Es ist nicht weniger als der Untergang des gemäßigten Lagers, der sich beim AfD-Parteitag in Riesa vollzogen hat. Nach dem Austritt des langjährigen Mit-Vorsitzenden Jörg Meuthen im Januar geben nun endgültig die rechtsextremen Kräfte weitgehend den Ton bei den Rechtspopulisten an. Die verhältnismäßig moderaten Mitglieder dagegen konnten praktisch keine wichtigen Posten für sich gewinnen.
Als Gewinner des Wochenendes in der sächsischen Provinz kann sich Rechtsausleger Björn Höcke fühlen - obwohl zwei andere AfD-Leute an die Parteispitze gewählt wurden: Tino Chrupalla und Alice Weidel, die die AfD schon in die Bundestagswahl im vergangenen Herbst führten. Beide gehören der völkisch-nationalistischen Strömung zwar nicht an, sind mit ihr auch nicht immer einer Meinung, werden aber letztlich von ihr unterstützt.
Jörg Meuthen warf das Handtuch
Nach der Wiederwahl von Chrupalla, der nach Meuthens Weggang die Partei in den vergangenen Monaten allein geführt hatte, gab es gleich eine innige Umarmung von Höcke, die wohl zeigen sollte: alles nach Plan gelaufen, ganz im Sinne des "Flügels". Dabei gibt es diese völkisch-nationale innerparteiliche Gruppierung auf dem Papier gar nicht mehr, offiziell hat sie sich längst selbst aufgelöst, unter dem Druck der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Doch die Hauptfiguren der gerade in Ostdeutschland populären Truppe spielen weiter eine große Rolle in der Partei. Allen voran jener Björn Höcke, der Landesvorsitzender von Thüringen ist, aber auch so etwas wie der heimliche Herrscher, ohne den in der Bundespartei kaum etwas geht.
Nach dem gewonnenen Machtkampf mit Meuthen, der eine weitere Radikalisierung der Partei verhindern wollte, hatten viele vermutet, dass Höcke nun selbst nach dem Vorsitz greifen würde. Auf sein Betreiben entschieden die Delegierten, dass künftig auch eine Einzelspitze möglich ist. Dieses Mal wollte es die AfD aber noch bei der Doppelspitze belassen. Höcke räumte in seiner Rede selbst ein, dass eine Kandidatur seiner Person viele Wähler vor den Kopf stoßen würde, hätten ihn doch "die Medien" zum "Teufel der Nation" gemacht. Träte er an die Spitze, würde er "die Partei in gewisser Weise spalten", sagte er. So trat er zwar nicht an, stellte sich aber auffällig hinter Chrupalla und Weidel, bestritt auch, dass er beide nur als Übergangslösung sieht, bis er selbst übernehmen will. "Ich gehe davon aus, dass sich beide bewähren werden", sagte er.
Tino Chrupalla attackiert die Union
Chrupalla allerdings wurde dann nur mit knappen 53,5 Prozent der Stimmen gewählt, ihn machen viele AfD-Mitglieder für die schwachen Ergebnisse der letzten Wahlen verantwortlich. Sein Gegenkandidat, der weitgehend unbekannte, als vergleichsweise gemäßigt geltende Norbert Kleinwächter (36), holte 36, 3 Prozent. Kleinwächter kritisierte zuvor, der Partei mangele es unter Chrupalla an Professionalität, Einheit und Disziplin. Chrupalla wies die Vorwürfe energisch zurück, warf dem gemäßigten Lager vor, der Partei zu schaden. In seiner Bewerbungsrede attackierte er zudem die Union scharf. CDU-Chef Friedrich Merz sei ein "grüner Wolf im schwarzen Schafspelz", wolle einen Weltkrieg und die Impfpflicht.
Alice Weidel setzte sich anschließend mit rund zwei Drittel der Stimmen gegen ihren Gegner Nicolaus Fest durch und wurde damit zur gleichberechtigten zweiten Parteichefin neben Chrupalla gewählt. Das Duo leitet bereits gemeinsam die AfD-Bundestagsfraktion. Nach ihrer Wahl beschworen beide einen "Aufbruch für die AfD". Chrupalla, der Malermeister aus Sachsen, sagte, die "Ära Meuthen" sei "mit dem heutigen Tag beendet". Der frühere Vorsitzende Meuthen, inzwischen zur kleinen Zentrums-Partei gewechselt, wurde auf dem Parteitag von allen Seiten kritisiert, auch bei seinen früheren Anhängern fand sich öffentlich kein gutes Wort über ihn.
Bei der Besetzung der übrigen Spitzenposten konnte das innerparteilich gemäßigte Lager keinen einzigen Erfolg verbuchen. Funktionäre aus dem ehemaligen Meuthen-Spektrum traten entweder gar nicht mehr an oder wurden nicht gewählt. Gescheitert mit ihrer Bewerbung für den stellvertretenden Parteivorsitz ist auch die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach.
Die 78-jährige Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung unterlag dem Bundestagsabgeordneten Peter Boehringer, der als Verschwörungsideologe gilt, in einer Kampfabstimmung. Weitere stellvertretende Parteichefs sind der Höcke-Vertraute Stephan Brandner und Mariana Harder-Kühnel. Mit der Bundestagsabgeordneten Christina Baum wurde eine weitere Höcke-nahe Figur zur Beisitzerin bestimmt. Höcke selbst wurde die Leitung einer Kommission zur Parteistruktur übertragen - ein Gremium, das ein strategisches Machtzentrum der AfD bilden soll.
Der lange Schatten des Flügels
In das Schiedsgericht der Partei wurde der frühere Flügel-Mann Roland Ulbrich gewählt, der ankündigte, mit ihm werde es wegen einer "Teilnahme an einem Zeltlager vor der AfD-Gründung" kein Parteiausschlussverfahren geben. Gemeint war offensichtlich der Fall Andreas Kalbitz. Der Brandenburger Landeschef war 2020 aus der Partei ausgeschlossen worden, weil er 2007 an einem Camp einer später verbotenen Neonazi-Truppe teilgenommen hatte. Mit einem Antrag, Kalbitz' Auftrittsverbot bei AfD-Veranstaltungen zurückzunehmen, wollte sich der Bundesparteitag nicht befassen. Möglicher Hintergrund: In diesem Herbst stehen die Wahlen in Niedersachsen an. Anders als im Osten der Republik ist in den westlichen Bundesländern mit der extrem rechten Rhetorik der Flügel-Anhänger wenig zu gewinnen. Der Verfassungsschutz führt die gesamte Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall.
Eine Gegendemonstration vor dem Tagungsort fiel verhältnismäßig klein aus. Nach Angaben der Polizei demonstrierten rund 300 Menschen, sie zeigten etwa Plakate mit der Aufschrift "Keine Alternative für Deutschland". Die schwache Resonanz dürfte nicht zuletzt an der sengenden Hitze gelegen haben.