Als Tino Chrupalla am Mittwochvormittag den Saal seiner Fraktion im Reichstagsgebäude betritt, wirkt er fit und gesund. Eine Woche ist es her, dass er im Ingolstädter Krankenhaus intensivmedizinisch beobachtet werden musste, nachdem er bei einer Wahlkampfveranstaltung zusammengebrochen war. Er selbst beschreibt seinen Gesundheitszustand "bei 70 Prozent". In einer Pressekonferenz erklärte er sich erstmals zum Vorfall, scheint bei kritischen Nachfragen genervt und bekräftigt, Opfer eines Anschlags geworden zu sein. "Ich will mich nicht an Spekulationen beteiligen, habe aber das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen", sagt er.
Chrupalla präsentierte medizinische Unterlagen, die seinen Angaben zufolge von Ärzten des Klinikums Dresden erstellt worden sind. In den Dokumenten sei demnach von einem vier Millimeter tiefen Stichkanal im Oberarm Chrupallas die Rede. "Das belegt, dass es zu einem Einstich gekommen ist", sagte Chrupalla. Ein Bienen- oder Wespenstich komme als Ursache nicht infrage. Auch eine am Tatort gefundene Pinnwandnadel könne den Einstich kaum verursacht haben. Untersuchungen auf Gifte dauerten noch an, eine Vergiftung mit Quecksilber aber habe ausgeschlossen werden können. Die Aufklärung, sagte Chrupalla, wolle er Polizei und Staatsanwaltschaft überlassen.
Staatsanwaltschaft zu Chrupalla-Vorfall: Weiter kein Anfangsverdacht
Bei dem Vorfall im Wahlkampf in Ingolstadt habe er auf der Bühne plötzlich Kreislaufprobleme, Schwindel und Brechreiz verspürt, sagte der AfD-Politiker. "Mein rechter Arm hat sich bis zum Ellenbogen hart angefühlt", sagte er, "danach bin ich zu Boden gegangen." Kurz darauf habe er einen Blutfleck an seinem rechten Arm entdeckt. Beamte des Bundeskriminalamts hätten daraufhin Maßnahmen der Tatortsicherung durchgeführt. Chrupallas Hemd, Unterhemd und Jacke seien eingezogen worden. Bislang lägen keine forensischen Ergebnisse vor. Die Unterlagen belegten laut Chrupalla "den Angriff auf mich, der als Anschlag zu werten ist".
Nur zwei Stunden nach der Pressekonferenz äußerte sich die Ingolstädter Staatsanwaltschaft erneut zu dem Vorfall. Wie Pressesprecherin Veronika Grieser mitteilt, wurde der Untersuchungsbericht unmittelbar vor Chrupallas Pressekonferenz – um 10.59 Uhr – an die Staatsanwaltschaft übersandt. Aufgrund der Kurzfristigkeit könnten die darin aufgeführten Ergebnisse noch nicht bewertet werden. Allerdings liegt inzwischen das Gutachten zur Kleidung des Politikers vor. Dieses bestätige, so Grieser, dass es sich bei dem von Chrupalla erwähnten Blutfleck auf seiner Kleidung um dessen eigenes Blut handle. Die Blutanhaftung passe nach derzeitiger Einschätzung zur diagnostizierten Einstichverletzung am Oberarm. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konzentrierten sich weiter auf die immer noch offene Frage, wann und auf welche Weise diese Verletzung entstanden sei und wer sie verursacht habe. "Um dies aufzuklären, werden derzeit weitere Zeugen identifiziert und vernommen, Videoaufzeichnungen gesichtet und Begutachtungen vorgenommen", schildert die Sprecherin das weitere Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Es gebe nach wie vor "keinen Anfangsverdacht gegen konkrete Personen".
Vorfall bei Wahlkampfauftritt von AfD-Chef Tino Chrupalla in Ingolstadt
Was war passiert? Nach Angaben der bayerischen Polizei war der AfD-Bundesvorsitzende vor einer geplanten Wahlkampfrede in Ingolstadt am 4. Oktober ins örtliche Klinikum gebracht worden. Er hatte über Übelkeit und Schmerzen im Oberarm geklagt. Nach einer Nacht zur Überwachung auf der Intensivstation konnte Chrupalla das Krankenhaus wieder verlassen. Was genau sich abgespielt hatte, blieb unklar. Die AfD hatte berichtet, dass Chrupalla zuvor mit mehreren Personen für Fotos posiert hatte. Laut Polizei ist es dabei wohl zu "leichtem Körperkontakt" gekommen.
Dem Arztbrief aus Ingolstadt zufolge wurde Chrupalla vermutlich mit einer Nadel in den Oberarm gestochen. Es gab schnell Vermutungen, dass Chrupalla mit einer Spritze ein bislang unbekanntes Mittel injiziert wurde. Die bayerische AfD-Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steiner sprach von einem "gescheiterten Attentat". Die Staatsanwaltschaft hat die Darstellung, dass es sich um einen Angriff handelt, zu keinem Zeitpunkt bestätigt.
Chrupalla kritisiert Pressearbeit der Staatsanwaltschaft Ingolstadt
Chrupalla zeigte sich mit dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft nicht einverstanden. Er habe es bereits abgemahnt, sagte der 48-Jährige. Weiter sei es seiner Ansicht nach nicht mit dem Arztgeheimnis vereinbar, dass Informationen über seinen Gesundheitszustand nach außen drangen. "Warum die Staatsanwaltschaft die Fakten anders darstellt, kann ich nicht bewerten", sagte er. "Ich sehe es als Skandal, dass ich mich als Opfer rechtfertigen muss."
Wie die Staatsanwaltschaft Ingolstadt mitteilt, sei sie aufgefordert worden, jedwede weitere – aus Sicht des AfD-Chefs – "rechtswidrige amtliche Äußerung unverzüglich zu unterlassen". Die Staatsanwaltschaft beurteilt die Situation allerdings anders. Man habe den Auskunftsanspruch der Presse mit den schutzwürdigen privaten Interessen des Betroffenen abgewogen. Ausschlaggebend für die Information der Presse sei schließlich das hohe öffentliche Interesse gewesen, das beim Verdacht eines Angriffs auf einen Politiker während einer Wahlkampfveranstaltung bestehe. Die Herausgabe von wesentlichen Ermittlungsergebnissen sei im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben erfolgt, betont die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Außerdem seien wesentliche Informationen zu Chrupallas Gesundheitszustand der Presse bereits bekannt gewesen.
Chrupalla klagt über Schmerzen und Übelkeit
Nach eigenen Angaben hat sich Chrupalla nach dem Aufenthalt im Klinikum Ingolstadt auf eigenen Wunsch hin zu weiteren Untersuchungen ins Klinikum Dresden begeben. Die behandelnden Ärzte in Ingolstadt hätten sich seiner Aussage zufolge dagegen entschieden, das Hautgewebe zu entfernen und pathologisch untersuchen zu lassen. Dies sei in Dresden geschehen. Zudem habe er weitere Blutproben an private Labore geschickt. Der AfD-Bundeschef wolle damit zur Aufklärung des Falles beitragen und die Ergebnisse an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Es gehe um die Sicherheit auch anderer Parteien, aber "wir sind die, die am meisten angegriffen werden". Laut Daten des Deutschen Bundestages gab es im ersten Halbjahr 2023 121 Angriffe auf Parteirepräsentanten der AfD. Bei Grünen-Politikerinnen und -Politikern verzeichnet der Bundestag 301 Angriffe, gefolgt von der SPD mit 153 Angriffen.
In den fraglichen Minuten nach seinem Eintreffen in Ingolstadt sei er zunächst "von eigenen Leuten begrüßt" worden. Danach habe es eine Reihe von Selfie- und Autogrammwünschen gegeben. Einige Personen hätten dabei den Arm um seine Schulter gelegt. Minuten später habe er dann Schmerz und Übelkeit verspürt sowie die Einstichstelle festgestellt. Noch immer fühle er sich nicht gänzlich gesund und klage über Übelkeit und Appetitlosigkeit.