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Zehner-Jahre: Wie Terror bis ins Herz Europas die Zehnerjahre prägte

Zehner-Jahre

Wie Terror bis ins Herz Europas die Zehnerjahre prägte

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    Gedenken an die Opfer des Terroranschlags von Paris vom 13. November 2015. Wie groß ist die Gefahr heute? Hunderte Extremisten mit Kampferfahrung sitzen weiter in Lagern in Syrien.
    Gedenken an die Opfer des Terroranschlags von Paris vom 13. November 2015. Wie groß ist die Gefahr heute? Hunderte Extremisten mit Kampferfahrung sitzen weiter in Lagern in Syrien. Foto: Ian Langsdon, dpa (Archiv)

    „Winselnd und heulend“ habe IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi die letzten Minuten seines Lebens verbracht, sagte US-Präsident Donald Trump nach dem Tod des Terror-Chefs bei einer US-Militäraktion in Syrien Ende Oktober. Bagdadi hatte eine Selbstmordweste gezündet, um nicht den anrückenden US-Elitesoldaten in die Hände zu fallen. Die Leiche des IS-„Kalifen“ wurde von den US-Militärs auf dem Meer bestattet: Washington wollte keinen Märtyrer aus Bagdadi machen. Doch Bagdadis Tod ist nicht das Ende des Islamischen Staates. Für viele europäische Länder „beginnt das IS-Problem gerade erst“, warnt Mark Leonard, Direktor der Denkfabrik European Council on Foreign Relations, vor den Rückkehrern.

    Nachdem der Terror von Al-Kaida die 2000er Jahre geprägt hatte, drückte der Islamische Staat dem jetzt zu Ende gehenden Jahrzehnt seinen Stempel auf. Beide Gruppen sind eng miteinander verknüpft. Der Iraker Bagdadi, der nach seiner Inhaftierung durch US-Truppen eine dschihadistische Gruppe gründete, schloss sich im Jahr 2006 einer extremistischen Dachorganisation unter Führung von Al-Kaida im Irak an. Treibende Kraft dieser Organisation war der jordanische Extremist Abu Musab al-Sarkawi. Er war für Enthauptungen und andere brutale Methoden bekannt, die später zum Markenzeichen des IS werden sollten. Nach Sarkawis Tod bei einem US-Luftangriff 2006 taufte sich die Gruppe in „Islamischer Staat im Irak“ um. Als zwei weitere Führungskader umkamen, rückte Bagdadi zum Anführer auf.

    IS-Anführer Bagdadi erklärte sich 2014 zum „Kalifen“

    Als neuer Chef holte Bagdadi in den Jahren darauf ehemalige Militärs und Geheimdienstler aus den Sicherheitskräften des gestürzten Diktators Saddam Hussein in die Organisation. Zulauf erhielt er von irakischen Sunniten, die sich von der schiitischen Regierung in Bagdad unterdrückt fühlten. Im April 2013 wurde die Organisation zum „Islamischen Staat im Irak und Syrien“ umbenannt – und baute ihre Terrorherrschaft auf. Bagdadis Truppen überrannten große Teile Ostsyriens und den Westen des Irak. Viele irakische Truppen flohen kampflos vor den Dschihadisten. Als sich Bagdadi Ende Juni 2014 im irakischen Mossul zum „Kalifen“ – also zum Oberhaupt aller Muslime – ausrief, war der IS zur Bedrohung für eine ganze Weltregion geworden.

    Aus aller Herren Länder strömten Extremisten in Bagdadis „Kalifat“, um für den IS zu kämpfen. Die Gruppe zelebrierte grausame Hinrichtungen und errichtete ein Terrorregime, das sie über das Internet als Verwirklichung einer islamischen Utopie vermarktete. Angebliche Ungläubige, darunter das Volk der Jesiden im Norden des Irak und Syriens, wurden gnadenlos verfolgt.

    Auf wirksamen Widerstand stieß der IS erst, als kurdische Truppen die Einnahme des Jesiden-Gebietes verhinderten. Die IS-Belagerung der kurdischen Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei wurde Ende 2014 zum Wendepunkt: In Kobane arbeiteten die US-Streitkräfte zum ersten Mal mit der syrischen Kurdenmiliz YPG gegen den IS zusammen. Die Belagerung scheiterte, der lange Kampf zur Vernichtung des „Kalifats“ begann. Eine internationale Allianz unter Führung der USA setzte die YPG als Bodentruppe ein. Die irakischen Streitkräfte begannen mit Unterstützung des Iran und proiranischer Gruppen einen Gegenangriff. Das physische „Kalifat“ endete im März dieses Jahres, als der letzte Flecken Erde, den die Islamisten im Osten Syriens noch beherrschten, von der Anti-IS-Allianz eingenommen wurde. Ein halbes Jahr später starb Bagdadi in Idlib.

    Die Terrororganisation IS ist global aktiv - und vor allem eine Ideologie

    Aber es geht längst nicht mehr nur um Syrien und den Irak. Terrorgruppen in Nahost, Afrika und Asien haben dem Islamischen Staat die Treue geschworen. IS-Gefolgsleute in Sri Lanka töteten bei einer Anschlagsserie am Ostersonntag dieses Jahres fast 260 Menschen. Andere IS-Anhänger trugen den Terror der Organisation nach Europa, Kanada und Australien. Bei IS-Anschlägen in der Türkei starben zwischen 2015 und 2017 rund 300 Menschen. Allein beim Neujahrsanschlag von Istanbul in der Nacht zum 1. Januar 2017 kamen fast 40 Menschen um.

    Mehrere schwere Anschläge in Frankreich – darunter die Pariser Terrornacht mit mehreren koordinierten Anschlägen auf das Konzerthaus Bataclan und Selbstmordanschlägen am Fußballstadion Stade de France im November 2015 mit 130 Todesopfern – schockten Europa. Der Lastwagenanschlag von Nizza, bei dem ein Attentäter am französischen Nationalfeiertag im Juli 2016 fast 90 Menschen tötete, diente als Vorbild für den Weihnachtsmarkt-Anschlag von Berlin im Dezember desselben Jahres, der zwölf Menschen das Leben kostete.

    Und die Gefahr ist nicht zu Ende: „Der IS ist vor allem eine Ideologie“, sagte US-General Frank McKenzie, Kommandant des für Nahost zuständigen US-Zentralkommandos, nach Bagdadis Tod im Herbst. „Wir machen uns nicht vor, dass sie verschwinden wird.“ Der Nährboden für den IS-Terror ist nach wie vor vorhanden: Dazu gehören der Krieg in Syrien, die Staatskrise im Irak und die Entwurzelung vieler Muslime in Europa. Inzwischen hat die Türkei mit der Abschiebung europäischer IS-Kämpfer in ihre Heimatländer begonnen. Mehrere hundert Extremisten mit Kampferfahrung sitzen noch in kurdisch bewachten Lagern in Syrien, doch auch die Kurden fordern von Europa, die IS-Mitglieder zurückzunehmen.

    Der renommierte Terrorismus- Experte Charles Lister vom Nahost-Zentrum in Washington weist zudem darauf hin, dass der IS an den Verfolgungsdruck von Sicherheitskräften gewöhnt sei: Der IS existiere länger ohne eigenes Territorium als mit eigenem Herrschaftsgebiet, schreibt Lister in einer Analyse. Bagdadis Nachfolger als IS-Chef, Abu Ibrahim al-Hashemi al-Quraishi, ist untergetaucht, doch das heißt nicht, dass er untätig ist. Auch Bagdadi lenkte seine Kämpfer aus dem Versteck heraus.

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