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Abschiebungen: Gefährlicher Ton in der Migrationsdebatte

Kommentar

Die Migrationsdebatte nimmt einen gefährlichen Ton an

Simon Kaminski
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    Wie viel Einwanderung verträgt eine Gesellschaft? Wie kann die Politik über das Thema Migration sprechen, ohne auszugrenzen und zu stigmatisieren? Diese Fragen werden derzeit intensiv verhandelt.
    Wie viel Einwanderung verträgt eine Gesellschaft? Wie kann die Politik über das Thema Migration sprechen, ohne auszugrenzen und zu stigmatisieren? Diese Fragen werden derzeit intensiv verhandelt. Foto: Arno Burgi, dpa

    Politiker und Politikerinnen wollen, ja müssen sichtbar sein. Also, wird zugespitzt. Gerade wenn man vom zweiten oder dritten Rang aus um Aufmerksamkeit buhlt und gerade, wenn ein Thema emotional ist. So wie die Migrationspolitik, nach der tödlichen Messerattacke von Solingen, nach den Erfolgen der rechtsextremen sächsischen und thüringischen AfD bei den Wahlen im Osten.

    Politiker sollten immer auch mitdenken, welche Wirkung der Ton ihrer Beiträge hat

    Es ist nicht zu viel verlangt, dass Politiker immer auch mitdenken, welche Wirkung der Ton ihrer Beiträge hat. Genau dieser Punkt gerät in der aufgeheizten Debatte über Abschiebungen, Obergrenzen und Zurückweisungen zunehmend in den Hintergrund.

    Es ist notwendig, sich mit den Folgen der Migration offen und ohne Denkverbote zu beschäftigen. Viele Kommunen sind völlig überlastet, in der Bevölkerung wächst die Angst angesichts der Taten islamistischer Gewalttäter. Der Staat muss, soweit es möglich ist, die Kontrolle darüber behalten, wer zu uns kommt. Die Überforderung durch irreguläre Migration liegt auf der Hand. Kurz: Die Zahlen müssen runter.

    Die Versuchung, noch stärker zuzuspitzen

    Das ist das eine, das andere ist, wie jetzt diskutiert wird. Bundeskanzler Olaf Scholz, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, Friedrich Merz, Finanzminister Christian Lindner – alles Politiker, die nicht darum kämpfen müssen, sichtbar zu sein. Gerade von Vertretern dieser Kategorie muss man erwarten, dass sie abwägend formulieren. Doch auch sie erliegen mitunter der Versuchung, auf eine Weise zuzuspitzen, die auf Dauer schädlich ist.

    Was oft fehlt, ist ein Hinweis auf die Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln, die bei uns leben, arbeiten, ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten. Sie leiden unter dem Misstrauen, das ihnen verstärkt entgegenschlägt. Sie gehören seit vielen Jahren zu Deutschland – wie Fußball, Kreuzberg, Gillamoos, Bayern und die Bahnhofsmissionen.

    Was fehlt, sind Worte der Empathie für Frauen, Männer und Kinder aus Syrien, Afghanistan oder der Türkei, die tatsächlich vor Krieg, Gewalt und islamistischem Terror Schutz suchen. Es fehlt ebenfalls der Hinweis, dass nur ein Bruchteil der Muslime im Land Sympathien für islamistischen Terror hegt; darauf, dass es gerade aus deutscher Sicht Wahnwitz ist, Migration und Zuwanderung mit ständig negativen Zuschreibungen zu diskreditieren. Ganz abgesehen davon, dass so auch die umworbenen, dringend benötigten Fachkräfte aus dem Ausland abgeschreckt werden.

    Es geht nicht darum, Konflikte zuzukleistern

    Es geht nicht darum, Konflikte zuzukleistern, wie es gerade Politiker des linken Spektrums gerne taten und tun. „Liebe Ausländer, lasst uns nicht mit den Deutschen allein“ – dieser Spruch wurde in Berlin in den 90er Jahren auf viele Hauswände gesprüht. Da die edlen Flüchtlinge, hier die bösen Einheimischen. Auch das ist natürlich Unsinn. Doch wenn Akteure etablierter Parteien so klingen, als wollten sie mit AfD-Sound punkten, sollten sie daran denken, dass sie damit eher Werbung für das Original machen.

    Dass die Ampel-Regierung ein beklagenswertes Bild abgibt und erst jetzt hektisch und unkoordiniert auf die dysfunktionale Migrationspolitik reagiert, kritisiert die Union völlig zurecht. Allerdings gaben auch von CDU/CSU geführte Bundesregierungen in vergangenen Flüchtlingskrisen kein sehr viel besseres Bild ab. Diese Einsicht sollte auch wenige Tage vor den Landtagswahlen in Brandenburg ein weiterer Grund dafür sein, die viel beschworene staatspolitische Verantwortung gemeinsam wahrzunehmen, um praktikable Lösungen zu finden.

    In den 90er Jahren brannten Asylbewerberunterkünfte

    Die hitzige Atmosphäre in den 90er Jahren mit brennenden Asylbewerberunterkünften ist Warnung genug. Und zwar nicht davor, sachlich über die Steuerung von Migration oder die Gefahr durch islamistischen Terror diskutieren, sondern vor einem Populismus, der diesem Land schadet.

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    16 Kommentare
    Peter Pfleiderer

    "Viele Kommunen sind völlig überlastet, in der Bevölkerung wächst die Angst angesichts der Taten islamistischer Gewalttäter. " - Die Reduzierung der Gewalt auf "Islamismus" ist ein rhetorischer Ansatz, der den Check in der Wirklichkeit nicht besteht. Der ganz überwiegende Teil der Gewalt ist nicht explizit religiös begründet. Kevin Kühnert relativierte auch, als er mit leidendem Blick verkündete, dass "Islamisten" ihm und seinem Lebenspartner nicht ihr Leben gönnen wollten. Man dreht das Narrativ weiter: "...fehlt ebenfalls der Hinweis, dass nur ein Bruchteil der Muslime im Land Sympathien für islamistischen Terror hegt..." - So einfach ist es auch wieder nicht; die Taliban regieren Afghanistan, weil sie von einer klaren Bevölkerungsmehrheit unterstützt wurden und nur so mal eben die US Armee aus dem Land vertreiben konnten.

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    Maria Reichenauer

    Von Ihrem sicheren Sofa können Sie viel erzählen. Demnach hat eine klare Bevölkerungsmehrheit die Nazis im Dritten Reich unterstützt? Vielleicht war es so, aber es gab auch viele, die mit ihrem Leben den Widerstand bezahlt haben oder die aus Angst einfach mitgelaufen sind. Und in Afghanistan ist es ähnlich. Wer den Taliban treu ergeben ist, wird das Land ja nicht verlassen. Wer aus dem Land wegwill, weil er nicht die Kraft und/oder nicht die Mittel hat zu opponieren, der hat die A-Karte, selbst wenn er sich in Gefahr gebracht hat, weil er für die Deutschen gearbeitet hat. Und der deutsche Sicher-auf-dem-Sofasitzer sagt NO und Haut ab! So einfach ist es, meinen Sie? Richtig ist, dass die Mehrheit der Muslime weder gewaltbereit ist noch den IS unterstützt.

    Peter Pfleiderer

    @ Frau R.: „Man soll nicht vergessen und sich nicht ausreden lassen, daß der Nationalsozialismus eine enthusiastische, funkensprühende Revolution, eine deutsche Volksbewegung mit einer ungeheuren seelischen Investierung von Glauben und Begeisterung war.“ (Thomas Mann) - P.S. Dann geht es ja Homosexuellen in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit ganz prima?

    Fabian Ludwig

    Wenn 65 % der Grundschüler und 80 % der Mittelschüler (manche sogar deutlich mehr) in Augsburg einen Migrationshintergrund haben, kann eine Integration nicht funktionieren. Deutsche Kinder werden in einigen Schulen gemobbt, weil sie deutsch sind. Die "Last" muss aufgeteilt werden. Als Ansatz könnte man Dänemark nehmen. Dort gibt es bereits Modelle, bei welchen Einheimische für den Einzug in Gegenden mit einem hohem Migrationshintergrund-Anteil „unterstützt“, „gesponsert“ werden. Eine Art Test bzw. Nachweis, ob die Deutschkenntnisse sich verbessen sollte, wie ich finde, auch vorgeschrieben werden. Nur wer sich wirklich integriert und Teil unserer Gesellschaft werden will sollte bleiben dürfen.

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    Maria Reichenauer

    Können Sie diese Zahlen belegen oder sind Ihre Ausführungen ein subjektiver Eindruck? Dass sich Intergration nicht wirklich positiv auswirkt auf die Aufenthaltserlaubnis, sieht man an vielen Menschen, die trotz Integration und Arbeitsplatz abgeschoben wurden oder gegen ihre Abschiebung kämpfen müssen – aktueller Fall der junge Ägyper, der in einer Kleinaitinger Firma arbeitet und dessen Abschiebung den Arbeitgeber durchaus in Schwierigkeiten bringen wird.

    Fabian Ludwig

    Die Zahlen sind von der Augsburger Allgemeine selber. Den Artikel findet man unter dem Titel "Rund 65 Prozent der Augsburger Grundschüler haben Wurzeln im Ausland". Der Artikel stammt aus dem Jahr 2020, der Anteil ist wahrscheinlich mittlerweile noch höher, da wie die dieser jedes Jahr leicht steigt.

    Gerhard Sylvester

    Ich denke nicht, dass die "dringend benötigten Fachkräfte aus dem Ausland" angesichts der Deindustrialisierung und Firmenverlagerung in andere Länder noch alle gebraucht werden.

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    Raimund Kamm

    Solche Falschaussagen werden gerne von Putins Propagandisten und der AFD wie dem BSW verbreitet. Die Fakten sind anders: a) Unsere Wirtschaft produziert (gemessen am preisbereinigten BIP) so viel wie nie zuvor. Die Zahl der Erwerbstätigen ist auf Rekordniveau. b) Das kleine Deutschland ist die drittgrößte Exportnation der Welt. c) Es gibt durch Digitalisierung, Dekarbonisierung und Globalisierung großen Veränderungsdruck für die Industrie aber auch für Handwerk und Gewerbe. Aber es gibt keine Anzeichen von Deindustrialisierung schrieb vor einem Jahr die Bundesbank. https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/themen/ist-das-geschaeftsmodell-deutschland-in-gefahr--915902 Auch Ihre Falschaussage zeigt, dass es in Deutschland an Wissen und Bildung fehlt. Und das ist ein Nährboden für Propaganda.

    Maria Reichenauer

    Vielleicht verlagern manche Firmen ihren Sitz ins Ausland, gerade weil sie dort genügend Arbeitskräfte finden? Viele Firmen beklagen, dass sie keine geeigneten Kräfte finden. Fachkräfte sind ja nicht nur Ingenieure, sondern auch Handwerker. Auch gute Produktionshelfer, Servicekräfte, Pflegekräfte, Reinigungskräfte und Dienstleister müssen oft mühsam gesucht werden – oft vergeblich oder mit Ansprüchen, die kleinere Firmen nicht bedienen können. Sie denken da sehr pauschal, schauen Sie sich um im Land.

    Franz Xanter

    Immer wieder wird auch von Fachkräften im Migrantenstatus gesprochen. Zur Realität gehört aber auch, dass die wenigsten der Migranten einem Facharbeiterstatus zuzuordnen sind. Bedingt durch schulische, berufliche Möglichkeiten, Entwicklungen, Gegebenheiten in ihrem Land sind meist nur Hilfs- bzw. einfache Berufstätigkeiten möglich. Und wenn entsprechendes Fachpersonal hier arbeiten möchte, dann dauert es u.U. Monate bis hin zu Jahren, bis entsprechende Ausbildungsdokumente anerkannt sind. Glaubt denn da jemand ernsthaft, dass DEU ein bevorzugtes Land für Migranten im Status Facharbeiter bzw. höher ist? Sicherlich nicht, denn andere Länder sind da wesentlich flexibler!

    Thomas Keller

    Dazu möchte ich anfügen das im Handwerk halt Löhne aufgerufen werden um damit eine Familie zu ernähren, und eine Aussicht auf eine Tätigkeit zu haben wenn Knie und Kreuz kaputt sind. Niemand kann für ein Butterbrot arbeiten gehen und wenn er nicht mehr Leistung bringt, einfach durch den Polen, Bulgaren in Finanznöten ersetzt zu werden. In der Altenpflege bedient man sich der Leiharbeit, die Pflege-"Polin" gibts auch schon die sich manch gut situierter Haushalt leistet. In China wird das iPhone zusammengesetzt weil dort Arbeitskraft und Menschenleben systembedingt nichts wert sind. Ausserdem existiert der Shareholder-Value und Unternehmen müssen jedes Jahr höhere Gewinne für die Aktionäre einfahren. Aber, es ist noch nicht zu spät, es gibt sehr gute Lehrlinge bei uns die etwas erreichen wollen und dies tun. Diese waren auch schon immer schlauer als taxifahrende Theaterwissenschaftler.

    Maria Reichenauer

    Woher nehmen Sie diese Erkenntnis? Meinen Sie tatsächlich. Migranten sind weder lernfähig noch haben sie eine entsprechende Schulbildung? Das ist doch recht von oben herab gedacht. Außerdem werden nicht nur Akademiker gesucht, sondern Leute, die arbeiten wollen. Man kann jemand zur Fachkraft schulen und ausbilden. Wenn man diese Kraft dann abschiebt, ist es einfach nur dumm und unwirtschaftlich. Würde man den Arbeitsmarkt für Geflüchtete leichter zugänglich machen, hätte vielleicht mancher Betrieb weniger Probleme. Auf dem hohen Ross sitzen die Deutschen ja gerne, aber manchmal fallen sie damit auch auf die Nase.

    Walter Koenig

    Zitat: Es ist nicht zu viel verlangt, dass Politiker immer auch mitdenken, welche Wirkung der Ton ihrer Beiträge hat. << Das selbe gilt aber auch für die Medien, Herr Kaminski. Denn die sind auch nicht unschuldig an der gegenwärtigen Stimmung im Lande.

    Raimund Kamm

    Danke, für den Kommentar! Ja, es geht um Menschen. Migration und Fluchten haben sehr viele Aspekte: Fluchtursachen in vielen Ländern, Arbeitskräftebedarf bei uns, Integrationsaufwand, Überforderung Einzelner, ... Darüber kann und soll man politisch diskutieren. Emotionale Überspitzungen und Mißbrauch mit manchen Forderungen im Wahlkampf schaden den Menschen und nutzen den Extremisten von AFD und BSW.

    Maria Reichenauer

    Ein guter Kommetar zur richtigen Zeit. Man sollte nie vergessen, dass es vor allem um Menschen geht, über deren Köpfe man entscheidet. Es geht um Menschen, die schreckliche Dinge gesehen und oft auch selbst erlebt haben. Es geht oft auch um Menschen, die schon jahrelang hier leben und arbeiten, Sozialversicherung zahlen und sich so gut wie möglich integriert haben. Sie nun unter Generalverdacht zu stellen, Messerstecher und Attentäter zu sein, nur weil sie Muslime sind, ist nicht menschlich und nicht gerecht. Und ja, Politiker sollten bedenken, dass unbedachte Worte auch Brandstifter sein können. Aber auch die Medien sind aufgerufen, sich zu fragen, wie oft sie Volkes Meinung zur Steigerung der Auflagen aufgreifen, statt beide Seiten zu sehen. Eine seriöse Presse wird nicht versuchen, sich einen Wettstreit mit der BILD zu liefern. Der Kommentar von Herrn Kaminski hat leider Seltenheitswert – wollen wir hoffen, dass die Brandstifter nie wieder Oberhand bekommen.

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    Richard Merk

    >>Der Kommentar von Herrn Kaminski hat leider Seltenheitswert – wollen wir hoffen, dass die Brandstifter nie wieder Oberhand bekommen.<< Volle Zustimmung für Ihren Kommentar.

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