War der mutmaßliche Terrorhelfer NPD-Funktionär? Der am Mittwoch festgenommene mutmaßliche Terrorhelfer Carsten S. soll einem Zeitungsbericht zufolge Funktionär der NPD gewesen sein. Der heute 31-Jährige stand nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes 1999 an der Spitze des NPD-Kreisverbands Jena, wie die "Süddeutsche Zeitung" (Donnerstagsausgabe) berichtete.
S. gehörte dem Thüringer NPD-Landesvorstand an
Außerdem gehörte S. dem Bericht zufolge dem Thüringer Landesvorstand und als Landesvertreter dem Bundesvorstand der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten an.
S. ist demnach der zweite ehemalige NPD-Funktionär, der als mutmaßlicher Helfer der Zwickauer Neonazi-Zelle festgenommen wurde. Bereits seit November sitzt der frühere Vizevorsitzende der Thüringer NPD, Ralf Wohlleben, als mutmaßlicher Unterstützer der Terrorzelle in Untersuchungshaft.
Verfassungsschutz: Direkter Telefonkontakt zum Neonazi-Trio
Nach Informationen der "SZ" soll der in Düsseldorf festgenommene S. Verfassungsschützern bereits 1999 als der Mann aufgefallen sein, der im direkten Telefonkontakt zu dem untergetauchten Neonazi-Trio gestanden haben soll - lange Zeit als Einziger aus der rechtsextremen Szene Jenas.
S. war noch am Mittwoch in Karlsruhe dem Haftrichter vorgeführt worden und sitzt nun in Untersuchungshaft. Der 31-Jährige steht laut Bundesanwaltschaft im Verdacht, Beihilfe zu sechs Morden und einem Mordversuch geleistet zu haben.
Verdächtiger soll Terror-Trio eine Schusswaffe besorgt haben
Er soll 2001 oder 2002 eine Schusswaffe für die Zelle besorgt haben, der nach Erkenntnissen der Ermittler die 1998 untergetauchten Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos angehörten. Die jahrelang unentdeckt gebliebene Zelle wird für die Morde an neun Migranten und einer Polizistin in den Jahren 2000 bis 2007 verantwortlich gemacht. (afp, AZ)
Die Zwickauer Terrorzelle - Chronologie der Ereignisse
Freitag, 4. November: Am Vormittag überfallen zwei Männer eine Bank im thüringischen Eisenach und fliehen. Während der Fahndung stoßen Polizisten auf zwei Leichen in einem Wohnmobil. Beamte hatten Hinweise erhalten, dass ein Caravan bei dem Überfall eine Rolle gespielt haben könnte.
Samstag, 5. November: Ermittler untersuchen die Schusswaffen, die in dem Wohnmobil gefunden wurden.
Montag, 7. November: Unter den Pistolen im Wohnwagen sind die Dienstwaffen der im April 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin Michele Kiesewetter und ihres schwer verletzten Kollegen. Die später identifizierten Männer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, deren Leichen entdeckt wurden, sollen den Banküberfall begangen haben. Sie sollen zusammen mit einer Frau in einer Wohnung in Zwickau gelebt haben, die wenige Stunden nach dem Banküberfall explodiert war. Nach der Frau, Beate Zschäpe, wird gefahndet.
Dienstag, 8. November: Die bundesweit gesuchte Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena. Spekulationen kommen auf, dass die mutmaßlichen Bankräuber eine Verbindung in die Neonazi-Szene gehabt haben könnten. Sie und die verdächtige Frau sollen in Thüringen als rechtsextreme Bombenbauer in Erscheinung getreten sein.
Mittwoch, 9. November: Zschäpe sitzt in U-Haft und schweigt. Nach Aussage von Thüringens Innenminister Jörg Geibert hatten die Männer bis 1998 Verbindungen zum rechtsextremen Thüringer Heimatschutz - danach jedoch nicht mehr. Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen machen die Frau zunächst nur für die Explosion des Wohnhauses in Zwickau verantwortlich.
Donnerstag, 10. November: In den Trümmern des abgebrannten Hauses in Zwickau werden weitere Schusswaffen gefunden.
Freitag, 11. November: Es ist die spektakuläre Wende in dem Fall: Unter den Waffen ist die Pistole, mit der zwischen 2000 und 2006 neun Kleinunternehmer erschossen wurden - Türken, ein Grieche und Deutsche mit Migrationshintergrund. Außerdem entdecken Fahnder rechtsextreme Propaganda-Videos. Diese beziehen sich auf eine Gruppierung mit dem Namen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und enthalten Bezüge zur Mordserie. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe übernimmt die Ermittlungen.
Sonntag, 13. November: Die Bundesanwaltschaft geht erstmals ausdrücklich von Rechtsterrorismus aus. Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Zschäpe wegen des dringenden Tatverdachts «der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung». In Lauenau bei Hannover wird ein mutmaßlicher Komplize festgenommen. Holger G. soll dem Neonazi-Trio 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben. Die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall ist unklar. Politiker fragen, warum die Rechtsextremen, die unter Beobachtung standen und schon 1998 in Jena als Bombenbauer auffielen, so lange unbehelligt blieben.
Montag, 14. November: Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger sagt, die Strukturen des Verfassungsschutzes sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Ihre Frage: «Was mich wirklich umtreibt, ist: Gibt es ein fester gefügtes rechtsextremistisches Netzwerk in Deutschland als bisher angenommen wurde?».
Donnerstag, 17. November: Der hessische Verfassungsschutz dementiert einen Bericht, ein 2006 suspendierter Mitarbeiter habe einen V-Mann beim rechtsextremen Thüringer Heimatschutz geführt. Der Verfassungsschützer war 2006 in einem Internetcafé in Kassel gewesen, kurz bevor dort die tödlichen Schüsse auf den türkischstämmigen Betreiber fielen.
Freitag, 18. November: Die Terrorzelle ist möglicherweise größer als bisher bekannt. Ermittler haben zwei weitere Personen im Visier. Sie sollen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe unterstützt haben. Nach mehreren Ermittlungspannen in der Vergangenheit wollen Bund und Länder mit besseren Strukturen auf den über Jahre unentdeckten rechtsextremistischen Terror reagieren.
Dienstag, 29. November: Fahnder nehmen den früheren NPD-Funktionär Ralf W. fest. Er soll ein weiterer mutmaßlicher Unterstützer der terroristischen Vereinigung «Nationalistischer Untergrund» (NSU) sein.