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Abtreibungsgesetz: Beginnt der Kampf um Paragraf 218 von vorn?

Abtreibungsgesetz

Beginnt der Kampf um Paragraf 218 von vorn?

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    Abtreibungsgegner und Befürworter eines Rechtes auf Selbstbestimmung stehen sich unversöhnlich gegenüber.
    Abtreibungsgegner und Befürworter eines Rechtes auf Selbstbestimmung stehen sich unversöhnlich gegenüber. Foto: Thomas Banneyer, dpa

    Der Tag, an dem in den USA ein gesellschaftliches Erdbeben für größtmögliche Erschütterungen gesorgt hat, liegt fast zwei Jahre zurück. Der Supreme Court, das höchste Gericht der Vereinigten Staaten, hatte damals das fast 50 Jahre lang in der Verfassung verankerte Recht auf Abtreibung gekippt. Abtreibungsgegner lagen sich jubelnd in den Armen, Frauenrechtlerinnen vergossen Tränen der Verzweiflung. Die gesellschaftlichen Gräben sind tiefer als der Grand Canyon. Und selbst die Nachbeben blieben bis heute gewaltig: In Arizona setzten in dieser Woche Richter ein Abtreibungsverbot in Kraft, das aus dem Jahr 1864 stammt. Der überhitzte Streit über das Recht auf weibliche Selbstbestimmung könnte nach Ansicht von Experten zum bestimmenden Thema des amerikanischen Wahlkampfes werden.

    Einen Kulturkampf, wie ihn die Vereinigten Staaten erleben, mag in Berlin noch niemand herbeireden. Doch die Nervosität ist fast mit Händen greifbar. Denn auch in Deutschland könnte die Debatte um den Paragrafen 218 alte Wunden wieder aufreißen. Das sorgt viele Abgeordnete und auch Kanzler Olaf Scholz. „Dem Bundeskanzler ist sehr daran gelegen, dass das Thema mit der nötigen Sensibilität und dem nötigen Respekt diskutiert wird“, versichert Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. Und in einem Punkt sind sich Ampel und Union einig: Die geplante Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs wird für viel Unruhe sorgen. 

    Expertenkommission stellt am Montag Möglichkeiten zur Regulierung von Abtreibungen vor

    Bei der Regierungsbildung verabredeten sich SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag auf die Einsetzung einer „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“. Die Gruppe mit 18 Expertinnen und Experten aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Soziologie, Gesundheitswissenschaften, Ethik und Rechtswissenschaften begann im März vergangenen Jahres mit der Arbeit. Arbeitsgruppe 1 hatte den Auftrag, „Möglichkeiten der Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ zu erarbeiten. An diesem Montag sollen Vorschläge präsentiert werden. Sie sind kein Gesetzentwurf, sondern Grundlage für die weiteren Beratungen in der Regierung sowie im Bundestag

    Aus einer Arbeitsfassung des Berichts, die unserer Redaktion vorliegt, lässt sich folgendes Bild ableiten: Derzeit sind Abtreibungen grundsätzlich rechtswidrig. Sie bleiben jedoch straffrei, wenn sie in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft vorgenommen werden. Die Kommission hat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung und schlägt eine grundlegende Kursänderung vor: Sie will Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen legalisieren. In der Frühphase der Schwangerschaft „sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlauben“, heißt es in dem Bericht, der von der Kommission einstimmig verabschiedet wurde. 

    Sorge vor unversöhnlicher Debatte über Abtreibungen

    Für die Zeit zwischen der 12. und der 22. Woche (mittlere Phase der Schwangerschaft) wird dem Gesetzgeber von den Expertinnen und Experten ein Ermessensspielraum eingeräumt. Dabei soll gelten, dass ein Abbruch umso zulässiger ist, je kürzer die Schwangerschaft besteht. Verboten sein soll ein Schwangerschaftsabbruch, sobald der Fötus eigenständig lebensfähig ist. Das gilt nach mehrheitlicher Einschätzung in der Medizin ab der 22. Schwangerschaftswoche, einige Fachleute setzen dafür auch die 24. Woche an. 

    Seit jeher sei die ethische sowie rechtliche Vertretbarkeit eines Schwangerschaftsabbruchs umstritten und die damit verbundenen gesellschaftlichen Kontroversen würden „teilweise erbittert und unversöhnlich geführt“, heißt es einleitend im Papier der Arbeitsgruppe. 

    Im Kanzleramt fürchtet man genau das. Vize-Regierungssprecherin Hoffmann kündigte „eine gründliche und der gesellschaftspolitischen, ethischen und rechtlichen Komplexität der Thematik angemessene Diskussion über die Vorschläge und über die Schlüsse, die man daraus ziehen will“ an. Es handele sich um ein Thema „mit einem großen Potenzial zur Polarisierung“, die in vielen Gesellschaften zu sehen sei, sagte sie mit Blick auf die teils heftigen Debatten im Ausland. „Es geht uns sehr darum, eine solche Polarisierung und eine solche Schärfe zu vermeiden“, mahnte sie. 

    Paus: Schwangere sollen selbst entscheiden

    Im Wahlkampf mit Scholz als Spitzenkandidat hatte sich die SPD für die Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch ausgesprochen. Ob er daran festhält, ist, Stand jetzt, offen. In der SPD versucht man, möglichst viele Argumente abzuwägen. „Ich finde, dass die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nicht ins Strafgesetzbuch gehört, weil es aus meiner Sicht eine Stigmatisierung der Frauen ist“, sagt die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast. Bei den Grünen hofft man auf eine Neuordnung. Bundesfamilienministerin Lisa Paus sagte schon im vergangenen Jahr in einem Interview mit der Funke Mediengruppe: „Wer anders als die Schwangeren selbst sollte entscheiden, ob sie ein Kind austragen möchten oder können? Wer anders als die Frauen selbst sollte darüber entscheiden, wann und in welchen Abständen sie Kinder bekommen?“ Das Strafgesetzbuch sei nicht der richtige Ort, um eine solch existenzielle Frage zu regeln. "Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, dürfen nicht länger stigmatisiert werden", sagte die Ministerin. 

    Falls die Ampel die Vorschläge der Kommission übernimmt, muss sie mit scharfem Widerstand der Opposition rechnen. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei erinnert an die 90er-Jahre. Nachdem der Paragraf 218 mehrfach geändert worden war, wurde 1992 der Entwurf für das „Schwangeren- und Familienhilfegesetz“ vorgelegt. Er sah eine gesamtdeutsche Fristen- und Beratungslösung vor: Schwangerschaftsabbrüche sollten bis zur zwölften Woche nach der Befruchtung erlaubt sein, eine Beratung wurde vorausgesetzt. 

    Die bayerische Landesregierung sowie 247 Abgeordnete von CDU und CSU erwirkten eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, es wurde vereinbart, das Inkrafttreten des neuen Gesetzes bis zur abschließenden Entscheidung auszusetzen. Ende Mai 1993 legte Karlsruhe ein Urteil vor, das als Kompromiss gewertet wurde und den „bis dahin heftigen Streit befriedete“, wie Frei erklärt. Das Gericht blieb zwar beim grundsätzlichen Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs, stellte gleichzeitig aber fest, dass eine Abtreibung straffrei bleiben könne, „wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird“ und ein Beratungsgespräch stattgefunden habe. Letzteres wiederum ist in Paragraf 219 des Strafgesetzbuches geregelt. 

    Frei ärgert, dass die Ampel das Thema aufgreife und damit riskiere, „dass absehbar gesellschaftliche Konfliktlinien neu aufreißen werden“. Er halte das „für grundfalsch“. Karlsruhe habe damals ein ausgewogenes Urteil vorgelegt, das das Selbstbestimmungsrecht der Frau einerseits und das Lebensrecht des ungeborenen Kindes andererseits berücksichtige. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnt: „Sollte sich die Koalition das zu eigen machen, dann würde das zwangsläufig dazu führen, dass wir klagen in Karlsruhe.“ 

    Bayerns Familienministerin Ulrike Scharf kritisiert zu einseitigen Blick auf Frauen

    Auch die bayerische Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) droht mit dem schärfsten Schwert. "Wir können das so nicht stehen lassen", sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Grundsätzlich bedauere sie, dass die Diskussion "sehr einseitig und sehr extrem" geführt werde. "Wir haben jetzt ein geltendes Recht und einen gut austarierten Kompromiss gefunden, der beide Rechtsbereiche berücksichtigt." Abtreibung sei nun einmal Beendigung von Leben. "Die Diskussion, die im Moment geführt wird, ist mir viel zu einseitig, es geht fast ausschließlich um das Selbstbestimmungsrecht der Frau", sagt Scharf. "Die Frauen haben eine Stimme, mit der sie sich äußern können, ein ungeborenes Kind hat das nicht." Sie nehme aber wahr, dass in der Gesellschaft das Selbstbestimmungsrecht der Frau eine immer größere Rolle spiele. "Aber das wird natürlich durch die politische Debatte gezielt befeuert. Und aus meiner Sicht ist das unverantwortlich, das in diesen Zeiten losgetreten zu haben." Bundesfamilienministerin Paus befördere ohne Not einen Konflikt. "Aber es ist eben der feste Wille der Bundesfamilienministerin, das jetzt durchzuziehen. Das wühlt viele Menschen auf", sagt sie. 

    Und zwar auf der einen, wie auf der anderen Seite. Diejenigen, die von einer Aufweichung der Regeln nichts halten, gehen am Samstag in München auf die Straße. In der bayerischen Landeshauptstadt findet der "Marsch fürs Leben" statt, organisiert vom Verein "Stimme der Stillen". Die Initiatoren, christlich motivierte Abtreibungsgegner, hoffen auf mehrere Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer. 

    Die Veranstaltung ist allerdings höchst umstritten. Während einige Kirchenvertreter Werbung für den Marsch machen, rät das 2018 eingerichtete Kompetenzzentrum für Demokratie und Menschenwürde (KDM) der Katholischen Kirche Bayern von einer Teilnahme ab. Gegenüber unserer Redaktion kritisiert das KDM die "mangelnden Bemühungen der Veranstalterinnen und Veranstalter, sich von den Teilnehmenden aus dem radikal beziehungsweise extrem rechten Spektrum abzugrenzen und auch klar zu distanzieren." Natürlich könne nicht jede Person, die am Marsch teilnehme, dem rechten politischen Spektrum zugeordnet werden, dennoch habe es bei vergangenen Veranstaltungen eine "erwiesene Beteiligung von radikalen und extrem rechten Akteurinnen und Akteuren" gegeben. 

    Es sei in der Debatte eine Abgrenzung zu Positionen geboten, die das ethische Konfliktverhältnis von Schwangerschaftsabbrüchen außer Acht ließen und den "Schutz des ungeborenen Lebens absolut setzen, ungeachtet der Rechte der schwangeren Frau auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde, ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie ihr Persönlichkeitsrecht", erklärte das KDM. Ebenso sehe man eine Grenze überschritten, wenn das Thema Lebensschutz mit der Abwertung von queeren Menschen verknüpft werde oder antisemitische Züge trage, etwa indem Vergleiche mit dem Holocaust gemacht würden. 

    Auch Bayerns Familienministerin Scharf bestätigt, dass die Veranstaltung seit Längerem in der Kritik steht. "Dort sind Akteurinnen und Akteure aus dem extremen rechten Spektrum und dem Rechtsextremismus, die immer wieder zur Teilnahme aufrufen und selbst dabei sind. Unter anderem nehmen daran auch AfD-Vertreter teil", sagt die Ministerin. "Aber die Sorge um das Leben ist mit menschenverachtenden, frauenfeindlichen und antisemitischen Ideologien nicht vereinbar."

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