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Wikileaks-Gründer: Julian Assange – Ist er Freiheitskämpfer oder Datendieb?

Wikileaks-Gründer

Julian Assange – Ist er Freiheitskämpfer oder Datendieb?

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    Für seine Anhänger ist Julian Assange ein Märtyrer, der für die Freiheit kämpft. „Die Wahrheit wird siegen“ steht auf einem Holzkreuz, mit dem sich ein Unterstützer vor dem Gericht postiert hat, in dem die Anhörung stattfindet.
    Für seine Anhänger ist Julian Assange ein Märtyrer, der für die Freiheit kämpft. „Die Wahrheit wird siegen“ steht auf einem Holzkreuz, mit dem sich ein Unterstützer vor dem Gericht postiert hat, in dem die Anhörung stattfindet. Foto: Matt Dunham, dpa

    Die grauen Wolken hängen bedrohlich tief über Woolwich. Hier im Südosten Londons vor dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh versammeln sich bereits am Morgen dutzende Aktivisten, einige haben in Zelten übernachtet, nun rufen sie seit 6 Uhr morgens im Chor immer wieder „Free Julian Assange“. Die Demonstranten, einige reisten extra aus Frankreich oder Deutschland an, halten Plakate in den Nieselregen, auf denen „Keine Auslieferung an die USA“ geschrieben steht oder „Die Wahrheit wird siegen“.

    Sie kämpfen für die sofortige Freilassung des Wikileaks-Gründers Assange, der seit April 2019 wegen Verstoßes gegen Kautionsauflagen im Belmarsh-Gefängnis in Untersuchungshaft sitzt. Gestern hat im Woolwich Crown Court die Anhörung im Auslieferungsverfahren begonnen. Durch den unterirdischen Tunnel, der das Gefängnis mit dem Gericht verbindet, kam auch Julian Assange. Er erschien in weißem Hemd, darüber trug er einen grauen Pullover und grauen Blazer und verfolgte zunächst teilnahmslos von seinem Platz im hinteren Teil des Gerichtssaals aus, was die US-Justiz ihm vorwarf.

    Vor einem Londoner Gefängnis fordern Aktivisten die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Unter ihnen ist auch Assanges Vater John Shipton (dritter von rechts).
    Vor einem Londoner Gefängnis fordern Aktivisten die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Unter ihnen ist auch Assanges Vater John Shipton (dritter von rechts). Foto: Victoria Jones, dpa

    Assange wird vorgeworfen, Menschen in Gefahr gebracht zu haben

    Journalismus sei keine Entschuldigung dafür, das Gesetz zu brechen, sagte James Lewis im Eröffnungs-Statement für die US-Staatsanwaltschaft. Assange habe bewusst das Leben von Menschen in Gefahr gebracht. Namen von Informanten, Menschenrechtsaktivisten, Dissidenten, Journalisten und ihren Familien, die unter anderem im Irak und Afghanistan den USA und deren Verbündeten geholfen hätten, seien an die Öffentlichkeit gelangt, das Material nicht einmal in Teilen unkenntlich gemacht worden.

    Geheime Quellen, die die Regierung in Washington mit Informationen beliefert hatten, seien „verschwunden“, nachdem die klassifizierten Dokumente durch Wikileaks bekannt gemacht wurden, so Lewis. Gleichwohl gab er zu, die US-Ermittler könnten zu diesem Zeitpunkt nicht beweisen, dass deren Verschwinden eine Folge des Entlarvens ihrer Identität sei.

    In den USA drohen Julian Assange 175 Jahre Haft

    Das Verfahren hatten die USA gegen den Australier angestrengt. Dort ist der 48-Jährige wegen Spionage und Hacking angeklagt. Ihm drohen 175 Jahre Gefängnis, sollte er in allen 18 Punkten schuldig gesprochen werden. Das wiederum wies Anwalt Lewis gestern als Übertreibung zurück.

    Doch laut den US-Ermittlern sei Assange in Zusammenarbeit mit der Whistleblowerin Chelsea Manning – damals Bradley

    Seine Anwälte sagen, er habe im öffentlichen Interesse gehandelt

    Ist er Held oder Verbrecher? Die Anwälte des Wikileaks-Gründers argumentieren, der Australier habe als Journalist gehandelt, der mit der Publikation von Beweisen für US-Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen im öffentlichen Interesse gehandelt habe. Der Chefredakteur der Enthüllungsplattform, Kristinn Hrafnsson, sprach im Vorfeld des Verfahrens von einem „politischen Fall“. Assange sei deshalb ein „politischer Gefangener“. Hrafnsson war gestern ebenfalls vor Ort und prangerte danach vor der Weltpresse die Strafverfolgung von Assange an. „Warum reden wir hier vor Gericht nicht über die Kriegsverbrechen, über die Ermordung von unschuldigen Zivilisten vom Militär? Darüber sollten wir im Gerichtssaal sprechen.“

    Julian Assange nach seiner Festnahme durch die britische Polizei in London.
    Julian Assange nach seiner Festnahme durch die britische Polizei in London. Foto: Victoria Jones, dpa (Archiv)

    Trotz des Regens trafen im Laufe des Tages immer mehr Unterstützer von Assange vor dem Betongebäude des Woolwich Crown Court ein. Der lautstarke Beistand der Aktivisten, die pfiffen, sangen und trommelten, klang bis ins Innere des Gerichts. Es wurde sogar Assange zu viel. Inmitten der Anhörung stand der Australier plötzlich auf und sagte, dass er für die Unterstützung zwar dankbar sei, er sich angesichts des Lärms jedoch nicht konzentrieren könne.

    Asssanges Vater sagt: "Er hat doch kein Verbrechen begangen"

    Bereits am Sonntag pilgerten Anhänger des Wikileaks-Gründers hierher, darunter auch der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis und australische Abgeordnete, die ihren Landsmann in die Heimat holen wollen. John Shipton, Assanges Vater, besuchte am Sonntag seinen Sohn zwei Stunden lang im Gefängnis und verfolgte gestern mit Assanges Bruder Gabriel Shipton die Anhörung. „Er hat doch kein Verbrechen begangen“, sagte der hagere Mann.

    Mittlerweile reden Vater und Sohn während der Visiten kaum noch über die aktuellen Entwicklungen, sondern vielmehr über Privates, über „die Frauen in unserem Leben“, über ihre Kinder und ihr großes Ziel, eines Tages gemeinsam den Jakobsweg in Spanien entlangzuwandern.

    Der Wikileaks-Gründer trainiert, versucht, fit zu bleiben

    Davon erzählte Shipton dieser Redaktion am Rande einer Pressekonferenz in London vergangene Woche. Dafür trainiere Assange täglich in seiner Zelle, gehe unzählige Male auf und ab. Der Aktivist versucht, fit zu bleiben. Dennoch gehe es dem wohl berühmtesten Häftling der Welt sehr schlecht nach „zehn Jahren konstant zunehmender psychologischer Folter“, wie es der Vater nennt.

    Erst vor drei Wochen wurde Assange auf Druck der Öffentlichkeit sowie einiger Mitgefangener aus der Einzelhaft entlassen. Seitdem habe sich seine Verfassung etwas verbessert, wie Shipton berichtete. Gleichzeitig verwies er auf den UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, der den Gesundheitszustand des Inhaftierten nach einem Besuch als lebensbedrohlich bezeichnet hatte. Dem Experten zufolge werde an Assange ein Exempel statuiert, um Journalisten einzuschüchtern.

    Vertreter von Reporter ohne Grenzen sagen, es geht nicht nur um die Pressefreiheit

    Der 48-Jährige wurde vor zehn Monaten in der ecuadorianischen Botschaft in London festgenommen. Dorthin war er 2012 aus Angst vor einer Auslieferung an die USA geflüchtet. Damals lag gegen ihn ein europäischer Haftbefehl wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden vor. Die Ermittlungen wurden 2019 eingestellt. Auch Vertreter der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) postierten sich gestern vor dem Gericht.

    Sie warnen davor, einen „gefährlichen Präzedenzfall“ zu schaffen für Whistleblower, kritische Journalisten und ihre Quellen – sowohl im Königreich und in den USA als auch international, wie die ROG-Leiterin des Londoner Büros, Rebecca Vincent, sagte. „Der Fall ist nicht nur bezüglich des Angriffs gegen die Pressefreiheit besorgniserregend, sondern auch alarmierend in einem umfassenderen Kontext, was Menschenrechte angeht“, so Vincent. So viel stünde auf dem Spiel. Die Anhörungen sind zunächst für diese Woche angesetzt. Das Verfahren soll Mitte Mai für weitere drei Wochen fortgeführt werden.

    Lesen Sie auch: Prominente fordern in Appell Freilassung von Julian Assange

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