Damit hatte Martina Schoeneich nicht gerechnet. „Ich hatte mich ja erst am Tag davor beworben.“ Mit Erfolg: Denn die Frau, die heute im schönen Dießen am Ammersee wohnt, hat den ersten Preis im ARD-Videowettbewerb „60 Jahre Mauerbau“ gewonnen. Die Auszeichnung hat sie dafür erhalten, dass sie die so anrührende wie dramatische Geschichte über das Schicksal ihrer Familie in einem kleinen Film erklärt hat.
Die Erinnerungen, die Schoeneich schildert, drehen sich in erster Linie um ihre eigene Ausreise aus der DDR und die Erniedrigungen durch Behörden und Stasi, die sie vor ihrer Ausreise mit ihrem damaligen Mann 1981 erlebt hat.
Wie ein Ehepaar aus der DDR in den Westen floh - und die Tochter zurückließ
Besonders spektakulär und anrührend allerdings ist die Geschichte, die Schoeneich über den Bau der Mauer, der heute vor 60 Jahren begonnen hat, erzählen kann. Nur wenige Tage vor dem Bau des – so der DDR-Jargon – „antikapitalistischen Schutzwalls“ am 13. August 1961 setzten ihre Eltern, die bei Dresden wohnten, einen kühnen Plan um: Sie wollten das Elend des real existierenden Sozialismus hinter sich lassen – wie viele Millionen Landsleute.
Am 11. August war es so weit: Das Ehepaar machte sich auf den Weg. Die Familie wollte nicht länger ertragen, dass das kommunistische Regime ihre Freiheit beschränkt. Alles war vorbereitet. Der Bruder der Mutter wartete im Westen auf das Paar. Klar war immer: Die Tochter wird nachgeholt. Die kleine Martina, damals gerade einmal acht Jahre alt, wusste von alldem nichts – aus Sicherheitsgründen. Eingeweiht waren die Großmütter.
Oma verlor die Nerven - und die Eltern kehrten aus dem Westen zurück
Die Staatssicherheit und die Behörden waren gerade in den Tagen vor dem Mauerbau extrem alarmiert. Doch es ging alles gut. Während in der S-Bahn nach Westberlin in diesen Tagen verstärkt Familien mit Kindern kontrolliert wurden, hatten die Eltern keine Probleme. Alles schien so abzulaufen, wie es geplant war: Der Vater sollte die Tochter nach der wohlgeplanten Flucht über Westberlin nachholen. Die Tochter blieb zurück.
Dann verlor die Oma die Nerven: „Bitte sofort kommen, M. lebensgefährlich erkrankt“, so lautete das dramatische Telegramm an die Eltern. „M.“ – das stand für die kleine Martina. Die Eltern kehrten sofort zurück, allerdings waren sie überrascht, dass die Tochter im Hof quietschfidel spielte. „Das war insbesondere für meinen Vater, der Ingenieur war, ein großer Schock“, erinnert sich Martina Schoeneich. Am 13. August 1961 schließlich platzten alle Träume – an eine Ausreise in den Westen war nicht mehr zu denken. Die Mauer schuf ein Gefängnis.
Wie Martina Schoeneich ihre DDR-Flucht-Erlebnisse in einem Buch verarbeitet
Immerhin hatten die Behörden die geplante Republikflucht nicht auf dem Radar – schließlich hatten die Eltern einen 14-tägigen Urlaub beantragt. Danach ging alles so weiter wie zuvor, obwohl sich die Familie innerlich längst von der DDR-Diktatur verabschiedet hatte.
Dennoch: Die Eltern von Martina Schoeneich machten weiter, als ob nichts gewesen wäre. Doch das Vertrauen in den Unrechtsstaat war endgültig zerstört. „Das war besonders für meinen Vater sehr bitter“, erinnert sich Martina Schoeneich.
Seit 1992 lebt Schoeneich in Dießen am Ammersee. Doch die Erlebnisse ihrer eigenen Ausreise motivierten sie dazu, ein Buch zu schreiben. „Das war mir für meine Töchter und Enkelkinder wichtig. Sie sollen wissen, wie es früher in der DDR aussah.“ Ihr Buch – besser gesagt eine Abrechnung mit dem System DDR – ist im Eigenverlag erschienen.
Martina Schoeneich hat in Dießen eine neue Heimat gefunden. „Besonders freue ich mich darüber, dass meine Töchter dankbar sind, dass ich in den 80er Jahren doch noch in den Westen gegangen bin.“ Sie habe die Unfreiheit und die Bespitzelung durch die Stasi nicht mehr ertragen können.