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Türkei: Wie viel Macht hat der türkische Präsident Erdogan jetzt?

Türkei

Wie viel Macht hat der türkische Präsident Erdogan jetzt?

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    Der türkische Präsident Erdogan ist auf dem Zenit seiner Macht: Mit seiner Vereidigung ist er künftig zugleich Staats- und Regierungschef.
    Der türkische Präsident Erdogan ist auf dem Zenit seiner Macht: Mit seiner Vereidigung ist er künftig zugleich Staats- und Regierungschef. Foto: Adem Altem, afp

    Am Montag wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als Staats- und Regierungschef vereidigt. Erdogan selbst sagte, mit seiner Vereidigung beginne eine "neue Ära". Die Opposition warnt hingegen vor einer "Ein-Mann-Herrschaft". Wie viel Macht steht dem türkischen Präsidenten nun zu? Die wichtigsten Änderungen im Überblick:

    Türkischer Staats- und Regierungschef Erdogan wird deutlich mächtiger als bislang. Das Amt des Ministerpräsidenten, das aktuell noch von Binali Yildirim besetzt ist, wird abgeschafft. Erdogan ist dann Staats- und Regierungschef zugleich.

    Justiz Der Präsident hat nun mehr Einfluss auf die Justiz: Im Rat der Richter und Staatsanwälte kann er 4 der 13 Mitglieder bestimmen, das Parlament 7 weitere. Feste Mitglieder bleiben der Justizminister und sein Staatssekretär, die der Präsident ebenfalls auswählt.

    Ernennung und Absetzung Erdogan kann einer von ihm selbst bestimmten Anzahl Vizepräsidenten und Minister sowie aller hochrangigen Staatsbeamten ernennen und absetzen. Dazu braucht er nicht die Zustimmung des Parlaments.

    Gesetze per Dekret Der Präsident kann in Bereichen, die die Exekutive betreffen, Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, die mit Veröffentlichung im Amtsanzeiger in Kraft treten. Eine Zustimmung durch das Parlament ist nicht nötig. Dekrete werden unwirksam, falls das Parlament zum jeweiligen Bereich ein Gesetz verabschiedet. Präsidiale Dekrete dürfen Verfassungsrechte nicht einschränken und gesetzlich bereits bestimmte Regelungen nicht betreffen. Gesetze darf - bis auf den Haushaltsentwurf - nur noch das Parlament einbringen.

    Neuwahlen können sowohl das Parlament als auch der Präsident auslösen, im Parlament ist dafür eine Dreifünftelmehrheit notwendig. In beiden Fällen werden sowohl das Parlament als auch der Präsident zum gleichen Zeitpunkt neu gewählt - unabhängig davon, welche der beiden Seiten die Neuwahl veranlasst hat.

    Regierungszeit Die Amtszeiten des Präsidenten bleiben auf zwei beschränkt. Die Regierungspartei AKP hat aber eine Hintertür eingebaut: Sollte das Parlament in der zweiten Amtsperiode des Präsidenten eine Neuwahl beschließen, kann der Präsident noch einmal kandidieren. Die Zählung der Amtszeiten beginnt unter dem neuen Präsidialsystem neu. Erdogan ist also nun in seiner ersten Amtsperiode. Mit der Hintertür (und bei entsprechenden Wahlerfolgen) könnte er theoretisch bis 2033 an der Macht bleiben.

    Erdogan war von 2003 bis August 2014 Ministerpräsident und wurde dann zum Staatspräsidenten gewählt. Im April 2017 stimmten die Türken in einem umstrittenen Referendum für den Übergang zu einem Präsidialsystem. Kurz nach dem Referendum wurde Erdogan wieder Chef seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP, was im neuen System erlaubt ist. Mit rund 52,6 Prozent gewann Erdogan am 24. Juni die Präsidentenwahl. Seine AKP erhielt in der Allianz mit der ultranationalistischen MHP bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung.

    18.000 Staatsbedienstete per Dekret entlasen

    Einen Tag vor der Vereidigung wurden am Sonntag mehr als 18.000 Staatsbedienstete in der Türkei per Dekret entlassen. Darunter sind rund 9000 Polizisten und mehr als 6000 Armeeangehörige, aber auch Lehrer, Universitätsdozenten und Mitarbeiter verschiedener Ministerien. Außerdem wurden zwölf Vereine, drei Zeitungen und ein Fernsehsender geschlossen. Grund für die Entlassungen seien mutmaßliche Verbindungen zu Terrororganisationen oder Aktivitäten gegen die Staatssicherheit. (dpa/AZ)

    Türkei: Chronologie der Unruhen unter Erdogan

    Die Türkei steuert auf die Präsidenten- und Parlamentswahl am 24. Juni zu, die Regierung verspricht danach Stabilität. Daran mangelte es dem Land - das einst als Anker im unruhigen Nahen Osten galt - in der jüngeren Vergangenheit ganz erheblich. Hinter der Türkei liegen fünf turbulente Jahre, in denen das Land häufiger in seinen Grundfesten erschüttert wurde: 

    2013: Im Mai beginnen die Gezi-Proteste, die sich bald fast auf das ganze Land ausdehnen. Der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdogan sieht sich wegen seines zunehmend autoritären Führungsstils mit Forderungen aus dem Volk konfrontiert, dass er abdanken soll. Er reagiert mit Härte. Die Polizei knüppelt die Proteste nieder, die dennoch über Monate andauern. 

    Im Herbst kommt es zum offenen Bruch zwischen Erdogan und seinem früheren Verbündeten, dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen. Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder der Regierung und Menschen aus Erdogans Umkreis führen im Dezember zum Rücktritt mehrerer Minister. Erdogan sieht dahinter die Gülen-Bewegung, die nach seiner Überzeugung das Ziel verfolgt, ihn zu stürzen. 

    2014: Erdogan kann nach den Statuten seiner AKP nicht ein weiteres Mal als Ministerpräsident antreten. Er kandidiert stattdessen als Staatspräsident und wird im August im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit vom Volk gewählt. Erdogans Ziel ist der Umbau der Türkei von einem parlamentarischen hin zu einem Präsidialsystem, bei dem der Präsident zugleich Regierungschef ist und deutlich mehr Macht hat. Die Opposition warnt vor einer Ein-Mann-Herrschaft. 

    2015: Bei der Parlamentswahl im Juni verliert die AKP die absolute Mehrheit. Nachdem Versuche scheitern, eine Koalition zu bilden, ruft Erdogan für November Neuwahlen aus. Im Juli kommt es zu einem schweren Anschlag auf ein kurdisches Kulturzentrum im südtürkischen Suruc. Daraufhin werden zwei Polizisten getötet. Die PKK bekennt sich zunächst zu der Tat, zieht dieses Bekenntnis dann aber wieder zurück. Erdogan erklärt den Friedensprozess mit der PKK für beendet, der Kurdenkonflikt eskaliert wieder. In manchen mehrheitlich kurdischen Städten in der Südosttürkei kommt es in den Folgemonaten zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. 

    Im Oktober kommen bei einem Anschlag auf eine pro-kurdische Friedensdemonstration in Ankara mehr als 100 Menschen ums Leben. Sowohl dieser Anschlag wie auch der in Suruc werden der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zugeschrieben. Bei der Neuwahl des Parlaments im November gewinnt die AKP wieder die absolute Mehrheit. Im selben Monat schießt die Türkei einen russischen Kampfjet ab, eine monatelange Krise mit Moskau ist die Folge. 

    2016: Der Terror in der Türkei eskaliert: Im Januar sterben bei einem Anschlag auf eine Touristengruppe in Istanbul zwölf Deutsche. Für diesen und weitere Anschläge in den Folgemonaten werden der IS verantwortlich gemacht. Der schwerste davon gilt dem Istanbuler Atatürk-Flughafen im Juni. Außerdem verübt die PKK-Splittergruppe TAK schwere Anschläge in Istanbul und Ankara. 

    Im Juni löst die Völkermord-Resolution des Bundestags eine Krise zwischen Berlin und Ankara aus, die bis ins Folgejahr hinein eskaliert. Am 15. Juli kommt es zum Putschversuch in der Türkei, den die Regierung der Gülen-Bewegung zuschreibt. Der Versuch, Erdogan gewaltsam zu stürzen, scheitert. Erdogan ruft den Ausnahmezustand aus. Zehntausende Menschen werden inhaftiert oder vom Staatsdienst suspendiert. Kritische Medien werden geschlossen.

    2017: Im Februar wird der Welt-Korrespondent Deniz Yücel festgenommen, er wird ein Jahr lang hinter Gittern bleiben. Die Festnahmen weiterer Deutscher folgen in den nächsten Monaten. Deutschland verschärft die Reisehinweise für die Türkei. Im Mai beschließt die Bundesregierung, die deutschen Soldaten von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik abzuziehen. 

    In Folge des Putschversuches treibt Erdogan die Einführung eines Präsidialsystems voran. Im Wahlkampf vor dem Verfassungsreferendum im April überziehen Erdogan und Mitglieder seiner Regierung vor allem Deutschland mit Nazi-Vergleichen. Im Referendum stimmt eine knappe Mehrheit für die Verfassungsreform, die mit den für November 2019 geplanten Präsidenten- und Parlamentswahlen abgeschlossen werden soll. Die Opposition spricht von Wahlbetrug. Mit der Reform wird die Regelung gekippt, dass der Präsident keiner Partei angehören darf. Im Mai wird Erdogan wieder zum AKP-Chef gewählt. 

    2018: Im Januar marschieren türkische Bodentruppen in der nordsyrischen Region Afrin ein, um die Kurdenmiliz YPG zu vertreiben, die Ankara als Ableger der PKK einstuft. Kritiker vermuten dahinter ein Wahlkampfmanöver. Im April zieht Erdogan die für November 2019 geplanten Wahlen um fast eineinhalb Jahre vor. Im Frühjahr verliert die Türkische Lira dramatisch an Wert, was Erdogan unter Druck setzt. Am 24. Juni werden das Parlament und der Präsident gewählt. (dpa)

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