In der amerikanischen Fernsehserie „Madame Secretary“ wird die frühere CIA-Analystin Elizabeth McCord vom Präsidenten völlig überraschend in die Politik geholt. Die Mutter dreier heranwachsender Kinder ist sich der enormen Herausforderung bewusst, akzeptiert aber aus Pflichtgefühl die Berufung in die Regierung, wo sie als Außenministerin mit ihrem unkonventionellen Stil trotz großer Widerstände des Establishments beachtliche Erfolge erzielen kann.
Wenn Elizabeth McCord eine jüngere Schwester im wirklichen Leben hat, dann steht sie an diesem Abend vor den 80 Gästen im historischen Backsteingemäuer des Lokals „Grass Rootes“ in der von Weiden und Farmen umgebenen Kleinstadt Culpeper in Virginia. Im dunklen Hosenanzug, das lange blonde Haar unkompliziert nach hinten gefönt, ergreift Abigail Spanberger, 39, das Wort. „Ich komme aus dem öffentlichen Dienst, wo ich geholfen habe, das Land vor Terroristen zu schützen“, stellt sie sich vor. Nachdem sie lange für Präsidenten beider Parteien gearbeitet habe, sei sie schockiert über das Ausmaß der derzeitigen Polarisierung: „Ich will in Washington daran arbeiten, die wirklichen Probleme der Menschen zu lösen.“
Wie die Filmheldin aus „Madame Secretary“ ist Spanberger eine politische Quereinsteigerin. Auch sie zieht zusammen mit ihrem Mann drei Kinder groß. Und sie hat undercover zwölf Jahre beim Auslandsgeheimdienst CIA gearbeitet. Doch anders als in der TV-Serie ist Spanberger nicht vom Präsidenten berufen worden. Im Gegenteil. Der Politikstil von Donald Trump hat Spanberger zur Kandidatur getrieben. „In der Schule meiner Töchter darf nicht mehr über Politik gesprochen werden, weil der Hass zu groß ist“, berichtet sie dem Reporter aus Deutschland, wo sie während ihres Studiums ein Jahr lebte: „Das ist nicht Amerika. Ich weigere mich zu akzeptieren, dass alles von Wut und Zorn beherrscht wird.“
Plötzlich liegt die Kandidatin mit dem Amtsinhaber gleichauf
An diesem Dienstag nun steht Spanberger als demokratische Bewerberin für das US-Repräsentantenhaus zur Wahl – so wie 197 andere Frauen und damit fast die Hälfte aller Kandidaten der Partei. Mit seinen frauenfeindlichen Sprüchen, der Hetze gegen Minderheiten und der Verharmlosung mutmaßlicher sexueller Übergriffe hat der Präsident eine Rekordzahl weiblicher Kongresskandidatinnen mobilisiert. Oft treten sie in republikanischen Bezirken an. So auch Spanberger: Ihr Wahlbezirk in Virginia wird in Washington seit einem halben Jahrhundert von Republikanern vertreten. Bei der letzten Wahl vor zwei Jahren siegte ein rechter Verbündeter von Trump. Die Region zwischen der florierenden Metropolregion von Richmond und den idyllischen Pferdekoppeln am Fuße der Blue Ridge Mountains galt für die Demokraten als hoffnungsloses Brachland. Bis vor kurzem. Nach Umfragen liegt Spanberger mit dem Amtsinhaber nun gleichauf.
Anderswo sind demokratische Herausforderer bereits an den republikanischen Platzhirschen vorbeigezogen. So glauben viele Demoskopen, dass es den Demokraten bei den schicksalhaften Kongresswahlen tatsächlich gelingen könnte, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu erobern. Dann hätten sie einen Hebel, um Trump das Regieren schwerer zu machen. Bedanken könnten sie sich bei Frauen wie Spanberger – und ihren Wählerinnen. Nicht nur ist der landesweite Mobilisierungsgrad bei Frauen höher als bei Männern. Vor allem ist Trump bei gebildeten Frauen in den Vorstädten unbeliebt. Gelingt es, diese Gruppe zur Stimmabgabe zu bewegen, wird es eng für die Konservativen.
Darauf setzt auch Jennifer Wexton. Die Ex-Staatsanwältin tritt 70 Meilen weiter nördlich im zehnten Wahlbezirk von Virginia an, der das höchste Bildungsniveau aller republikanischen Distrikte aufweist. Die Fahrt zum Treffen in Sterling führt über achtspurige Ausfallstraßen, die von Trabantensiedlungen und Bürohäusern gesäumt werden. Rund 35.000 Regierungsbeamte leben hier im reichen Speckgürtel von Washington. Seit 1981 stellen die Republikaner den lokalen Abgeordneten. Nun liegt die Demokratin Wexton in den Umfragen mit sieben bis 13 Prozentpunkten vorne.
„Wir müssen jetzt alles geben. Wir dürfen nicht pausieren!“, feuert die 50-Jährige ihre Unterstützer an. Auch der demokratische Gouverneur Ralph Northam ist vorbeigekommen. In der improvisierten Wahlkampfzentrale hinter einer Autowaschanlage und einem McDonald’s ist der Teppichboden abgewetzt. An der Decke hat ein Wasserschaden hässliche braune Flecken hinterlassen. Aber die Stimmung wirkt kämpferisch. Höherer Mindestlohn, schärfere Waffengesetze, mehr Mittel für Bildung und eine bessere Krankenversicherung sind die wichtigsten Themen der Kampagne.
Eine sagt: Ich werde Trump die Stirn bieten
Doch immer geht es auch um etwas anderes. „Ich bin entsetzt, wie Donald Trump über Frauen, Flüchtlinge und Minderheiten spricht“, sagt Wexton im Gespräch. Die eloquente Juristin trägt einen Blazer und eine markante Brille. Die Tiraden des Präsidenten zeigten, wie zerbrechlich die Demokratie ist, begründet sie ihre Bewerbung: „Da kann man nicht an der Seitenlinie stehen.“ Wird bei der Kongresswahl also auch über den Präsidenten abgestimmt? „In gewisser Weise ja“, antwortet Wexton. Und gerade angesichts dessen spalterischer Rhetorik sei es wichtig, dass viele moderne Frauen im Parlament vertreten seien: „Ich werde Trump die Stirn bieten.“ In einem TV-Spot präsentiert sie sich als „Working Mom“, die ihre Söhne zur Schule fährt. „Als Staatsanwältin habe ich tagsüber Kriminelle ins Gefängnis gebracht und abends Windeln gewechselt“, propagiert die Kandidatin amerikanische Mittelklasse-Werte.
Doch auch neue Wählergruppen haben die Demokraten im Blick. So lebt im siebten Wahlbezirk von Massachusetts rund um Boston nur noch ein Drittel Weiße. Entsprechend hoch ist der Anteil der Schwarzen und Latinos unter den rund 500 meist jüngeren Interessierten, die in das Gemeindezentrum von Cambridge gekommen sind, um Ayanna Pressley zu erleben. Die 44-Jährige ist ein Politstar, seit sie bei den Vorwahlen den alt eingesessenen Abgeordneten ihrer eigenen Partei nach zehn Amtsperioden überraschend aus dem Rennen geworfen hat. Die Frauenkarte allein genügte für diese Revolte nicht. Vielmehr ist Pressley schwarz und dezidiert links. Sie verkörpert die bunte Graswurzelbewegung, die sich im Widerstand zu Trump gebildet hat und nun auch das Establishment der eigenen Partei herausfordert.
„Der Wechsel kann nicht warten“, hat Pressley bei ihrer Nominierung ausgerufen. In der Turnhalle des Gemeindezentrums steht sie nun auf der Bühne neben der erfahrenen demokratischen Senatorin Elizabeth Warren und wirkt noch etwas schüchtern. Mit den Forderungen nach einem Bleiberecht für Migranten, einer universellen Krankenversicherung und der Bekämpfung von Polizeigewalt setzt sie aber eigene politische Akzente. „Jetzt ist die Zeit, mutig zu sein und ein Risiko einzugehen“, sagt die Frau, die als Tochter eines drogenabhängigen Kriminellen groß wurde. Aus ihrer Abscheu für Trump, den sie einen „rassistischen, frauenfeindlichen und empathielosen Mann“ nennt, macht sie keinen Hehl.
Ein radikaler Ton wäre politisch höchst unklug
Derart radikal würde sich Abigail Spanberger im ländlichen Virginia nicht ausdrücken. Zum einen entspricht es nicht dem Naturell der pragmatisch-effizienten Ex-Geheimdienstlerin. Es wäre politisch aber auch höchst unklug. So mobilisierend der Widerstand gegen den ungeliebten Präsidenten im traditionell linken Bostoner Wahlbezirk wirkt, wo erst gar kein republikanischer Bewerber gegen Pressley antritt, so abstoßend kann die emotional aufgeheizte Personalisierung auf unabhängige Wähler und enttäuschte Republikaner wirken. Genau das ist Spanbergers Problem: Ihr hundert Meilen langer Wahlkreis wurde unter republikanischer Ägide bewusst so geschnitten, dass er neben den tendenziell demokratischen Vororten von Richmond auch ebenso pittoreske wie konservative Landstriche weiter im Westen umfasst. Wer aus beiden Gruppen Stimmen bekommen will, muss seine Botschaften sorgsam austarieren.
Im trendigen „Grass Rootes“ erwähnt Spanberger bei ihrem Vortrag den Namen „Trump“ kein einziges Mal. „Ich trete nicht gegen ihn an. Ich will die Schlacht von 2016 nicht noch einmal schlagen“, sagt sie später zur Begründung. In die Runde ruft sie: „Beim CIA haben wir uns auf eine Mission konzentriert. In der Politik müssen wir uns vor allem verständigen und gemeinsame Werte wie Würde und Achtung wiederherstellen.“
Das klingt abstrakt. Es bremst aber nicht den Eifer, mit dem Spanberger für den politischen Wechsel kämpft. „In einem traditionell republikanischen Bezirk besteht die Gefahr, dass viele Menschen erst gar nicht wählen gehen, weil sie glauben, dass sich ohnehin nichts ändert“, sagt sie: „Also sorgen wir dafür, dass alle wissen, wie die Chancen stehen.“
Auch an der Schule ihrer Kinder dürfte sich das inzwischen herumgesprochen haben. Die siebenjährige Charlotte verließ eines Morgens mit einem Kampagnen-Button am Rucksack das Haus. „Du musst den Button abmachen. Das ist Politik“, wies ihre ältere Schwester sie zurecht: „In der Schule ist Politik nicht erlaubt.“ Doch das Mädchen ließ sich nicht beirren. „Das ist keine Politik“, konterte sie: „Es ist mein Name.“