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ZDF: Warum "Aktenzeichen XY" auch nach 50 Jahren noch nicht langweilig ist

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Warum "Aktenzeichen XY" auch nach 50 Jahren noch nicht langweilig ist

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    Das freundliche Lächeln von Moderator Rudi Cerne für den Fotografen täuscht. Meist schaut er etwas bedrückt in die Kamera, was ganz gut zur Sendung passt.
    Das freundliche Lächeln von Moderator Rudi Cerne für den Fotografen täuscht. Meist schaut er etwas bedrückt in die Kamera, was ganz gut zur Sendung passt. Foto: Thomas R. Schumann, ZDF

    Nichts ahnend öffnet die Sparkassenangestellte in den frühen Morgenstunden die Tür zur Bankfiliale, als sie plötzlich von einem Mann bedroht wird: Filme dieser Art hat „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ seit 1967 vermutlich zu Dutzenden gezeigt. Die Vorstellung eines Banküberfalls in der Nachbarschaft ist für viele Menschen schon gruselig genug, aber dieses Unbehagen ist nichts im Vergleich zu einem Fall, den die Sendung in einer der letzten Ausgaben vorgestellt hat: Eine Frau ist in ihrem eigenen Bett vergewaltigt worden.

    Das Spektrum der Delikte, über die „XY“ berichtet, ist so groß wie die kriminelle Fantasie. Verbrechen wie der Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft in Rottach-Egern im Juli 2013, mit dem sich die Sendung in der nächsten Ausgabe am 8. April beschäftigt, gehören zum festen Repertoire.

    Aber es gibt auch ungewöhnliche Fälle wie die Suche nach den Dieben des Tores zur KZ-Gedenkstätte Dachau. Großer Beliebtheit erfreuen sich Beiträge, die quasi nebenbei Verbraucherschutz betreiben, weil man beispielsweise viel über Internet-Kriminalität erfährt. Gleiches gilt für Filme über den „Enkeltrick“, mit dessen Hilfe Ganoven alte Herrschaften um ihre Ersparnisse bringen. Die Skrupellosigkeit mancher Ganoven ist in der Tat schockierend.

    Die Seele kann ein Abgrund sein

    Regelmäßige Zuschauer von „Aktenzeichen XY“ wissen: Die Seele des Menschen kann ein Abgrund sein. Dank Eduard Zimmermann, der die Sendung vor fast fünfzig Jahren erfunden hat, kann das Fernsehpublikum gefahrlos, aber mit wohligem Gruseln einen Blick in diese Abgründe werfen.

    Dass sich die Zuschauer darüber hinaus an der Jagd auf die Verbrecher beteiligen dürfen, ist ein willkommener Nebeneffekt, aber für die meisten sicher nicht der Hauptgrund, der Reihe die Treue zu halten. Die erste Ausgabe ist im Oktober 1967 ausgestrahlt worden; „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ ist nicht nur eines der populärsten, sondern auch dienstältesten Markenzeichen des deutschen Fernsehens.

    Das Konzept der Sendung ist im Grunde nie variiert worden: Der Moderator, mittlerweile Rudi Cerne, führt in den Fall ein, es folgt ein kurzer Spielfilm, in dem das Verbrechen nachgestellt wird, und dann spricht Cerne im Studio mit dem zuständigen Kripo-Beamten. Selbst das Muster der Filme hat sich kaum gewandelt. Sie rekonstruieren nicht einfach den Tathergang, sondern erzählen stets kleine Geschichten.

    Früher waren die Einspielfilme unfreiwillig komisch

    Die Protagonisten bekommen auf diese Weise mehr Tiefe, sodass man sich besser mit ihnen identifizieren kann. Früher waren diese Einspielfilme mitunter unfreiwillig komisch, weil die engagierten Darsteller zwar eifrig, aber nicht besonders talentiert waren. In dieser Hinsicht hat sich vielleicht am meisten verändert. Die Beiträge stammen zum Teil von versierten Krimiregisseuren; sie mögen immer noch nicht filmpreisreif sein, sind aber handwerklich sehr solide.

    Für den Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger liegt die ungebrochene Faszination von „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ in der Bedrohung der eigenen Lebenswelt: „Das ist immer der Kern dieser Art von Unterhaltungserlebnissen, wie die Erfolgsgeschichte der Krimis belegt.“ Als wirklich bedrohlich empfinden die Menschen nach Ansicht des Professors an der Kölner Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft dabei vor allem zwei Dinge: „Das völlig Fremde und den Nachbarn. ‚XY‘ kombiniert diese beiden Dimensionen, zumal die Beiträge stets suggerieren, die Gefahr befinde sich in unmittelbarer Nähe, was wiederum den Intimangstbereich betrifft.“

    Aktenzeichen XY unterscheidet sich von "Reality"-TV

    Das unterscheide die Sendung auch von jenen „Reality“-Reihen, mit denen RTL und Sat.1 ihre Nachmittage bestreiten („Verdachtsfälle“, „Auf Streife“): „Bei ‚XY‘ ist alles wirklich echt.“

    Redaktionsleiterin Ina-Maria Reize sieht das ähnlich: „Die bei uns gezeigten Verbrechen spielen sich gewissermaßen vor der eigenen Haustür ab; was wir zeigen, könnte theoretisch jeden treffen. Wir ermöglichen einen Blick auf Ereignisse, die jedermann tatsächlich zustoßen könnten. Andererseits öffnen wir ein Fenster in eine Welt, die dem Zuschauer normalerweise verborgen bleibt und vor der man sich eigentlich fürchtet.“

    Über die Auswahl der vorgestellten Fälle entscheiden jedoch andere Kriterien: „Es kommen ausschließlich schwere Verbrechen infrage. Reine Diebstahldelikte zum Beispiel sind für uns meist nicht von Interesse.“ „XY“ stelle allerdings nur Fälle vor, bei denen die Polizei „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ausgereizt hat und nun auf die Unterstützung der Öffentlichkeit setzt“.

    Polizei meldet sich nicht selbst beim Sender

    Mit Erfolg: In der Regel werden 40 Prozent der bei „XY“ vorgestellten Fälle aufgeklärt, weshalb die Polizei gern zur Zusammenarbeit bereit ist. Trotzdem werden die Ermittlungsbehörden nicht von sich aus aktiv; die Initiative geht stets von der Redaktion aus. Vor 15 Jahren, sagt Reize, sei das noch anders gewesen, „da hatten wir jede Woche Dutzende von Anfragen in der Post“. Angesichts von mittlerweile diversen TV-Sendungen, die sich mit realen Verbrechen befassten, geht die Polizei offenbar davon aus, dass sich die Sender von sich aus melden.

    Auch wenn die Sendung auf einen gewissen Nervenkitzel spekuliert: Reize legt Wert auf die Feststellung, dass sie vor allem der Aufklärung dienen soll. „,XY‘ muss unterhaltsam sein, um die Zuschauer anzusprechen. Wir bereiten die Fälle aber nicht auf, weil sie so spektakulär sind. Unser wichtigstes Motiv ist die Unterstützung der Polizei.“

    Die Würde des Opfers steht im Vordergrund

    Die Redaktion der Sendung arbeite stets in dem Bewusstsein, dass es Opfer und Angehörige gebe, die die Darstellungen ertragen müssten: „Natürlich sind wir der Wahrheit verpflichtet, aber wir stellen die Ereignisse mitunter dezenter dar, als sie sich zugetragen haben, um das Ansehen eines Opfers nicht zu beschädigen.“

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