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Zwickauer Terrorzelle: Kurs auf neues NPD-Verbotsverfahren

Zwickauer Terrorzelle

Kurs auf neues NPD-Verbotsverfahren

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    Kurs auf neues NPD-Verbotsverfahren
    Kurs auf neues NPD-Verbotsverfahren

    Nach der Verhaftung des Jenaer NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben als mutmaßlichem Unterstützer der Zwickauer Neonazi-Zelle halten Bund und Länder eine neue Qualität der Bedrohung für möglich. Zudem soll es mindestens einen weiteren, noch nicht festgenommenen Terrorhelfer aus den Reihen der NPD geben, wie am Mittwoch in Berlin bekannt wurde.

    Mittlerweile arbeiten mehr als 400 Beamte an der Aufarbeitung der braunen Terrorspur, in Kürze sollen weitere 50 hinzukommen. Unklar ist nach wie vor, ob die Zwickauer Zelle allein gearbeitet hat oder Teil eines größeren Netzwerkes war, wie der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte.

    Für Verstimmung unter den Abgeordneten sorgte die Entscheidung der Länder, ihren Chefs der Landeskriminalämter (LKA) keine Aussagegenehmigung für Berlin zu erteilen. Vor diesem Hintergrund wurde der Ruf nach einem Untersuchungsausschuss des Bundestages lauter. Diesen Weg lehnte die Union genauso ab wie die Ernennung eines parlamentarischen Sonderermittlers. Für einen

    Kurs auf neues Verbotsverfahren

    Zuversichtlich zeigten sich Politiker aus Bund und Ländern, dass im Zuge der Ermittlungen ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD in Karlsruhe angestrengt werden kann. So sei man absehbar nicht mehr auf die Informationen der Geheimdienste, sondern die Erkenntnisse der Bundesanwaltschaft angewiesen, sagten Abgeordnete verschiedener Fraktionen. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Überwachung der Geheimdienste, der SPD-Politiker Thomas Oppermann, fügte hinzu: "Wir haben heute erfahren, dass NPD-Mitglieder - nicht nur unter den bisher Festgenommenen - auch Teil des braunen Unterstützungsnetzwerkes gewesen sind."

    Die Zwickauer Terrorzelle - Chronologie der Ereignisse

    Freitag, 4. November: Am Vormittag überfallen zwei Männer eine Bank im thüringischen Eisenach und fliehen. Während der Fahndung stoßen Polizisten auf zwei Leichen in einem Wohnmobil. Beamte hatten Hinweise erhalten, dass ein Caravan bei dem Überfall eine Rolle gespielt haben könnte.

    Samstag, 5. November: Ermittler untersuchen die Schusswaffen, die in dem Wohnmobil gefunden wurden.

    Montag, 7. November: Unter den Pistolen im Wohnwagen sind die Dienstwaffen der im April 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin Michele Kiesewetter und ihres schwer verletzten Kollegen. Die später identifizierten Männer Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, deren Leichen entdeckt wurden, sollen den Banküberfall begangen haben. Sie sollen zusammen mit einer Frau in einer Wohnung in Zwickau gelebt haben, die wenige Stunden nach dem Banküberfall explodiert war. Nach der Frau, Beate Zschäpe, wird gefahndet.

    Dienstag, 8. November: Die bundesweit gesuchte Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena. Spekulationen kommen auf, dass die mutmaßlichen Bankräuber eine Verbindung in die Neonazi-Szene gehabt haben könnten. Sie und die verdächtige Frau sollen in Thüringen als rechtsextreme Bombenbauer in Erscheinung getreten sein.

    Mittwoch, 9. November: Zschäpe sitzt in U-Haft und schweigt. Nach Aussage von Thüringens Innenminister Jörg Geibert hatten die Männer bis 1998 Verbindungen zum rechtsextremen Thüringer Heimatschutz - danach jedoch nicht mehr. Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen machen die Frau zunächst nur für die Explosion des Wohnhauses in Zwickau verantwortlich.

    Donnerstag, 10. November: In den Trümmern des abgebrannten Hauses in Zwickau werden weitere Schusswaffen gefunden.

    Freitag, 11. November: Es ist die spektakuläre Wende in dem Fall: Unter den Waffen ist die Pistole, mit der zwischen 2000 und 2006 neun Kleinunternehmer erschossen wurden - Türken, ein Grieche und Deutsche mit Migrationshintergrund. Außerdem entdecken Fahnder rechtsextreme Propaganda-Videos. Diese beziehen sich auf eine Gruppierung mit dem Namen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und enthalten Bezüge zur Mordserie. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe übernimmt die Ermittlungen.

    Sonntag, 13. November: Die Bundesanwaltschaft geht erstmals ausdrücklich von Rechtsterrorismus aus. Der Bundesgerichtshof erlässt  Haftbefehl gegen Zschäpe wegen des dringenden Tatverdachts «der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung». In Lauenau bei Hannover wird ein mutmaßlicher Komplize festgenommen. Holger G. soll dem Neonazi-Trio 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben. Die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall ist unklar. Politiker fragen, warum die Rechtsextremen, die unter Beobachtung standen und schon 1998 in Jena als Bombenbauer auffielen, so lange unbehelligt blieben.

    Montag, 14. November: Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger sagt, die Strukturen des Verfassungsschutzes sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Ihre Frage: «Was mich wirklich umtreibt, ist: Gibt es ein fester gefügtes rechtsextremistisches Netzwerk in Deutschland als bisher angenommen wurde?».

    Donnerstag, 17. November: Der hessische Verfassungsschutz dementiert einen Bericht, ein 2006 suspendierter Mitarbeiter habe einen V-Mann beim rechtsextremen Thüringer Heimatschutz geführt. Der Verfassungsschützer war 2006 in einem Internetcafé in Kassel gewesen, kurz bevor dort die tödlichen Schüsse auf den türkischstämmigen Betreiber fielen.

    Freitag, 18. November: Die Terrorzelle ist möglicherweise größer als bisher bekannt. Ermittler haben zwei weitere Personen im Visier. Sie sollen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe unterstützt haben. Nach mehreren Ermittlungspannen in der Vergangenheit wollen Bund und Länder mit besseren Strukturen auf den über Jahre unentdeckten rechtsextremistischen Terror reagieren.

    Dienstag, 29. November: Fahnder nehmen den früheren NPD-Funktionär Ralf W. fest. Er soll ein weiterer mutmaßlicher Unterstützer der terroristischen Vereinigung «Nationalistischer Untergrund» (NSU) sein.

    Skeptisch äußerten sich der Karlsruher Verfassungsrechtler Christian Kirchberg und Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm. Kirchberg betonte, bei einem zweiten Verbotsanlauf müsse es mehr Belastendes als 2003 geben. Dieses "Mehr" müsse im aktiven Verhalten der NPD-Anhänger liegen. "Der Fall des verhafteten Ex-Funktionärs allein ist dazu aus meiner Sicht noch nicht geeignet", sagte

    Innenausschuss bestreitet neue Enthüllungen

    Für Wirbel sorgte ein Medienbericht, wonach Verfassungsschützer möglicherweise den von Neonazis begangenen Mord auch an der Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter beobachtet haben sollen. Das berichtet das Hamburger Magazin "Stern" unter Bezug auf einen geheimen Observationsbericht eines US-Militärgeheimdienstes. Der Innenausschuss hat dafür indes keinen Beleg. SPD-Ausschussmitglied Michael Hartmann sagte zu dem Bericht, er gehe nach allen bisher vorliegenden Erkenntnissen "nicht davon aus, dass diese Informationen hart bestätigt werden können".

    Neu belebt wurde indes der Streit über die Vorratsdatenspeicherung. Während die Union angesichts der neuen Erkenntnisse über die Neonazi-Szene ihre Forderung nach umfassender Datenspeicherung bekräftigte, blieb die FDP skeptisch. Auch in der Debatte über eine mögliche Neuordnung der 16 Landesämter für Verfassungsschutz zeichnete sich keine Annäherung ab. dapd

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