Die US-Regierung vollzieht eine weitere Kehrtwende in der Nahost-Politik und betrachtet den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland nicht mehr kategorisch als völkerrechtswidrig. US-Außenminister Mike Pompeo sagte am Montag in Washington, der Bau von israelischen Siedlungen im Westjordanland sei "nicht per se unvereinbar mit internationalem Recht". Der Schritt reiht sich ein in eine Serie einseitig proisraelischer Entscheidungen der Regierung von US-Präsident Donald Trump.
Israel begrüßte den Kurswechsel. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von der Korrektur einer "historischen Fehlentscheidung". Die Palästinenserführung warf Israel dagegen vor, mit den Siedlungen palästinensisches Land zu stehlen und das Recht auf Bewegungsfreiheit der Palästinenser einzuschränken.
Israel hatte 1967 während des Sechstagekriegs unter anderem das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600.000 israelische Siedler in mehr als 200 Siedlungen. Die Palästinenser wollen auf dem Gebiet einen unabhängigen Staat gründen.
Pompeo: Jedes Siedlungsprojekt muss einzeln betrachtet werden
Pompeo sagte, die US-Position in dieser Frage habe sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach geändert. Nach eingehender Prüfung der Rechtspositionen sei man zu dem Schluss gekommen, dass es den Friedensprozess nicht vorangebracht habe, die Siedlungen illegal zu nennen. "Es wird niemals eine gerichtliche Lösung des Konflikts geben. Argumente, wer völkerrechtlich Recht hat und wer nicht, bringen keinen Frieden", sagte Pompeo. Möglich sei nur eine politsche Lösung.
Der Außenminister betonte, die US-Regierung treffe mit diesem Schritt keine Aussage zu einzelnen Siedlungsprojekten. Jeder Fall sei einzeln zu betrachten, von Gerichten vor Ort. Auch bedeute die Entscheidung keinerlei Vorfestlegung mit Blick auf den Status des Westjordanlandes im Fall einer Friedenslösung. "Das müssen Israelis und Palästinenser miteinander aushandeln." Pompeo wehrte sich auch gegen die Einschätzung, dass sich die USA so weiter international isolierten.
Die Siedlungspolitik Israels ist hoch umstritten. Der UN-Sicherheitsrat hatte Israel im Dezember 2016 zu einem vollständigen Siedlungsstopp in den besetzten Palästinensergebieten einschließlich Ost-Jerusalems aufgefordert. Siedlungen wurden in der Resolution 2334 als Verstoß gegen internationales Recht und als großes Hindernis für Frieden in Nahost bezeichnet. Die USA verzichteten während der letzten Amtstage des damaligen Präsidenten Barack Obama auf ein Veto und enthielten sich der Stimme.
Der Siedlungsbau ging jedoch weiter. Israel genehmigte nach Angaben der Friedensorganisation Peace Now allein im Oktober den Bau von 2342 Siedlerwohnungen im besetzten Westjordanland. Seit Jahresbeginn sei der Bau von insgesamt 8337 Wohnungen in israelischen Siedlungen gebilligt worden - deutlich mehr als im Vorjahr.
EuGH hat entschieden, dass Güter aus besetzten Gebieten markiert werden müssen
Am Dienstag hatte der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung im Zusammenhang mit der israelischen Siedlungspolitik verkündet, die für einige Kontroversen sorgte. Der EuGH entschied, dass exportierte Waren aus israelischen Siedlungen im Westjordanland und anderen 1967 besetzten Gebieten in der EU besonders markiert werden müssen und nicht als Produkt Israels ausgewiesen werden dürfen. Israel nannte dies diskriminierend. Die USA äußerten sich ebenfalls besorgt und beklagten, die Vorgabe fördere Boykotte gegen Israel.
Mit der rechtlichen Kehrtwende der Amerikaner bekommt Israel nun kraftvolle Unterstützung für die eigene Siedlungspolitik. Die Trump-Regierung hat in den vergangenen Jahren bereits eine ganze Reihe einseitig proisraelischer Entscheidungen getroffen. So erkannte sie den israelischen Anspruch auf die besetzten Golanhöhen ebenso an wie Jerusalem als Israels Hauptstadt. Die USA verlegten ihre Botschaft dorthin. Die Palästinenser beanspruchen den Ostteil der Stadt als Hauptstadt des von ihnen angestrebten eigenen Staates. Deshalb lehnen die Palästinenser die Vereinigten Staaten inzwischen als Vermittler im Nahost-Konflikt ab.
Trumps Regierung setzt sich mit ihrer Nahost-Politik konsequent vom Kurs internationaler Partner ab. Die neue Entscheidung fällt nun in innenpolitisch besonders bewegte Zeiten für Israel und spielt dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in die Hände, der schwer unter Druck steht. Israel steckt in einer politischen Krise: Nachdem Netanjahu nach der Parlamentswahl im September mit dem Versuch scheiterte, eine neue Regierung zu bilden, läuft an diesem Mittwoch die Frist zur Regierungsbildung für Benny Gantz vom Mitte-Bündnis Blau-Weiß ab. Sollte Gantz ebenfalls scheitern, droht die dritte Wahl innerhalb eines Jahres.
Pompeo beteuerte, der Zeitpunkt der Verkündung habe keinerlei Zusammenhang mit innenpolitischen Vorgängen in Israel. Ausweichend reagierte er auf die Frage, wann die USA ihren seit langem angekündigten Nahost-Friedensplan präsentieren werden. Die Vision der US-Regierung werde vorgestellt, "wenn die Zeit reif ist". Zunächst müsse in Israel der Regierungsbildungsprozess abgeschlossen sein.
Netanjahu lobte die US-Entscheidung als Korrektur einer "historischen Fehlentscheidung". Israel bleibe bereit, mit den Palästinensern Friedensverhandlungen aufzunehmen. Aber man werde weiterhin alle Argumente zurückweisen, nach denen die Siedlungen illegal seien, erklärte er. Gantz begrüßte die Entscheidung der USA ebenfalls.
Palästinenservertreter kritisierten den Vorstoß der Amerikaner dagegen heftig. "Israelische Siedlungen stehlen palästinensisches Land, beschlagnahmen palästinensische natürliche Ressourcen und beuten sie aus", beklagte Saeb Erekat, Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Die Siedlungen beschränkten zudem das Recht auf Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung.
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