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Zehn Morde: Neonazi-Trio hatte Komplizen - Innenminister spricht von Rechtsterrorismus

Zehn Morde

Neonazi-Trio hatte Komplizen - Innenminister spricht von Rechtsterrorismus

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    Eine mit der Mordwaffe baugleiche Pistole im Polizeipräsidium in Dortmund vor Porträts von Opfern der so genannten Döner-Morde.
    Eine mit der Mordwaffe baugleiche Pistole im Polizeipräsidium in Dortmund vor Porträts von Opfern der so genannten Döner-Morde. Foto: dpa

    Nach der deutschlandweiten Mordserie an Türken und Griechen geht die Bundesanwaltschaft nun von Rechts-Terrorismus aus. Ermittler nahmen am Sonntag einen mutmaßlichen Komplizen des Neonazi-Trios fest, das für die als Döner-Morde bekannt gewordene Serie verantwortlich sein soll. Zudem sei die Wohnung des 37-jährigen aus der Nähe von Hannover durchsucht worden, hieß es in einer Mitteilung. Holger G. werde dringend verdächtigt, wie die anderen drei Rechtsextremisten Mitglied der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) zu sein. Auch die mögliche Tatbeteiligung des Beschuldigten an den Morden werde untersucht.

    Neuer Rechtsterrorismus in Deutschland?

    Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sprach am Sonntag erstmals von "Rechtsterrorismus" in Deutschland. "Es sieht so aus (...), als ob wir es tatsächlich mit einer neuen Form des rechtsextremistischen Terrorismus zu tun haben", sagte er in Berlin. Angesichts der neuen Dimension rechter Gewalt schrillen in der Politik und bei türkischen Verbänden die Alarmglocken. Zugleich müssen sich Verfassungsschutz und Polizei kritische Fragen nach ihrer Rolle gefallen lassen. Mit dem Fall soll sich bald das Kontrollgremium des Bundestags für die Geheimdienste befassen. Bundesweit prüfen Ermittler weitere ungeklärte Anschläge.

    Die Döner-Morde

    Die Morde an acht türkischen und einem griechischen Staatsangehörigen in den Jahren 2001 bis 2006 wurden unter den sogenannten Döner-Morden als Serie erfasst.

    Am 9. September 2000 wird in Nürnberg der Blumengroßhändler Enver Simsek an seinem Arbeitsplatz mit Kugeln aus zwei Waffen erschossen. Er war türkischer Staatsangehöriger.

    Mehrere Monate später, am 13. Juni 2001, wird ebenfalls in Nürnberg der Schneider Abdurrahim Özüdogru mit zwei Kopfschüssen getötet. Er war allein an seinem Arbeitsplatz.

    Schon wenige Tage später, am 27. Juni 2001, wird in Hamburg der Gemüsehändler Süleyman Taskörpü erschossen.

    Am 29. August 2001 fällt der Gemüsehändler Habil Kilic in München einem unbekannten Killer zum Opfer.

    Am 25. Februar 2004 schlägt der Mörder nach einer längeren Pause wieder zu und tötet in Rostock den Döner-Verkäufer Yunus Turgut.

    Erneut vergeht eine längere Pause, ehe am 9. Juni 2005 der Dönerbudenbesitzer Ismail Yasar erschossen aufgefunden wird. Tatort war wieder Nürnberg.

    Knapp eine Woche später, am 15. Juni 2005, wird der aus Griechenland stammende Theodoros Boulgarides erschossen. Er arbeitete für einen Schlüsseldienst in München.

    Nach einer mehrmonatigen Pause wird in Dortmund am 4. April 2006 der Kioskbesitzer Mehmet Kubasik getötet.

    Schon zwei Tage später wird in Kassel der 21-jährige Halit Yozgat in seinem Internet-Café erschossen.

    Alle neun wurden mit einer Pistole der tschechischen Marke Ceska mit Schalldämpfer am helllichten Tag regelrecht hingerichtet.

    Die Bundesanwaltschaft wirft drei aus Jena stammenden Rechtsextremisten und nun auch dem Mann aus Niedersachsen zehn Morde vor: Opfer waren zwischen 2000 und 2006 acht türkische und ein griechischer Kleinunternehmer. 2007 sollen sie den Mord an einer Polizistin in Heilbronn verübt haben. Das Trio - zwei Männer hatten sich laut Polizei vor einer Woche erschossen, eine Frau stellte sich - war den Behörden bereits in den 90er Jahren wegen Verbindungen zum rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz" bekannt.

    Die Bundesanwaltschaft war zunächst davon ausgegangen, dass die Mordserie auf das Konto dieser drei NSU-Mitglieder geht. Sie waren zuletzt in einer Wohnung im sächsischen Zwickau untergeschlüpft. Der nun festgenommene Mann steht den Ermittlern zufolge seit Ende der 90er Jahre mit den anderen drei Verdächtigen in Kontakt. Er soll dem Trio 2007 seinen Führerschein und vor etwa vier Monaten seinen Reisepass zur Verfügung gestellt haben. Zudem soll er mehrfach Wohnmobile für die Gruppierung angemietet haben. Eines der Fahrzeuge soll bei dem Mordanschlag auf einen Heilbronner Polizisten genutzt worden sein.

    Tatwaffe und Bekennervideo entdeckt

    Im abgebrannten Haus der Gruppe in Zwickau fanden die Ermittler nicht nur die Pistole, mit denen die Döner-Morde verübt wurden, sondern auch DVDs. Darauf bekennen sich die beiden Männer laut "Spiegel" zu den Morden und zu einem Nagelbombenanschlag in einer überwiegend von türkischen Bürgern bewohnten Straße in Köln 2004. Sie kündigten weitere Anschläge an. Zudem erklärten sie, ihre Gruppe sei ein "Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte". Nach Erkenntnissen der Ermittler sollten die DVDs an Medien und islamische Kulturzentren verschickt werden.

    Laut "Bild am Sonntag" will die verhaftete Frau nur aussagen, wenn ihr als Kronzeugin Strafmilderung zugesichert wird. Das Blatt beruft sich auf Ermittlerkreise.

    Die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall ist noch unklar. Etliche Politiker fragten, warum die Rechtsextremen, die unter Beobachtung standen und schon 1998 in Jena als Bombenbauer auffielen, danach aus dem Blickfeld verschwanden und so lange unbehelligt Morde, Banküberfälle und andere Straftaten verüben konnten. In Sicherheitskreisen wird spekuliert, die drei mutmaßlichen Täter könnten vom Verfassungsschutz eine neue Identität erhalten und dann als Verbindungsleute in der rechten Szene geführt worden sein.

    Was wusste der Verfassungsschutz?

    Nach Informationen der "Bild"-Zeitung (Montag) wurden bei der Durchsuchung des in Zwickau explodierten Hauses "legale illegale Papiere" der Verdächtigen gefunden. Die Zeitung beruft sich auf Informationen aus Sicherheitskreisen. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, sagte der Zeitung: "Solche Papiere erhalten im Regelfall nur verdeckte Ermittler, die im Auftrag des Nachrichtendienstes arbeiten und vom Nachrichtendienst geführt werden. Das heißt: die in enger Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst agieren." Auch Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) äußerte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" Zweifel am Vorgehen der Behörden.

    Der Berliner Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner sieht ein hohes Gewaltpotenzial bei militanten Rechtsextremisten. "Dabei geht es auch um Morde", sagte er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Von einem rechtsterroristischen Netzwerk in Deutschland geht Wagner nicht aus. "Gleichwohl gibt es Gruppen, die daran arbeiten, terrorismusfähig zu werden." Sie agierten im Untergrund und versuchten häufig, sich für einen "militärisch organisierten Partisanenkampf" Waffen und Sprengmittel zu beschaffen.

    Zentralrat der Juden fordert NPD-Verbot

    Der Zentralrat der Juden forderte eine "neue Entschlossenheit" im Kampf gegen die rechte Szene - sowie ein NPD-Verbot. "Dieses politische Flaggschiff der Rechtsradikalen muss endlich politisch und juristisch versenkt werden", sagte Präsident Dieter Graumann "Handelsblatt Online". Unterstützung für diese Forderung kam unter anderem von Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte in der ARD: "Es gibt in Deutschland leider immer noch keine richtige Debatte über Rassismus und rassistischen Terror. Wir müssen umgehend diese Debatte aufnehmen.

    Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste, Thomas Oppermann (SPD), sagte der "Bild am Sonntag", er werde in der kommenden Sitzungswoche zu einer Sondersitzung einladen. "Ich will wissen, was die Behörden wussten und wie solche Straftaten in Zukunft besser verhindert werden können." Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele forderte, die Landesämter für Verfassungsschutz in Thüringen und Sachsen müssten klären, ob sie das Abdriften des Trios "in den Terror" verschlafen hätten.

    Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) sprach von Terrorismus. Die Täter hätten mindestens 13 Jahre lang über das Bundesgebiet verteilt schwere Straftaten begangen, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Unions-Fraktionschef Volker Kauder zog in der "Bild" einen Vergleich zum Terrorismus der Roten Armee Fraktion (RAF).

    Zirka 9500 gewaltbereite Rechtextremisten deutschlandweit

    Insgesamt geht der Verfassungsschutz von 9500 gewaltbereiten Rechtsextremisten aus. Während die Zahl der Rechtsextremisten zurückgegangen sei, stieg die Zahl der Gewaltbereiten, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2010. Besonders hoch ist das Gewaltpotenzial den Angaben zufolge in der neonazistischen Szene sowie bei den sogenannten

    In seinem Bericht geht der Verfassungsschutz davon aus, dass "in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar" seien. Die meiste Gewalt entzünde sich zwischen Anhängern des linksextremen und des rechtsextremen Spektrums. Allerdings schließen die Verfassungsschützer Einzeltaten nicht aus. "Die Affinität von Rechtsextremisten zu Waffen und Sprengstoff bildet weiterhin ein latentes Gefährdungspotenzial, insofern sind Taten von Einzelaktivisten nicht auszuschließen", heißt es in dem Bericht. dpa/dapd/AZ

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