Hat die Deutsche Rentenversicherung bei der Einführung eines neuen Ausweises für die 20 Millionen Rentner gegen das Haushaltsrecht verstoßen und damit möglicherweise zehn Millionen Euro an Beitragsgeldern verschwendet? Haushaltspolitiker aller Fraktionen erheben nach Informationen unserer Redaktion schwere Vorwürfe gegen den Bundesvorstand der Versicherung mit seiner Präsidentin Gundula Roßbach an der Spitze.
Bundesrechnungshof äußerte bereits 2016 Bedenken gegen das Projekt
Die Vorgeschichte: Am 15. März vergab der Bundesvorstand der Deutschen Rentenversicherung einen Auftrag an die Deutsche Post, die neuen Ausweise zu drucken und in diesem Sommer zusammen mit dem neuen Rentenbescheid an alle Rentnerinnen und Rentner zu versenden. Doch bei der Vergabe, kritisiert ein Bundestagsabgeordneter, habe der Vorstand "alle haushaltsrechtlichen Grundsätze ignoriert" und sich nicht an die für Körperschaften des öffentlichen Rechts geltenden Regeln gehalten.
Die Vergabe erfolgte, obwohl der Bundesrechnungshof bereits im Jahr 2016 massive Bedenken gegen das Projekt erhoben hatte und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Rentenversicherung bei der Aufstellung ihres Haushalts für 2018 schriftlich aufgefordert hatte, vor der Herstellung und Versendung der neuen Ausweise abzuwarten, bis sich der zuständige Ausschuss des Bundestags abschließend mit dem Thema befasst und eine Entscheidung getroffen habe.
Wie eng war die Zusammenarbeit zwischen Rentenversicherung und der Post AG?
Doch der Vorstand der Rentenversicherung ignorierte diese Anweisung des Ministeriums und begründet dies mit dem Recht der Selbstverwaltung, solche Entscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen. Dem allerdings widersprechen die zuständigen Fachpolitiker. Die Anweisung des Ministeriums sei klar und eindeutig gewesen. "Es geht schließlich um das Geld der Beitragszahler", monierten Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses des Bundestags gegenüber unserer Redaktion, "zehn Millionen Euro sind viel Geld."
In einer vierseitigen Vorlage für den Ausschuss, die unserer Redaktion vorliegt, heißt es, dass es für die neuen Ausweise überhaupt keinen Bedarf gebe, zudem habe es die Rentenversicherung unterlassen, den Auftrag öffentlich auszuschreiben und alternative Angebote einzuholen. Vielmehr, heißt es im Rechnungsprüfungsausschuss, dränge sich der Eindruck auf, dass es offenbar eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen der Rentenversicherung und der Post AG gegeben habe. So habe die Post ein Angebot vorgelegt, das genau dem entsprach, was die Rentenversicherung wollte. Die Haushaltsexperten wollen nicht an einen Zufall glauben: "Die Post hat für sich ein neues Geschäftsfeld entdeckt", sagt einer, "hat der Rentenversicherung ihre Idee aufgeschwätzt und ihr laminiertes Papier für zehn Millionen Euro verkauft."
Die Politiker stehen nun vor einem Dilemma
Zwar wollen die Politiker das Projekt noch stoppen und die Rentenversicherung auffordern, „die neuen Ausweise für Rentnerinnen und Rentner nicht einzuführen, solange der Bedarf hierfür nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist“ und solange keine alternativen Angebote eingeholt wurden, doch der Vertrag mit der Post AG enthält offenbar keine Rücktrittsklausel. In einem Brief an das Arbeits- und Sozialministerium vom 23. April, der unserer Redaktion ebenfalls vorliegt, deutet die Rentenversicherung an, es bestehe ein Anspruch der Post „auf die vereinbarte Vergütung unter Abzug etwaig ersparter Aufwendungen“.
Entsprechend groß ist fraktionsübergreifend der Ärger, vor allem über Präsidentin Roßbach. Wenn diese schon in einem vergleichsweise einfachen Verfahren so nachlässig umgehe, stelle sich die Frage, "ob sie in der Lage ist, die Rentenversicherung mit einem Volumen von 300 Milliarden Euro pro Jahr fachgerecht zu verwalten", warnen Abgeordnete – und fordern Konsequenzen. Das Vertrauen in die Präsidentin sei "zerrüttet". "Die Frage nach der Verantwortlichkeit drängt sich auf."
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