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Wikileaks: Julian Assange: Scharlatan, Staatsfeind oder Befreier?

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Julian Assange: Scharlatan, Staatsfeind oder Befreier?

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    Julian Assange nimmt es mit der ganzen Welt auf. Der Wikileaks-Gründer veröffentlicht, was geheim bleiben soll. Was ihn antreibt, weiß niemand. Porträt eines rätselhaften Mannes.
    Julian Assange nimmt es mit der ganzen Welt auf. Der Wikileaks-Gründer veröffentlicht, was geheim bleiben soll. Was ihn antreibt, weiß niemand. Porträt eines rätselhaften Mannes. Foto: DPA

    Was es nicht alles an Geschichten über Julian Assange gibt. Und keiner weiß, was stimmt. Seine geheimen Schätze sollen in einem stillgelegten schwedischen Atombunker lagern, der im Notfall von deutschen U-Boot-Motoren mit Strom versorgt wird. Die Schätze sind geheime Unterlagen, mit deren Veröffentlichung er die ganze Welt in Aufruhr versetzt und die ihm Morddrohungen einbringen. Vielen gilt er als gewissenloser Scharlatan, als Staatsfeind und jetzt auch noch als Vergewaltiger. Andere sehen in ihm den großen Befreier, den Aufklärer der modernen Zeit, ein Mann, dem die Herzen zufliegen.

    Julian Assange, 39, ist geistiger Vater derjenigen Internetplattform, über die die ganze Welt spricht: Wikileaks. Seit gestern sitzt Assange in London in Haft. Und das soll vorerst so bleiben. Aber

    Noch am Wochenende war der Versuch offizieller Stellen gescheitert, die Online-Seite über die Sperrung der zentralen Adresse aus dem Netz zu nehmen. Doch binnen kürzester Zeit richteten Aktivisten mehr als 70 Kopien des Informationsportals im Internet ein. Wieder einmal wird deutlich: Was einmal im Netz steht, ist so schnell nicht mehr herauszubekommen.

    Wikileaks gleicht einer Hydra mit neun Köpfen

    Wikileaks gleicht einer Hydra, dem schlangenähnlichen Monster der griechischen Mythenwelt. Verliert die Hydra einen Kopf, so wachsen ihr sofort zwei neue nach. Herakles gelang es schließlich, die Hydra zu töten. Er schlug ihr den unsterblichen Kopf ab. Doch wie soll das, aus der Perspektive der Wikileaks-Gegner, im Internet gehen?

    Bei aller Beteuerung seitens Wikileaks', dass es auch ohne Julian Assange weitergehen würde, zeigte sich zuletzt, wie sehr das Projekt von seinem Mitbegründer abhängig ist. Dennoch verkündete Wikileaks gestern trotzig, auch ohne Assange weitermachen, ja sogar schneller sein zu wollen. Die Basis bleibe erhalten, um das Kerngeschäft voranzutreiben, nämlich geheime Dokumente im weltweiten Netz der Öffentlichkeit bekannt zu machen.

    Ob auch Assange selbst glaubt, dass die Plattform ohne ihn funktioniert, darf bezweifelt werden. "Ich bin Herz und Seele dieser Organisation", sagte der Australier einmal. Dem langjährigen deutschen Wikileaks-Aktivisten Daniel Domscheit-Berg, der das Projekt mittlerweile verlassen hat, soll Assange gedroht haben: "Wenn du ein Problem mit mir hast, dann verpiss dich."

    Jetzt ist Julian Assange im Gefängnis. Man wirft ihm unter anderem Vergewaltigung vor. Mit Wikileaks habe das gar nichts zu tun, sagen die Behörden. Das sei eine von den USA lancierte Kampagne, sagt der Beschuldigte.

    "Das Treffen mit der Polizei verlief herzlich"

    Es war 9.30 Uhr, als Assange gestern mit seinem Anwalt Mark Stephens auf einer Polizeiwache von Scotland Yard in London erschien. Dort nahm sein atemberaubendes Versteckspiel ein sehr britisches, also nüchtern-zivilisiertes Ende. Assange wurde, wie zu diesem Termin erwartet, festgenommen, nachdem schwedische Behörden einen europäischen Haftbefehl ausgestellt hatten. "Das Treffen mit der Polizei verlief herzlich", sagte Stephens, "man war zufrieden, dass sich hier der echte Julian Assange eingefunden hatte. Es geht ihm gut."

    Wie optimistisch diese Einschätzung war, ließ sich Sekunden später am Hintereingang des Gerichts sehen. Assange wurde vorgefahren, mit versteinertem Gesicht - und nur wenigen Optionen. Zwar hatten britische Menschenrechtler, Filmproduzenten und Prominente, darunter Milliardärstochter Jemima Khan, sich bereit erklärt, eine hohe Kaution zu zahlen, um Assange bis zur Klärung des Abschiebe-Ersuchens Freiheit zu gewähren. Doch auch diese Hoffnung sollte sich kurze Zeit später zerschlagen.

    Die zwei mutmaßlichen Opfer legen Assange insgesamt vier Taten zur Last, darunter Vergewaltigung, Nötigung und sexuelle Belästigung. Angeblich habe sich Assange trotz Gegenwehr nackt auf eine der Frauen gelegt; die zweite Frau wirft ihm vor, ihr im Schlaf Geschlechtsverkehr ohne Verhütungsmittel aufgezwungen zu haben. Die Übergriffe sollen sich im August in Stockholm ereignet haben und könnten Assange, sofern er ausgeliefert und in Schweden verurteilt wird, bis zu sechs Jahre Haft einbringen. Er hat stets seine Unschuld betont und von fingierten Vorwürfen gesprochen.

    Julian Assange bleibt bis 14. Dezember in Gewahrsam

    Ganz glatt waren die Ermittlungen in der Tat nicht gelaufen. Sie waren erst eingestellt und dann auf Druck eines schwedischen Politikers wieder aufgenommen worden. Währenddessen tauchte Assange in Südostengland unter, wo Ende November ein internationaler Haftbefehl mit Formfehlern einging. Montagabend landete schließlich eine korrigierte Version bei Scotland Yard. Erst am 14. Dezember soll über das weitere Prozedere beraten werden. Bis dahin bleibt der Mann in Polizeigewahrsam.

    Assange hat nicht das erste Mal in seinem Leben Ärger mit der Justiz. Anfang der neunziger Jahre wurde er als junger Hacker in Australien zu einer Geldstrafe verurteilt. Er fürchtete eine Haftstrafe von zehn Jahren, floh und übernachtete in Parks. Die Zeit der Ermittlungen habe er als traumatisierend empfunden, sagte er rückblickend.

    Doch wer ist Julian Assange wirklich? Sein Leben umweht die Aura des Geheimnisvollen. Im Internet und in Zeitungen kursieren die widersprüchlichsten Dinge. Nicht wenige vermuten, Assange habe seine Biografie erfunden, zumindest teilweise. Das Wenige, was bekannt ist, stammt aus persönlichen Blog-Einträgen, E-Mails und Interviews.

    Mehr oder weniger fest steht: 1971 wird Assange in Australien geboren. Die Ehe der Eltern scheitert früh. Die Mutter flieht mit ihm auf dem Motorrad. Er bekommt einen neuen Vater, den Direktor eines Wandertheaters. Die Zeit der Flucht und Reisen geht weiter, Assange bezeichnet sich und seine Mutter als "Nomaden". Irgendwann ist auch der neue Vater weg. Den ersetzt fortan ein Computer. Julian ist da elf Jahre alt. Vielleicht ist dies das entscheidende Ereignis in seinem Leben.

    Wie er lernte, in den Köpfen fremder Menschen zu lesen

    Fortan sitzt der Junge fast nur noch vor dem Bildschirm, stundenlang, tagelang. Er beginnt Programme zu schreiben und zu hacken, während andere Kinder am Computer spielen. Julian Assange, der sich im Internet "Mendax" (lateinisch: lügnerisch) nennt, lernt, in den Köpfen fremder Menschen zu lesen.

    2006 verschanzt sich Assange in seiner Wohnung und programmiert Wikileaks, ohne Unterbrechung, wie besessen. Gäste berichten davon, dass er nie geschlafen und nichts gegessen habe. Moderne Mythenbildung? Vielleicht. Auszuschließen ist es bei Julian Assange jedenfalls nicht. Rückblickend bezeichnet er das Hacken unter Verweis auf Friedrich Nietzsche als Spiel: "Es ist ein Spiel, ein Spiel mit der Macht. Jeder von uns hat einen Willen zur Macht."

    Was als sicher gelten kann, ist Assanges Furcht vor Autoritäten. Da verwundert es nicht, dass Franz Kafka und Alexander Solschenizyn seine Lieblingsschriftsteller sein sollen. Vielleicht fühlt er sich wie Kafka schemenhaften, dunklen Mächten ausgeliefert und spürt die Hilflosigkeit des Einzelnen gegenüber einer als autoritär und verschworen empfundenen Macht. Aber auch das ist Spekulation.

    Die Information muss frei sein, also muss sie befreit werden

    Dagegen setzt er die freie Information. Einer der Leitsätze der Hacker-Kultur lautet, dass Informationen frei verfügbar sein müssen. Dies ziehe zwingend nach sich, dass die Informationen befreit werden müssen. Mit der Veröffentlichung geheimer Dokumente auf Wikileaks hofft Assange, die öffentliche Meinung zu verändern, selbst die "von Menschen mit politischem und diplomatischem Einfluss". Dabei ist das Leben von Assange und Wikileaks selbst alles andere als transparent. Frisst die Revolution also ihre eigenen Kinder?

    Über allem steht die Frage: Was bezweckt Assange mit seinen Aktionen? Vielleicht geht es ihm gar nicht darum, einen Kreuzzug gegen die USA zu führen und die Welt ins Chaos zu stürzen. Andererseits sagt er: Menschliche Konflikte sind der Kampf des Individuums gegen Institutionen.

    Assange kann auch kommende Woche noch gegen Zahlung einer hohen Kaution auf freien Fuß gesetzt werden. Schon vor Wochen hat er angekündigt, im Januar hochbrisante Informationen über eine amerikanische Großbank veröffentlichen zu wollen. Sein nächster Coup.

    Und noch etwas hat er angekündigt: Sollte er sterben oder auch nur ins Gefängnis kommen, werde eine 1,4 Gigabyte große Computer-Datei entschlüsselt, die in der ganzen Welt auf Servern und in Redaktionen lagere - mit unbekanntem Inhalt.

    Aber es ist wie mit so vielem bei Julian Assange: Wer weiß schon, was wirklich stimmt? Von Niko Steeb und Jasmin Fischer

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