalb ist das jetzt die Verantwortung der CDU." Man solle Ursache und Wirkung nicht verwechseln.
Die CSU hat das umstrittene Vorgehen ihrer Schwesterpartei CDU im Thüringer Landtag verteidigt. "Selbstverständlich dürfen Parteien eigene Anträge einbringen, alles andere würde die Demokratie und die Handlungsfähigkeit der Parlamente lähmen", sagte CSU-Generalsekretär Martin Huber unserer Redaktion. Auch die rot-rot-grüne Minderheitsregierung habe bereits einen Antrag nur mit Hilfe der Stimmen von der AfD durchsetzen können. Huber machte deutlich, dass es bei der CSU keine Zusammenarbeit mit der AfD geben werde. "Die AfD ist ein Sammelbecken aus Rechtsextremen, das Deutschland mit seiner Politik massiv schadet", sagte Huber.
Dass die AfD keine normale Partei ist, sondern ihre extremen Strömungen das politische System des Grundgesetzes überwinden wollen, halten die Verfassungsschützer für gegeben. In Bayern darf ab sofort das Landesamt für Verfassungsschutz die Partei im Freistaat beobachten, wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am Freitag in einem Eilverfahren entschieden hat. Die Richter begründeten ihr Urteil damit, dass tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD bestünden. Der Thüringer Landesverband unter Björn Höcke gilt bei den Verfassungsschützern als gesichert rechtsextremistisch.