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Würzburg: Axt-Attacke von Würzburg bringt den Terror nach Bayern

Würzburg

Axt-Attacke von Würzburg bringt den Terror nach Bayern

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    Vier der Verletzten gehören zu einer Urlauberfamilie aus Hongkong.
    Vier der Verletzten gehören zu einer Urlauberfamilie aus Hongkong. Foto: Karl-Josef Hildenbrand (dpa)

    Melanie Göttle und Günter Karban sitzen vor dem Fernseher, als sie die Hilferufe hören. Ihr Garten grenzt an die Gleise. Ein altersschwaches, schmales Tor, umwuchert von Brennnesseln, soll ihr Grundstück vor ungebetenen Gästen von der Bahnstrecke schützen. Im normalen Leben.

    Aber dies hier ist nicht das normale Leben. Hier rufen nicht ungebetene Gäste um Hilfe, sondern Menschen in nackter Panik. Es ist Montagabend, Viertel nach neun, als die beiden Bewohner aus ihrem Haus stürzen, das Gartentor auf- und mit bloßen Händen das Gestrüpp wegreißen, damit die Menschen durch ihren Garten fliehen und Hilfskräfte sich um sie kümmern können. Jene Menschen, die gerade noch in der Regionalbahn 58130 saßen, auf dem Weg nach Würzburg. Bis er kam. Riaz K. Und das normale Leben zerstörte.

    „Die Sanitäter haben die Verletzten auf Tragen durch unseren Garten zu den Krankenwagen gebracht“, erzählt Melanie Göttle. Sie selbst, ihr Mann und Nachbarn helfen, so gut sie können, schaffen Decken und Tücher heran. Im Hof des Nachbarhauses werden Getränke und Süßigkeiten verteilt. Dann schickt die Polizei die Anwohner in ihre Häuser.

    As unbegleiteter minderjähriger Flüchtling eingereist

    Infografik zum Amoklauf in Heidingsfeld.
    Infografik zum Amoklauf in Heidingsfeld. Foto: Mainpost/Grafik

    „Der asiatische Mann hat ganz furchtbar ausgeschaut“, sagt Melanie Göttle. „Ich hoffe so sehr, dass er den Angriff überlebt.“ Den Amokläufer hat sie nicht gesehen. Aber ein Nachbar hat ihr erzählt, dass der Mann mit einer blutbeschmierten Axt in der Hand an ihm vorbei Richtung Main gelaufen ist. Er, der 17-jährige Riaz K., der vor gut einem Jahr über Passau nach Bayern eingereist ist, als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Der so ruhig, freundlich, unscheinbar gewesen sein soll, wie viele erzählen – sowohl in der Kolping-Einrichtung, in der er mit anderen jungen Flüchtlingen lebte, als auch bei der Pflegefamilie in Gaukönigshofen im Kreis Würzburg, die ihn vor zwei Wochen aufgenommen hat. Und nun das.

    Gegen 20 Uhr hat Riaz an diesem Abend das Haus der Pflegeeltern verlassen. In einem weißen T-Shirt mit Schriftzeichen, die der Symbolik der Terrormiliz IS ähneln – und einem Messer und einer Axt im Gepäck. Er sagt, er wolle noch eine Runde Fahrradfahren, „und dass das Ganze wohl etwas dauert“, erfahren die Ermittler. Lothar Köhler vom Bayerischen Landeskriminalamt berichtet dies tags darauf in einer Pressekonferenz. Im nahen Ochsenfurt steigt der Jugendliche in den Zug Richtung Würzburg und sucht sich einen Sitzplatz – unweit einer fünfköpfigen Touristengruppe aus Hongkong. Irgendwann steht er abrupt auf und geht mit seinen beiden Waffen auf die Familie los. Willkürlich, wie es scheint. Vier der fünf Asiaten werden verletzt, zwei davon lebensgefährlich.

    Nach Axt-Angriff: Gegen 23 Uhr fallen die Schüsse in Würzburg

    Warum es ausgerechnet die Touristen erwischt, ist unklar. Der leitende Bamberger Oberstaatsanwalt Eric Ohlenschlager wird später nur sagen, dass der junge Mann den Zug bestieg, um sich an „den Ungläubigen dafür zu rächen, was sie ihm und seinen Glaubensbrüdern angetan haben“. Und, dass er kurz zuvor vom Tod eines Freundes in Afghanistan erfahren hat – was ihn offenkundig komplett veränderte. Dreimal, sagt Ohlenschlager, ruft er im Zug auf Arabisch „Gott ist groß“. Einmal ist dies auch auf dem Notruf zu hören, der um 21.13 Uhr in der Rettungsleitstelle eingeht.

    Als die anderen Fahrgäste merken, was passiert ist, zieht jemand die Notbremse. Der Zug stoppt im Würzburger Stadtteil Heidingsfeld, hinter der kleinen, ruhigen Anwohnerstraße Röthenweg – vor dem Haus von Melanie Göttle und Günter Karban. Zeugen sehen, wie der Amokläufer in dem Waggon zu Boden stürzt, dann mit der blutigen Axt in der Hand aus dem Zug springt und davonläuft. Auf der Flucht greift er eine Passantin an und verletzt sie ebenfalls schwer. Die Fahndung nach ihm läuft.

    Der Attentäter Riaz K. bei einem Schwimmkurs für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das Foto entstand im Dezember in Ochsenfurt.
    Der Attentäter Riaz K. bei einem Schwimmkurs für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das Foto entstand im Dezember in Ochsenfurt. Foto: Thomas Fritz

    Der Zufall will es, dass sich ein Spezialeinsatzkommando der Polizei wegen eines anderen Vorfalls in der Gegend aufhält. Es wird sofort an den Main beordert und spürt Riaz K. kurz darauf in einem Gebüsch auf. Später heißt es, er habe versucht, die Beamten mit Axt und Messer anzugreifen. Darauf hätten diese ihre Waffen gezogen. Gegen 23 Uhr fallen die Schüsse am Ufer, von denen mindestens einer tödlich ist. Hier liegt seine Leiche bis um 6.35 Uhr am nächsten Morgen.

    „Ein netter Junge. Einer, der immer freundlich gegrüßt hat. Keiner hätte ihm das zugetraut.“ Das sagt Simone Barrientos. Sie kümmert sich in Ochsenfurt um minderjährige Flüchtlinge. Es sind „ihre Jungs“, wie sie sagt. Darunter war auch Riaz K. Doch es gibt auch andere Stimmen. Über Dritte ist von einer Betreuerin des Jungen zu hören, er sei aggressiv gewesen, habe sich aufgeführt. So sehr, dass sie sein Verhalten melden wollte. Für eine Stellungnahme ist die Frau nicht zu erreichen. Kein Betreuer bei Kolping darf über den Jungen reden.

    Die Einrichtung ist am Dienstagmorgen weitgehend von der Polizei abgeriegelt. Von den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die an normalen Tagen im Hof sitzen, ist keiner zu sehen. Sie werden abgeschirmt. Simone Barrientos kannte Riaz K. nur flüchtig. In den Spätnachrichten hat sie am Montag gehört, dass ein minderjähriger Flüchtling aus der Kleinstadt den Amoklauf begangen hat. Sofort machte sie sich auf den Weg und redete mit den afghanischen Jungs. Doch keiner wusste etwas. Bis spät in die Nacht war Simone Barrientos unterwegs. Erst am nächsten Morgen erfährt sie mehr.

    ---Trennung _Wer war der Täter von Würzburg?_ Trennung---

    Riaz K. fiel vor dem Attentat in Würzburg nie auf

    Wer war dieser junge Mann? Bei der Polizei sei er nie auffällig gewesen, heißt es. Auch bei Auseinandersetzungen im Kolping-Haus, zu dem in letzter Zeit öfter mal die Polizei gerufen wurde, sei er nicht beteiligt gewesen. Ein unauffälliger Junge – in der Pflegefamilie, bei seinen Kumpels, in der Schule. Sogar ein Praktikum in einer Bäckerei nahe Würzburg habe er gemacht. Die Aussichten auf eine Lehrstelle waren nicht schlecht. Nach Informationen unserer Zeitung hatte auch das Jugendamt im Landratsamt Würzburg ein positives Bild von ihm. Er sei integrierbar gewesen, sonst wäre er auch nicht in eine Pflegefamilie gekommen, heißt es.

    Auch die Facebook-Seite von Riaz K. lässt keine Schlüsse darauf zu, dass der Junge als gewalttätig eingeschätzt werden konnte. Bilder aus einem ganz normalen Leben sind hier zu sehen. Selbstporträts vor der abgerissenen Ochsenfurter Mainbrücke oder beim Fahrradfahren im Ochsenfurter Gau.

    Natürlich ist der Amoklauf gestern auch in Heidingsfeld das Gesprächsthema. In den Cafés, beim Friseur, an der Metzgerstheke. „Was muss einem 17-Jährigen passiert sein, dass er so etwas tut?“, gibt Mechthilde Breitschwerdt die meistgestellte Frage in ihrem kleinen „Lädle“ wieder. „Die meisten meiner Kunden haben Kinder und Enkel, da beschäftigt einen das Warum.“ Angst habe sie aber keine, denn Zufallsopfer könne jeder werden – ob in Brüssel, Paris oder eben hier in Würzburg-Heidingsfeld.

    Das Vorgehen der Polizisten steht für die Ladeninhaberin außer Frage. „Die nehme ich auf jeden Fall in Schutz.“ Die Kritik seitens der Grünen-Politikerin Renate Künast, dass die Beamten den Täter nicht hätten erschießen müssen, kann sie nicht verstehen. Man müsse den Polizisten dankbar dafür sein, „dass sie ihr Leben für uns riskierten“.

    Der Täter ist ein minderjähriger Asylbewerber.
    Der Täter ist ein minderjähriger Asylbewerber. Foto: Karl-Josef Hildenbrand (dpa)

    Ähnlich sieht das ein Stück weiter Gert Ratsmann. Der Mitarbeiter des Würzburger Gartenamtes ist seit der Früh im Einsatz, er mäht gemeinsam mit zwei Kollegen die Wiesen. „Ich finde es super, dass die Polizei so schnell gehandelt hat. Respekt“, sagt er. Für seinen Kollegen Michael Roth kam das Attentat nicht wirklich überraschend. „Es passiert ja ständig. Dass es bei uns passiert, war doch nur eine Frage der Zeit“, sagt der 25-Jährige.

    Dirk Nowitzki twittert in seine Heimatstadt Würzburg: "Sprachlos"

    Nicht weit entfernt vom Tatort leben die Eltern von Dirk Nowitzki. Der Basketball-Star twittert gestern aus den USA: „Sprachlos. In Gedanken bin ich in meiner Heimatstadt Würzburg. Kranke Welt…“ Nowitzkis Vater Jörg hat sich am Abend über die vielen Sirenen und das Knattern der Hubschrauber gewundert, die über Heidingsfeld kreisten. „Ich dachte zunächst, es sei etwas auf der nahen Autobahn passiert“, erzählt er. Als er am nächsten Tag von den schrecklichen Ereignissen in der Nachbarschaft erfährt, fällt er wie sein berühmter Sohn ein knappes Urteil: „Verrückte Welt.“

    In der Polizeiinspektion in der Weißenburgstraße werden am Morgen Zeugen befragt. Auch eine junge Sozialpädagogin, die in der Kolping-Einrichtung in Ochsenfurt arbeitet – wo Riaz K. bis vor kurzem wohnte. Die Frau saß zufällig in derselben Bahn, weil sie sich in Würzburg mit ihrem Freund treffen wollte. Aus dem fahrenden Zug hat sie ihm per Sprachnachricht von der Bluttat berichtet. Der Freund alarmierte daraufhin die Polizei.

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