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Zwickauer Terrorzelle: Thüringer Polizist soll Dienstgeheimnisse an NSU verraten haben

Zwickauer Terrorzelle

Thüringer Polizist soll Dienstgeheimnisse an NSU verraten haben

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    Ein Thüringer Polizist wird verdächtigt, Ende der 90er-Jahre Dienstgeheimnisse an einen Rechtsextremisten aus dem Umfeld der Neonazi-Zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) verraten zu haben (Symbolbild).
    Ein Thüringer Polizist wird verdächtigt, Ende der 90er-Jahre Dienstgeheimnisse an einen Rechtsextremisten aus dem Umfeld der Neonazi-Zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) verraten zu haben (Symbolbild). Foto: dpa

    Ein Thüringer Polizist wird verdächtigt, Ende der 90er-Jahre Dienstgeheimnisse an einen Rechtsextremisten aus dem Umfeld der Neonazi-Zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) verraten zu haben. Trotz Hinweisen von V-Männern auf seine Nähe zum rechtsextremen Milieu soll der Polizist zum Mitarbeiter des Landeskriminalamts und später des Thüringer Verfassungsschutzes aufgestiegen sein. "Entsprechende Unterlagen liegen uns seit wenigen Tagen vor", sagte Martina Renner, die Innenexpertin der Linksfraktion im Thüringer Landtag, dem Internetportal der Tageszeitung "Die Welt".

    NSU-Morde: Lückenlose Aufklärung gefordert

    Die stellvertretende Fraktionschefin Renner, die dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss angehört, verlangt eine lückenlose Aufklärung. Nach ihrer Darstellung ergibt sich aus den Akten, dass der Polizist Sven T. engen Kontakt zur rechtsextremen Kameradschaft Thüringer Heimatschutz (THS) unterhalten haben oder zumindest Sympathisant der Neonaziszene gewesen sein soll. Zudem soll er den Rechtsextremisten Enrico K. vor polizeilichen Maßnahmen gewarnt haben. K. gehörte ebenso wie die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe dem Heimatschutz an.

    Der Polizist Sven T. wurde den Angaben zufolge im Jahr 1999 gleich durch zwei Quellen schwer belastet. Jeweils ein V-Mann des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sowie des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) hatten T. unabhängig voneinander als "national eingestellten Polizisten" eingestuft und über seine engen Kontakte in das Milieu berichtet, erklärt Renner. Beide Bundesbehörden waren alarmiert und reichten die Informationen an das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz weiter.

    Polizist machte Karriere

    Laut Renner blieb dies nach Aktenlage allerdings ohne Konsequenzen. Im Gegenteil: Der Beamte T. machte Karriere. Von der Polizeidirektion Saalfeld/Rudolstadt stieg er zunächst zum Mitarbeiter des Landeskriminalamtes auf und wurde dort mit der Verfolgung von Drogendelikten betraut. Im Jahr 2010 wurde T. dann zum Thüringer Verfassungsschutz abgeordnet und ein Jahr darauf fest eingestellt. "T. hat sogar V-Leute geführt", sagte Renner. Die vorgelegten Organigramme seien jedoch so weitgehend geschwärzt, dass nicht erkennbar sei, in welchem Bereich diese V-Leute eingesetzt gewesen seien.

    Im Dezember 2011, kurz nach dem Tod der mutmaßlichen NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos, wurde Sven T. den Akten zufolge aus dem Verfassungsschutz abgezogen und zur Polizeidirektion Erfurt versetzt. Renner fordert nun, dass die Landesregierung von Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) Auskunft darüber gibt, wie damals mit den Hinweisen der V-Leute umgegangen worden ist. "Wir haben dazu im Untersuchungsausschuss einen Beweisantrag gestellt", sagte Renner dem Internetportal der "Welt".

    Zwickauer Terrorzelle: Zehn Menschen getötet?

    Die NSU-Gruppe - außer Böhnhardt und Mundlos die ebenfalls aus Thüringen stammende Beate Zschäpe - soll für die Ermordung von neun Migranten und einer Polizistin zwischen 2000 und 2007 verantwortlich sein. Außerdem werden der Gruppe zwei Sprengstoffanschläge in Köln 2001 und 2004 mit insgesamt 23 Verletzten sowie eine Serie von Banküberfällen zur Last gelegt. Mundlos und Böhnhardt wurden im November vergangenen Jahres nach einem gescheiterten Banküberfall tot in einem Wohnmobil in Eisenach gefunden. Zschäpe stellte sich später der Polizei und sitzt derzeit in Untersuchungshaft. (afp, AZ)

    Das Neonazi-Trio und seine mutmaßlichen Helfer

    UWE MUNDLOS: Der Professorensohn gilt als intellektueller Kopf der Terrorzelle. Am 4. November tötete sich der 38-Jährige selbst in einem Wohnmobil.

    UWE BÖHNHARDT: Der 34-Jährige soll ein Waffennarr gewesen sein, der schnell und gerne zuschlug. Auch er wurde am 4. November tot in dem ausgebrannten Wohnmobil gefunden, wohl von Mundlos erschossen.

    BEATE ZSCHÄPE: Die 37-Jährige ist als Mittäterin wegen Mordes angeklagt. Sie stammt aus zerrütteten Verhältnissen. Aufgefallen ist die erstmal als 17-Jährige bei mehreren Ladendiebstählen. In einem Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla lernte sie Uwe Mundlos kennen. Mit Uwe Böhnhardt hatte sie später eine Beziehung. Nachdem sie am 4. November 2011 die konspirative Wohnung der Gruppe in die Luft gesprengt hatte, fuhr Zschäpe tagelang mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland, bevor sie sich der Polizei stellte.

    RALF WOHLLEBEN: Der ehemalige NPD-Funktionär sitzt seit dem 29. November 2011 in Untersuchungshaft. Er soll dem Terrortrio 1998 beim Untertauchen finanziell geholfen, ihnen Geld und auch die spätere Tatwaffe zukommen lassen haben. Der 37-jährige Fachinformatiker ist inzwischen zwar nicht mehr NPD-Mitglied. Dass er noch als NPD-Funktionär die NSU unterstützt hat, gilt aber als wichtiges Argument für ein mögliches neues NPD-Verbotsverfahren.

    HOLGER G.: Der am 14. Mai 1974 in Jena geborene G. war der erste mutmaßliche NSU-Helfer, den die Polizei festnahm. G. soll seit Ende der 90er Jahre Kontakt mit dem aus Thüringen stammenden Trio gehabt haben. Den Dreien soll er seinen Führerschein, eine Krankenversichertenkarte und noch im Jahr 2011 einen Reisepass überlassen haben. So soll er ihnen ermöglicht haben, weiterhin verborgen zu agieren und rechtsextreme Gewalttaten zu verüben.

    CARSTEN S.: Der 32-Jährige soll zusammen mit Ralf Wohlleben die Tatwaffe zu den Morden beschafft haben. Nachdem S. umfassend ausgepackt hatte, ließ ihn die Bundesanwaltschaft im Mai nach viermonatiger Untersuchungshaft wieder frei. S. sagte sich nach Auffassung der Ermittler glaubhaft vom Rechtsextremismus los. Außerdem war er zur Tatzeit erst 19 Jahre alt, ihm könnte nach dem milderen Jugendstrafrecht der Prozess gemacht werden.

    ANDRE E.: Dem aus Sachsen stammenden 33-Jährigen wirft die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Sprengstoffanschlag des NSU in der Kölner Altstadt vor. E. soll eine enge Bindung zu dem Trio unterhalten haben. Im Jahr 2006 gab er Zschäpe als seine Ehefrau aus. Er soll den Wohnort der Drei verschleiert haben und ihnen seit dem Jahr 2009 Bahncards beschafft haben. Diese waren auf ihn und seine Frau ausgestellt, jedoch mit den Fotos von Zschäpe und Uwe Böhnhardt versehen.

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