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Weltklimakonferenz: Glasgow: Ist die grüne Stadt wirklich so grün?

Weltklimakonferenz

Glasgow: Ist die grüne Stadt wirklich so grün?

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    Während der Klimagipfel im Kongresszentrum am Clyde tagt, ist der Protest bunt und vielfältig: Aktivisten forderten als Pokémons verkleidet ein Ende der Kohle. Durch die Straßen Glasgows zogen mehrere zehntausend Demonstranten.
    Während der Klimagipfel im Kongresszentrum am Clyde tagt, ist der Protest bunt und vielfältig: Aktivisten forderten als Pokémons verkleidet ein Ende der Kohle. Durch die Straßen Glasgows zogen mehrere zehntausend Demonstranten. Foto: Jane Barlow, dpa

    Obwohl es bei der Weltklimakonferenz um die Natur geht, um unsere Luft und unsere Erde, verbringen die meisten Teilnehmer der COP26 die meiste Zeit in geschlossenen Räumen. Sie steigen in einen Bus oder Zug zum „Scottish Event Campus“, um in einen der Konferenzsäle zu eilen. An die Natur erinnern dann allenfalls bildgewaltige Filme, Pflanzen in den Gängen – und natürlich die Themen selbst. Dabei hat die schottische Stadt eigentlich viel Grün zu bieten.

    Mehr als 90 Gärten und Parks hat die Stadt. Glasgow wird als „dear green city“ bezeichnet, „geliebte grüne Stadt“. Und das lässt sich sogar im Namen ablesen: Im Bretonischen bedeutet „glas“ so viel wie „grün“. Seit kurzem ist die 600.000-Einwohner-Metropole mit dem Status „Global Green City“ ausgezeichnet – für das Ziel, bis 2030 CO2-Neutralität zu erreichen.

    Wie James Watt der Industrialisierung den Weg bereitete

    Das war nicht immer so. Mitte des 19. Jahrhunderts sah man auf dem Fluss Clyde dampfbetriebene Schiffe, aus deren Schloten schwarzer Rauch quoll. „Lokomotiven, die in dem Bezirk Springburn, im Norden der Stadt hergestellt wurden, trieben Waggons im britisch regierten Indien an, während in Glasgower Werften hergestellte Linienschiffe transatlantische Passagier- und Postwege bedienten“, sagt Politologe Ewan Gibbs von der University of Glasgow im Gespräch mit unserer Redaktion. Glasgow war damals ein Industrie- und Handelszentrum.

    Möglich gemacht wurden Wachstum und Industrialisierung letztlich durch James Watt im 18. Jahrhundert. Der Ingenieur, der seinerseits an der University of Glasgow tätig war, sollte ein bereits existierendes Modell reparieren. Doch das war dem Schotten nicht genug. Er erkannte Mängel und fasste einen Entschluss: Er wollte die Maschine verbessern. Mit Erfolg. Sein Vorhaben hat das Leben der Menschheit nachhaltig verändert: Von Glasgow aus ging die Technologie um die Welt, ähnlich wie später auch der Motor von Rudolf Diesel aus Augsburg.

    Die Industrialisierung brachte allerdings keineswegs uneingeschränkten Fortschritt, betont Politologe Gibbs: „Die Armut in Glasgow wuchs, und Slums wurden zu einem ernsten Problem. Im Jahr 1911 lebte die Mehrheit der Bevölkerung in Ein- oder Zweizimmerwohnungen.“ Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne beförderten Klassenkonflikte. Und für die Umwelt in Glasgow hatte die Industrialisierung schwerwiegende Folgen – mit vergifteten Flüssen und gefährlichem Smog.

    Diese Probleme standen am Anfang einer Katastrophe, die jetzt die Welt und die Menschheit bedroht. Der britische Premierminister Boris Johnson machte genau darauf bei der Eröffnung der Weltklimakonferenz aufmerksam: „Wir haben euch genau an den Ort gebracht, an dem der Weltuntergang in Gang kam. 200 Jahre lang haben die Industrieländer das Problem, das sie schufen, völlig ignoriert. Nun haben wir die Pflicht zu helfen.“

    Boris Johnson fordert die Teilnehmer des Klimagipfels auf, an einem Strang zu ziehen.
    Boris Johnson fordert die Teilnehmer des Klimagipfels auf, an einem Strang zu ziehen. Foto: Stefan Rousseau/PA Wire/dpa

    Die Angler können im Clyde wieder fischen, aber...

    Dass die Transformation Glasgows von einer Industrie- zu einer „grünen Stadt“ in diesem Zusammenhang als Vorbild für den Rest der Welt dienen könne, glaubt Ewan Gibbs jedoch nicht. „Glasgow als grüne Stadt zu bezeichnen, halte ich für problematisch.“ Denn der Wandel habe sich eher als eine „Umkehrung der früheren Industrialisierung“ vollzogen. Das Finanzzentrum Edinburgh wuchs, ebenso die Ölindustrie, die sich bei Aberdeen konzentrierte. Der Wohlstand wanderte in den Norden und Osten Schottlands. Die Entwicklung brachte zweifellos einige Vorteile für die Umwelt, sagt Gibbs. „Angler können jetzt im Clyde Lachse fangen, was zu Zeiten, als die umweltverschmutzende Industrieproduktion den Fluss vergiftete, unmöglich war.“ Auch Smog sei kaum ein Problem mehr, weil der Strom weitgehend außerhalb erzeugt wird und die Kohleverbrennung mehr oder weniger ausgelaufen ist.

    Der Übergang von Kohle zu Öl brachte laut Gibbs jedoch auch eine Veränderung, unter der die Stadt heute noch leide: Straßen und Autobahnen wurden rücksichtslos über die ganze Stadt ausgedehnt. „Damit der Gipfel für die Bürger Glasgows von Bedeutung ist, müssen dringend weitere gemeinsame Maßnahmen in den Bereichen Wohnen, Verkehr und Energieerzeugung angeregt werden“, ist der Wissenschaftler Ewan Gibbs überzeugt.

    Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg während einer Demo am Rande des UN-Klimagipfels COP26.
    Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg während einer Demo am Rande des UN-Klimagipfels COP26. Foto: Jane Barlow/PA Wire/dpa

    Nun ist Halbzeit bei der Klimakonferenz. Und Boris Johnson hat sich erneut mit einem Appell zu mehr Ehrgeiz zu Wort gemeldet: „Die COP26 hat noch eine Woche Zeit, um für die Welt zu liefern; wir müssen alle an einem Strang ziehen und die Ziellinie ansteuern.“ Der Druck auf die Vertreter aus 200 Staaten ist auch von unten gewachsen: Nach zwei Großdemonstrationen mit zehntausenden Teilnehmern hat am Sonntag ein Gegengipfel begonnen.

    "Tribunal der Völker" hat begonnen

    Der „People’s Summit“ startete mit einem „Tribunal der Völker“, das über die Klimapolitik der meisten Staaten zu Gericht sitzen will. Falsche Lösungen und Ziele im Kampf gegen die Erderwärmung gefährdeten Gesundheit und Heimat von Millionen Menschen, hieß es. Aktivistin Greta Thunberg twitterte: „Sofern wir nicht sofortige, drastische, nie da gewesene jährliche Emissionssenkungen an der Quelle erreichen, bedeutet das, dass wir in dieser Klimakrise versagen.“ (mit dpa)

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