Gestern ist heute – heute ist morgen. Was nach Küchenphilosophie klingt, beschreibt in aller Kürze die Situation des seit Menschengedenken überhitzten Münchener Immobilienmarktes. Seit Jahrzehnten fallen in der Landeshauptstadt die Betuchten in die Arbeiterviertel ein, und die alten Anwohner müssen sehen, wo sie bleiben. Es ist der immerwährende Kampf David gegen Goliath – mit dem Unterschied, dass hier in der Regel die Reichen gewinnen.
Nirgendwo wird diese Situation so unterhaltsam widergespiegelt wie in der TV-Kultserie „Münchner Gschicht’n“. Da saßen der Tscharlie Häusler und seine Oma Anna, großartig gespielt von der unvergessenen Therese Giehse, schon in den 70er Jahren in ihrer abgelebten Küche im Lehel und diskutierten darüber, wie Investoren und Spekulanten die gewachsenen Viertel der Stadt langsam zerstören. Und sie sprachen davon, wie die Münchner von wohlhabenden Zugereisten Schritt für Schritt aus ihrer Stadt gedrängt werden. Ihr Haus war wie viele andere des Viertels vom Abriss bedroht. Ein edler Neubau soll an der Stelle hochgezogen werden. Die Oma muss ins moderne Altenheim am Rande der Stadt. Im Film ist das nicht anders als in der Realität.
Mieterverein: "Auch erhebliche Mieterhöhungen sind ganz legal."
Noch heute walzt die Immobilienmaschinerie durch die noch nicht sanierten Viertel. Kritische Beobachter behaupten sogar: Sie tut es mehr denn je. Nur tragen die betroffenen Stadtbezirke zum Teil andere Namen. Früher hießen sie Schwabing, Haidhausen oder Glockenbach, heute heißen sie Schlachthof, Untergiesing, Au und Westend. Schwabing ist immer noch dabei. Der Ablauf ist gleich: Erst kommen die Kreativen, also die Designer, Musiker, Literaten, Maler. Sie bringen Kultur in die Viertel, machen es spannend. Dann folgen die Investoren und die Reichen – am Ende stehen die Kündigungen der alten Mietverträge. Der Spiegel kommentierte die Situation einmal mit dem blumigen Satz: „Die Großstadt mit Herz wandelt sich in ein Schickeria-Getto.“
Doch Gettos können in München durchaus äußerst reizvoll sein – wenn man nur genügend Geld hat. Wir suchen in Immobilienportalen im Internet nach einem geeigneten Objekt. Eines sticht ins Auge: „Lichtdurchflutetes Loft – Schwanthalerhöhe“, heißt es in der Anzeige. Das Haus liegt im Westend, einem der neuen Viertel, die, wie es die Makler formulieren, „gerade im Kommen“ sind. Sechs Zimmer, 240 Quadratmeter, Balkon, Garten für knapp 1,3 Millionen Euro – eine Luxussanierung wie aus dem Bilderbuch. Wir zeigen am Telefon Interesse, der Immobilienexperte antwortet freundlich: „Natürlich können Sie alles nach Ihren Wünschen individuell gestalten lassen.“ Bei Nachfragen stellt sich heraus, dass die Wohnung in diesem Jahr noch nicht bezogen werden kann. Warum? Der Mann druckst ein wenig herum. Die Verhandlungen mit den Mietern seien noch nicht abgeschlossen, räumt er ein. „Ja dann, schade...“ – das Gespräch ist zu Ende.
Kurz darauf Ortsbesichtigung im Westend – allerdings ohne Makler.
Ein exemplarischer Fall für den Sanierungsboom in München: Das über 100 Jahre alte Objekt liegt in einer ruhigen Einbahnstraße mit Multikulti-Charme. Hier ein türkischer Gemüsehändler, eine kleine Näherei, Spielsalons, von denen einer frei nach Peter Alexander „Die Kleine Kneipe“ heißt. Dort aber auch schon Architekturbüros und ein Geschäft für Holzblasinstrumente, in dem nicht nur billige Blockflöten verkauft werden.
Die meisten Wohnhäuser stammen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. Viele sind noch nicht saniert, nur ein einziger Porsche ist weit und breit zu sehen, ansonsten stehen in die Jahre gekommene Ford Fiestas und Opel Corsas in den Parklücken. Das sagt einiges aus. Denn von Autos lässt sich in Deutschland gut auf das Einkommen der Anwohner schließen.
Was einmal ein Luxusloft werden soll, ist bisher ein schäbiges Rückgebäude, von dem der Putz bröckelt. Es liegt ein süßlicher Geruch in der Luft. Wahrscheinlich, weil in der nahegelegenen Augustiner-Brauerei, die als Lärmschutzwand zur viel befahrenen Landsberger Straße dient, gemalzt wird.
Fast scheint es so, als wäre das Haus nicht mehr bewohnt. Zwar zieren jede Menge Namen die Schildchen unter den Klingeln. Aber niemand öffnet. Schließlich meldet sich doch eine Frau. Wie sich herausstellt, gehört sie zu letzten verbliebenen Mietern. Ansonsten ist das Haus schon weitgehend leer, entmietet heißt das im Fachjargon.
Von Luxus drinnen noch keine Spur. Der Eingang ist mit Badezimmerfliesen aus den 50er Jahren gekachelt, die Treppen sind abgelaufen. Die Mieterin, die namentlich nicht erwähnt werden will, bittet freundlich in die Wohnung und erzählt von ihrer problematischen Lage. „Die meisten Einheiten in dem Haus sind bereits verkauft“, berichtet die Endreißigerin. Ihrer Familie sei auch ein Angebot gemacht worden – 400000 Euro für nicht einmal 100 Quadratmeter, natürlich unsaniert. „Wir würden gerne kaufen, haben auch Geld zurückgelegt, aber noch steht nicht fest, wie teuer die Sanierung des Gemeinschaftseigentums kommt.“ Ihr Mann und sie, beide Akademiker, würden noch überlegen. Wahrscheinlich müssen aber auch sie ausziehen. „Das Risiko, dass wir uns finanziell überheben, ist zu groß“, sagt sie. Wo sie mit ihren zwei Kindern dann hinziehen? Die Frau zieht die Schultern hoch: „Keine Ahnung, es wird sich doch hoffentlich was finden...“
Falls sie drinbleiben könne, wird sie sich gegen steigende Mieten nur schwer wehren können. „Auch erhebliche Mieterhöhungen sind nach einer Grundsanierung ganz legal“, erklärt Anja Franz vom Mieterverein München. Da sei nichts zu machen. Wenn die Mieter die Beteiligung an der Modernisierung nicht zahlen können, müssten sie ausziehen. „Es ist immer dasselbe Spielchen“, meint Franz.
72 Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt müssen die Mieter in München für eine Wohnung zahlen. Das meldete jüngst die Landesbausparkasse. Im Schnitt liegen die Kosten in mittleren Lagen mit normaler Ausstattung bei über zwölf Euro pro Quadratmeter, im alten Westberlin sind es übrigens nur 5,50 Euro. Gar nicht zu reden von den exklusiven Angeboten. Die Monatsmiete für ein Penthouse am Stachus beträgt beispielsweise 19000 Euro – plus Nebenkosten. Dafür bekommt man aber auch über 500 Quadratmeter inklusive Sauna und Dampfbad. Das können sich selbst die meisten Spitzenmanager nicht leisten. „In München gibt es genügend Zahlungskräftige, die sich in solchen Lagen einmieten“, widerspricht Anja Franz.
Ude: "Das Wohnungsproblem Münchens ist seit 1900 nicht gelöst worden."
In der Stadt mit dem Herz für Reiche regt sich jedoch derzeit ein weiters mal Widerstand gegen die Luxussanierungen. In Vierteln wie Untergiesing, Sendling oder Schwabing gärt es. Überregional Wellen schlug aber nur die Protestveranstaltung gegen die Schließung der „Schwabinger 7“ im vergangenen Frühjahr. Künstler wie Michael Mittermeier, Konstantin Wecker und Erwin Pelzig sangen bei einer Veranstaltung an der Münchner Freiheit gegen den Abriss der legendären Münchner Kneipe. Geholfen hat es nichts. Die Gaststätte ist geschlossen, ein Neubau entsteht.
Oberbürgermeister Christian Ude, als früherer Mieteranwalt vom Fach, sieht sich als Helfer überfordert. „Das Wohnungsproblem Münchens ist seit 1900 nicht gelöst worden, und so wird es auch bleiben“, sagte er in einem Interview. Doch die Stadt habe alles getan, was die Rechtsordnung erlaubt. „Wir gehen strengstens gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum vor, haben Satzungen gegen Luxussanierung erlassen und die städtischen Wohnungsbaugesellschaften vergrößert“, argumentiert der SPD-Politiker. Doch das Ziel von 1800 neuen öffentlich geförderten Wohnungen pro Jahr sei nicht erreicht worden. Trotz des derzeit größten Wohnungsprogramms in Deutschland, bei dem frühere Kasernenareale, aufgelassene Flächen von Post und Bahn bebaut werden.
Darum wird sich die Welle an Sanierungen und Luxussanierungen fortsetzen, vermutet Anja Franz vom Mieterverein. Für die Investoren sind Immobilien in Zeiten der Euro-Krise in einer attraktiven Stadt wie München Gold wert. Rudolf Stürzer vom Haus- und Grundbesitzerverein sagt: „Die Krise befeuert den Trend.“ Der Immobilienverband Deutschland drückte dies in Zahlen aus: 2010 seien in München mit Häusern und Wohnungen 7,6 Milliarden Euro umgesetzt worden. Die Renditen lägen bei jährlich sechs Prozent, sie seien sicher.
Das wird beim Haus in Westend nicht anders sein. „Die werden noch heuer mit der Sanierung beginnen“, ist sich die Mieterin sicher. Während sie und ihre Familie in eine erschwingliche Wohnung umziehen werden, ist nebenan dem Wirt der „Schwalbe“ wegen der Veränderungen im Viertel nicht bange: „Da kommt viel Leben rein“, sagt er.