Eine Szene aus dem Film „Barcelona für ein Jahr“: Austauschstudentin Isabelle steht auf und fragt, ob die Vorlesung nicht auf Spanisch stattfinden kann – statt Katalanisch. Der Dozent: „Das ist unmöglich. Die Mehrheit der Zuhörer sind Katalanen.“ Die Französin Isabelle erwidert: „Es sind 15 Austauschstudenten da, die kein Katalanisch können.“ Dozent: „Die offizielle Sprache in Barcelona ist Katalanisch. Um Spanisch zu sprechen, gehen Sie nach Madrid.“ Alle lachen, Isabelle sinkt genervt in ihren Stuhl. Die Diskussion steht für einen Konflikt, der Spanien elektrisiert. Es geht um die Sprache – in einem Land, in dem es neben Spanisch weitere Amtssprachen gibt: Katalanisch, Galicisch, Baskisch. Eine Bildungsreform der linken Regierung sieht vor, dass Spanisch in Schulen nicht mehr den Status als Verkehrs- und Unterrichtssprache hat. Die Reform Celaá, benannt nach der Bildungsministerin, hat symbolische Bedeutung.
Es geht der Regierung darum, die Peripherie zu stärken und Spanien zu dezentralisieren. Das Spanische, castellano genannt, hat seinen Ursprung im Zentrum des Landes, im mittelalterlichen Königreich Kastilien. Dessen Rechtssystem war prägend für die Einigung Spaniens. Deshalb heulen konservative Parteien, wie die einstige Regierungspartei Partido Popular und Populisten der Vox-Partei, auf. Sie behaupten, dass Spanisch zu einer Fremdsprache im eigenen Land degradiert werde. Die Pflicht und das Recht, Spanisch zu können und zu benutzten, werde Schülern genommen. Die Reform ging im November durch den Kongress. Nun hat der Senat das Gesetz bestätigt.
Ein Literatur-Nobelpreisträger bezeichnet die Reform als "Unsinn"
Nicht nur die Opposition reagierte heftig, sondern auch Teile der Bevölkerung. Der spanische Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa nannte die Reform „Unsinn“. In Madrid gingen sie zu Tausenden mit Luftballons auf die Straße, hatten Schilder in der Hand: „Spanische Sprache – zu verkaufen“. Eltern und Schüler hingen orange Schleifen an Schultore. Die Farbe des Protests.
Wird Spanisch tatsächlich zur Fremdsprache im eigenen Land? Anruf bei Andrés Boix, 43, Professor für Verwaltungsrecht an der Universität Valencia. Seine Kinder sprechen in der Schule Spanisch und Katalanisch – eine Folge der seit vielen Jahren etablierten Immersion. Das bedeutet, dass Schüler spanischsprachiger Eltern auch die Regionalsprache lernen. Ziel ist die Förderung der Mehrsprachigkeit.
Eine Klage gegen die Reform würde wohl scheitern
„Das neue Gesetz bestärkt das“, sagt Boix. „Die praktischen Folgen sind aber gleich null.“ Dass die konservativen Parteien vors Verfassungsgericht ziehen wollen, um das Gesetz zu verhindern, bringe Boix zufolge wenig. „Die spanische Verfassung akzeptiert das System.“ Ein katalanisches Gericht legte zudem fest, dass Schüler, die es wünschen, mindestens zu 25 Prozent auf Spanisch unterrichtet werden.
Jurist Boix sieht dennoch Nachteile des Gesetzes für Kinder aus nicht-katalanischen Familien. Etwa denjenigen, die von Madrid nach Barcelona ziehen. „Die Kinder müssen hauptsächlich in einer Sprache lernen, die nicht ihre Muttersprache ist.“ Das sei so, wie wenn Kinder türkischer Eltern auf einmal in Deutschland zur Schule gingen.
Einer, der das Gesetz befürwortet, ist Hans-Ingo Radatz, 59, Professor für Romanistik an der Uni Bamberg. Er hat den Sprachführer „Katalanisch Wort für Wort“ herausgebracht. Er sagt: „Wenn spanische Nationalisten behaupten, Spanisch werde in Katalonien ignoriert, ist das ein Witz.“ Auch aus Radatz’ Sicht verändert die Bildungsreform wenig. Obwohl Katalanisch seit vielen Jahren Unterrichtssprache sei, seien die Spanisch-Kenntnisse der Schüler nicht schlechter geworden.
Experte: Regionalsprachen in Spanien sind bedroht
Doch Radatz versteht auch Eltern, die für ihre Kinder Unterricht auf Spanisch wollen. „Dass Katalanisch als Unterrichtssprache eingeführt wurde, war damals eine große Umstellung. Es hat im Ergebnis aber zur Chancengleichheit zwischen Einheimischen und spanischsprachigen Zuwanderern geführt.“ Aber Spanisch als Fremdsprache in autonomen Regionen? „Propaganda.“ Die Regionalsprachen seien selbst bei maximaler Förderung immer noch bedroht und schwächer als das Spanische.
Die ganze Debatte zeigt Radatz erneut, dass der spanische Staat nationalistischer organisiert sei als andere. „Es geht hier in Wahrheit nicht um Sprache als Kommunikationsmittel, da gibt es in Spanien keinerlei Probleme, sondern um Sprache als Symbol.“ Es sei falsch, Basken, Katalanen und Galicier nicht einzubinden. Man müsse Angebote machen, wie mit dem Gesetz.
Eine Bildungsreform Celaá wäre in der Franco-Diktatur undenkbar gewesen. „Franco hat die Regionalsprachen bekämpft. Und der Hass auf Regionalsprachen hat überlebt“, sagt Radatz. Nach Francos Tod 1975 habe eine gesellschaftliche Aufarbeitung nicht stattgefunden. Bis heute würden viele glauben, dass es nur eine Sprache und eine Nation geben darf: „Alle Spanier gehören der spanischen Nation an und haben Spanisch zu sprechen. Alles andere können daher nur Dialekte und Regionen sein, die sich stets der spanischen Nation und ihrer Nationalsprache unterzuordnen haben.“
Ein Viertel der Spanier fühlt sich nicht als Spanier
Was Spanien im Vergleich zu anderen europäischen Staaten angeht, hat das Land mit 20 Millionen Menschen eine hohe Quote an Sprechern einer Regionalsprache. Ein Viertel der Bevölkerung fühlt sich nicht identitär mit Spanien verbunden. Auch wenn die Verfassung sagt, dass Spanisch die gemeinsame Sprache ist. Zum Vergleich: In der Schweiz fehlt eine gemeinsame Sprache. Dafür sind dort alle vier Amtssprachen akzeptiert: Deutsch, Italienisch, Französisch, Rätoromanisch.
Zurück zum Film „Barcelona für ein Jahr“. Die Vorlesung ist vorbei, Isabelle widmet sich schöneren Dingen des Studentenlebens. Party machen, bis es an der Mittelmeerküste hell wird. Katalanisch und Spanisch? Braucht es dabei höchstens zum Bestellen eines Biers.
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