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Lesetipp: Woher kommt die Angst vor AstraZeneca – und wie hoch ist das Risiko wirklich?

Lesetipp

Woher kommt die Angst vor AstraZeneca – und wie hoch ist das Risiko wirklich?

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    In Bayern ist die Impfung mit AstraZeneca jetzt für alle möglich. Trotzdem bleibt bei einigen ein mulmiges Gefühl. Warum?
    In Bayern ist die Impfung mit AstraZeneca jetzt für alle möglich. Trotzdem bleibt bei einigen ein mulmiges Gefühl. Warum? Foto: Robert Michael, dpa

    In Bayern kann sich ab sofort jeder Erwachsene, der möchte, den AstraZeneca-Impfstoff verabreichen lassen. Einzige Voraussetzung: eine ausführliche Beratung. Viele freuen sich über die Nachricht, darunter die Kassenärztliche Vereinigung. Andere trauen dem Vakzin nicht. Woher das mulmige Gefühl bei der Impfung mit AstraZeneca? Und ist die Sorge berechtigt? Das kann die Mathematik beantworten.

    Christian Hesse ist Professor für Stochastik. Er befasst sich mit dem wahrscheinlich makabersten Feld seiner Disziplin – der Sterbewahrscheinlichkeit. Sprich: Er sammelt Daten und berechnet, wie hoch unser Risiko ist, bei bestimmten Aktivitäten zu sterben.

    Grundsätzlich unterscheidet Hesse dabei zwischen punktuellen und langfristigen Gefahren. Fahrradfahren beispielsweise zählt zu den punktuellen. Solange man auf dem Sattel sitzt, ist das Risiko präsent. Steigt man ab, verschwindet es. Anders beim Rauchen. Eine Zigarette kann auch Jahre später noch Auswirkungen auf die Gesundheit und damit das Sterberisiko eines Menschen haben.

    Christian Hesse ist Professor für Mathematik an der Universität Stuttgart. Außerdem hat er mehrere Bücher geschrieben, die sich mit dem Thema Wahrscheinlichkeit befassen.
    Christian Hesse ist Professor für Mathematik an der Universität Stuttgart. Außerdem hat er mehrere Bücher geschrieben, die sich mit dem Thema Wahrscheinlichkeit befassen. Foto: Miina Jung

    Einfluss auf die Sterbewahrscheinlichkeit haben verschiedene Faktoren. Ausdrücken lässt sich das in einer Einheit, dem Mikromort. „Das ist eine Risikoskala. 'Mikro' steht für ein Millionstel und 'mort' ist das französische Wort für Tod. Insofern ist ein Mikromort ein Millionstel statistischer Tod“, sagt Hesse. Oder anders ausgedrückt: Die Sterbewahrscheinlichkeit liegt bei 1:1.000.000.

    Der wahrscheinlich wichtigste Faktor für den „statistischen Tod“ ist das Alter. „Ein durchschnittlicher 25-Jähriger hat, wenn er morgens aufsteht, ein Risiko von einem Mikromort, diesen Tag nicht zu überleben“, erklärt Hesse. Alle sieben Jahre verdoppelt sich dieser Wert. Mit Anfang 30 sind es also zwei Mikromort, mit 60 Jahren sind es schon 28. Sollte der Mensch trinken, rauchen, jeden Tag Fastfood essen, erhöht sich das Risiko entsprechend.

    Eine Impfung mit AstraZeneca ist in etwa genauso gefährlich wie acht Zigaretten zu rauchen

    Auch die Impfung mit AstraZeneca lässt sich in dieser Skala ausdrücken. In Deutschland gab es zwölf Todesfälle bei insgesamt fünf Millionen Impfungen mit AstraZeneca. Also in etwa ein Risiko von 1:420.000. Umgerechnet sind das etwa 2,4 Mikromort.

    Zum Vergleich: Der Wert bei der Impfung ist also in etwa genauso hoch, als würde man einmal acht Zigarettenrauchen. Noch gefährlicher ist nach Angaben des Mathematik-Professors eine Vollnarkose. Das Risiko, nach einer Narkose nicht wieder aufzuwachen, beziffert Hesse auf etwa 80 Mikromort. Um diese Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, bezieht der Wissenschaftler seine Daten aus offiziellen Quellen wie beispielsweise dem Statistischen Bundesamt.

    Wie wahrscheinlich ist es, an Corona zu sterben?

    Wer nun vor einem Impftermin die Gefahren abwägen möchte, sollte das Sterberisiko einer Corona-Infektion kennen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit diese tödlich endet, hängt in erster Linie Alter eines Infizierten ab. Für einen durchschnittlichen70-Jährigen liegt dieser Wert bei etwa 20.000 Mikromort. Bei jüngeren Menschen ist er üblicherweise niedriger, bei älteren höher. Inwieweit eine Impfung mit AstraZeneca gefährlicher ist als beispielsweise ein Grippeschutz-Vakzin, lässt sich wiederum schwer sagen. Das Robert-Koch-Institut verweist auf Anfrage darauf, dass sich möglicheKomplikationen medizinisch kaum vergleichen ließen. Häufig könnten Ärzte auch nicht sicher feststellen, ob eine Nebenwirkung tatsächlich durch den Impfstoff ausgelöst wurde oder ob eine andere Ursache vorliegt.

    Solange es aber gesicherte Daten gibt, lässt sich in diesem Mikromort-Index fast jede Aktivität mit ihrem Risiko ausdrücken. Beispielsweise auch unsere tägliche Fortbewegung. Je nachdem, welches Verkehrsmittel wir nutzen, dauert es unterschiedlich lange, bis wir einen Mikromort erreicht haben. Beim Flugzeug müssen wir 12.000 Kilometer reisen, um einen Mikromort für den Tag zu sammeln. Mit der Bahn sind es 10.000, mit dem Auto 500 und mit dem Motorrad 40 Kilometer. Am gefährlichsten: das Fahrrad – mit nur 15 Kilometern bis zum ersten Mikromort.

    Der Weg zum Impfzentrum ist unter Umständen gefährlicher als die Impfung mit AstraZeneca

    Das kann zu einem interessanten Paradox führen, was die Impfung gegen das Coronavirus anbelangt: „Wenn das nächste Impfzentrum eine Stunde entfernt ist, man also eine Stunde hin- und wieder zurückfahren muss, dann ist das Risiko auf dem Weg zu sterben - aus welchen Gründen auch immer - ein wenig größer als das Sterberisiko durch die Impfung“, sagt Hesse. „Dabei spielt nicht nur die Gefahr durch Unfälle eine Rolle. „Das kann auch ein Raubüberfall mit Todesfolge sein.“ Trotzdem dürfte in der Praxis kaum ein Impfling Angst vor der Anreise haben.

    Warum also haben wir vor der Impfung Sorge, nicht aber vor dem Weg zur Impfung? Angst ist ein Gefühl, und Gefühle fußen selten auf rationalen Überlegungen. Ob und wie stark wir vor etwas Angst haben, hängt beispielsweise davon ab, inwieweit wir Kontrolle über die Situation haben. Oder wie intensiv wir mit der Gefahr konfrontiert werden, sagt Hesse.

    Beispiel Flugangst. „Wenn ein Flugzeug abstürzt, sterben viele Menschen auf einmal. Deshalb wird größer darüber berichtet. Anders als bei einem kleinen Autounfall. Durch die Bilder und Berichte über den Absturz steigt unsere Angst, wenn wir ins Flugzeug steigen.“ Dazu kommt, dass wir im Flugzeug Kontrolle abgeben. Anders als beim Auto können wir nicht selbst steuern, bremsen, ausweichen. „Und es wirkt eben auch unsicher, dass so ein schweres Metallteil ein paar tausend Meter hoch durch die Luft fliegt“, sagt der Wissenschaftler Hesse. Die physikalischen Vorgänge, die das Flugzeug am Himmel halten, sind für viele Menschen nur schwer zu begreifen.

    Ähnlich ist es mit der Impfung. Wir können nicht kontrollieren, wie sie wirkt, wenn sie uns gespritzt wurde. Außerdem verstehen nur wenige, welche Prozesse sie im Körper auslöst. „Dazu kommt, dass über die Komplikationen relativ groß berichtet wurde. Und der Impfstopp hat das Vertrauen sicherlich weiter geschädigt“, sagt Hesse. Und geschädigtes Vertrauen führt zur Angst. Auch wenn die rational völlig unbegründet ist.

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