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Zweiter Weltkrieg: 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion: Das unmögliche Gedenken

Zweiter Weltkrieg

80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion: Das unmögliche Gedenken

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    Bundespräsident Steinmeier gedachte der Opfer des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion.
    Bundespräsident Steinmeier gedachte der Opfer des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Foto: Jörg Carstensen, dpa

    Für einen Diplomaten schlägt Andrij Melnyk mitunter erstaunlich undiplomatische Töne an. Meist merkt man dem ukrainischen Botschafter in Berlin dann seine Gefühlsaufwallungen an. So war das im Februar, als sich Melnyk über ein Interview des Bundespräsidenten empörte. Frank-Walter Steinmeier habe durch eine „abwegige Gleichsetzung Russlands mit der UdSSR das unermessliche Leid anderer Völker der Sowjetunion während der Nazi-Gewaltherrschaft komplett ausgeblendet“. Dabei hätten die deutschen Besatzer auch acht Millionen Ukrainer umgebracht. „Leider klafft da noch immer eine gewaltige Lücke in der deutschen Erinnerungskultur.“

    Steinmeier mahnt: "Geschichte darf nicht zu Waffe werden"

    Gesagt hatte Steinmeier zur umstrittenen deutsch-russischen Pipeline Nord Stream 2, die Energiebeziehungen seien heute „fast die letzte Brücke zwischen Russland und Europa“. Dann hatte er darauf verwiesen, dass mehr als 20 Millionen Menschen der damaligen Sowjetunion dem Weltkrieg zum Opfer gefallen seien. Die Ukraine erwähnte er nicht. Am Freitag nun lehnte Melnyk es ab, gemeinsam mit Steinmeier an einer Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 teilzunehmen. Diesmal erzürnte den Botschafter die Wahl des Veranstaltungsortes in Berlin. Im Namen „Deutsch-Russisches Museum“ kämen wieder nur die Russen vor.

    Der Bundespräsident versuchte in seiner Rede einen neuen Brückenschlag. Mehrfach differenzierte er zwischen Belarussen und Balten, Ukrainern und Russen. „Niemand hatte in diesem Krieg mehr Opfer zu beklagen als die Völker der Sowjetunion.“ Schließlich mahnte Steinmeier: „Wenn der Blick zurück auf eine einzige, nationale Perspektive verengt wird, wird Geschichtsschreibung zum Instrument neuer Konflikte. Geschichte darf nicht zur Waffe werden!“

    Mehr als ein Dreivierteljahrhundert nach dem Krieg scheint ein „richtiges“ Gedenken ausgerechnet in Deutschland, dem Land der Täter, kaum mehr möglich. Das hat zwei Gründe. Da ist zuallererst das Wesen des Krieges, den die Wehrmacht am 22. Juni 1941 unter dem Codenamen „Unternehmen Barbarossa“ entfesselte. In einem vollkommen entmenschten Rassenwahn wollte Hitler dem „deutschen Herrenvolk neuen Lebensraum im Osten“ schaffen und zugleich der „jüdisch-bolschewistischen Weltrevolution“ ein Ende bereiten. Bei der geplanten Versklavung und Vernichtung der angeblich „rassisch minderwertigen und vom Weltjudentum gesteuerten“ slawischen Bevölkerung machte die NS-Ideologie keinen Unterschied zwischen Russen, Ukrainern oder Belarussen.

    Steinmeier bittet: Man möge keine Brücken nach Russland einreißen

    Genau diese Unterschiede aber – und das ist Grund Nummer zwei für die Probleme beim „richtigen“ Gedenken – spielen in der internationalen Politik heute eine herausragende Rolle. Schließlich hat Russland 2014 die ukrainische Krim annektiert. Im Donbass führen prorussische, von Moskau aufgerüstete Milizen einen Krieg gegen die ukrainische Armee. Und in Belarus lässt Diktator Alexander Lukaschenko große Teile seines eigenen Volkes niederknüppeln, einkerkern und foltern – im Einvernehmen mit Kremlchef Wladimir Putin.

    Die Bundesregierung ist bei alldem Partei aufseiten des Westens und damit steht Deutschland gegen Russland – dem man sich aber zugleich aus historischen Gründen verpflichtet fühlt. Genau das, so kann man Frank-Walter Steinmeier wohl getrost unterstellen, meinte er mit dem Hinweis, man möge doch bitte keine Brücken nach Russland einreißen. Auch keine Pipeline. Man müsse immer „das größere Bild im Blick behalten“, hatte er in seiner Antwort auf die Frage nach Nord Stream 2 hinzugefügt. Doch auf diesem Bild sieht Botschafter Melnyk etwas anderes.

    In der Erinnerungskultur klafft ein Abgrund der deutschen Geschichte

    Er sieht, dass die Ukraine, gemessen an der Bevölkerung, nach Belarus die meisten Kriegstoten in der Sowjetunion zählte. Das Bild zeigt auch den Sowjetdiktator Josef Stalin, der die Ukraine in den 30er Jahren mit einem Hungerterror überzog, dem Holodomor. Seine Opfer aßen Gras, Erde und später sogar Leichenfleisch. Bis zu sieben Millionen Menschen starben. Zu dem Bild gehört ebenfalls, dass ukrainische Nationalisten im Weltkrieg mit den Nazis kollaborierten und gegen die Sowjetarmee kämpften, weil sie darin vor allem russische Unterdrücker sahen. Deswegen können russische Politiker der Ukraine heute auch so wirkungsvoll einen „aggressiven Faschismus“ vorwerfen.

    Zu dem größeren Bild gehört noch viel mehr, viel zu viel, um nur annähernd ein Gesamtbild zeichnen zu können. In der Erinnerungskultur klafft nicht nur eine Lücke, wie Melnyk es formulierte, sondern ein Abgrund. Es ist jener „Abgrund der deutschen Geschichte“, mit dem Willy Brandt einst seinen Kniefall vor dem Warschauer Ghetto-Mahnmal erklärte. Die Demutsgeste sollte helfen, „unter der Last der Millionen Ermordeten“ tragfähige Brücken in die Zukunft zu bauen. Aber schon bei Brandt stellte sich die Frage: Galt seine Geste nur den Millionen ermordeten Juden oder allen NS-Opfern? Der von Deutschen aufgerissene Abgrund, so scheint es heute, ist einfach zu groß.

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