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Corona: Wann können wir den Neustart wagen? Und wie könnte er aussehen?

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    Wie lange sollen die aktuellen Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus das öffentliche Leben noch einschränken?
    Wie lange sollen die aktuellen Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus das öffentliche Leben noch einschränken? Foto: Alexander Kaya (Symbol)

    Im Kampf gegen das Coronavirus herschen in Bayern herrschen seit einigen Wochen strenge Ausgangsbeschränkungen. Die Schulen und Kitas sind geschlossen. Enkel dürfen ihre Großeltern nicht besuchen und die Polizei kontrolliert, ob die strengen Auflagen auch eingehalten werden. Nun wird immer wieder darüber geredet, wie ein Ausstieg aus diesen Maßnahmen ausschauen könnte. Sicher weiß das bisher keiner. Aber es gibt verschiedene Szenarien. Wir zeigen sie auf:

    Ende der Corona-Maßnahmen: Das sagt die Politik in Berlin

    Österreich hat es getan, Litauen und Dänemark gehören ebenfalls zu den Vorreitern in Sachen Ausstieg aus den strengen Corona-Maßnahmen. Die deutsche Bundesregierung hält sich bislang zurück. So wollte Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Mittwoch Äußerungen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) nicht kommentieren, der eine Öffnung kleinerer Läden ins Spiel gebracht hatte. Fest steht nach Worten von Kanzlerin Angela Merkel nur, dass es schrittweise Lockerungen geben wird.

    Für Merkel und ihr Kabinett ist unter anderem die Reproduktionszahl R0 (R Null) eine wichtige Entscheidungsgröße. Sie zeigt an, wie viele Personen im Durchschnitt von einer infizierten Person angesteckt werden. Die Zahl war zuletzt nach Angaben des Robert Koch-Instituts leicht von 1 auf 1,2 bis 1,5 gestiegen. Leitlinie bei allen Überlegungen ist die Frage, ob das Gesundheitssystem durch Lockerungen überfordert wird oder nicht. Das deutet darauf hin, dass es zunächst Lockerungen für die Gruppen gibt, die ein eher geringes Corona-Risiko haben.

    In Österreich und Dänemark gibt es schon Lockerungen der Corona-Maßnahmen

    Ein Blick nach Österreich und Dänemark zeigt, wie das aussehen könnte. In Dänemark sollen in einem ersten Schritt dänische Kinderkrippen, Kindergärten sowie die Schulen für Kinder bis zur fünften Klasse ab dem 15. April wieder öffnen. Die dänischen Grenzen, auch die nach Deutschland, bleiben vorläufig bis zum 10. Mai dicht. In Österreich geht es nun am 14. April mit dem zaghaften Rückweg los: Kleine Geschäfte sowie Bau- und Gartenmärkte dürfen dann laut Bundeskanzler Sebastian Kurz unter strengen Auflagen wieder öffnen. Ab dem 1. Mai sollen alle Geschäfte, Einkaufszentren und Friseure folgen dürfen.

    Beim Hochfahren der deutschen Wirtschaft sind dem Gestaltungswillen allerdings Grenzen gesetzt. Kaum eine Produktion kommt ohne Zulieferungen aus anderen Ländern aus. Die Autoindustrie etwa wäre darauf angewiesen, dass sich auch die Zustände in Ländern wie Italien oder Frankreich normalisieren. Hinzu kommt, dass die Lockerungen regional sehr unterschiedlich ausfallen dürften - schon jetzt unterscheiden sich die Bundesländer in ihrem Vorgehen. In Bayern etwa bleiben Baumärkte geschlossen, in vielen anderen Bundesländern blieben die geöffnet. Berlin wird also nur die grobe Stoßrichtung vorgeben – Details werden vor Ort entscheiden.

    Ende der Corona-Maßnahmen: Das sagt die Landesregierung

    So klar die Ansagen der bayerischen Staatsregierung in der Corona-Krise zunächst auch waren – so unklar ist jetzt, wie es nach Ostern weitergehen wird. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Vize, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), ließen etwa offen, ob die Schulen nach den Osterferien ihren Betrieb wieder aufnehmen. Ihre Aussagen deuteten eher darauf hin, dass es wohl noch etwas länger dauern wird, ehe erste kleine Schritte in Richtung Normalität gegangen werden können.

    Ein Alleingang Bayerns kommt nach Söders Worten jedenfalls nicht infrage. Alle weiteren Schritte müssten von kommender Woche an mit dem Bund, den anderen Ländern und dem Expertenrat abgestimmt werden. Immer wahrscheinlicher wird nach Aussage Söders, dass es auch in Bayern zu einer Maskenpflicht kommen wird, sobald ausreichend Masken verfügbar sind. Söder orientiert sich bei der Corona-Bekämpfung stark am Nachbarland. Österreich sei Bayern und Deutschland etwa drei Wochen voraus. Der Weg, der dort gegangen werde, sei „sehr ausgewogen“.

    Bayerische Opposition will Einschränkungen schneller lockern

    Bei der Opposition im Landtag, die zunächst alle Anordnungen der Staatsregierung mitgetragen und zum Teil sogar ausdrücklich begrüßt hatte, macht sich Ungeduld breit. Die AfD fordert, dass zumindest Baumärkten und Gärtnereien gestattet werden soll, wieder zu öffnen. FDP-Fraktionschef Martin Hagen spricht sich für eine sofortige Maskenpflicht aus, um im Gegenzug die Auflagen für den Einzelhandel wieder lockern zu können. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze kritisiert die Krisenkommunikation der Staatsregierung. Sie fordert klare Ansagen.

    Die aktuell größte Sorge in Bayern betrifft die Alten- und Pflegeheime. Hier gelte es, so sagte der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), möglichst schnell die Infizierten in Quarantäne zu bringen, um eine Ausbreitung des Virus in den Heimen zu verhindern. „Das gelingt noch gut, aber wir brauchen dringend mehr Schutzkleidung für die Pflegekräfte.“

    Ende der Corona-Maßnahmen: Das sagt die Wissenschaft

    Die Corona-Krise ist nicht nur die Zeit der starken Politiker – es ist auch die Zeit der Wissenschaften. Eines der maßgeblichen Beratungsgremien für die Regierung ist die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Und die stellt klar: Selbst wenn nach Ostern die drastischen Beschränkungen gelockert werden, die seit Ausbruch der Corona-Krise gelten: Eine Rückkehr zur Normalität kann dies noch lange nicht bedeuten.

    Das wissenschaftliche Institut plädiert dafür, eine Lockerung auf der einen Seite unbedingt mit weiteren Anordnungen auf der anderen Seite zu begleiten. Denn mit einem Impfstoff ist kaum vor 2021 zu rechnen, ein Jo-Jo-Effekt daher dringend zu vermeiden. Eine schrittweise Lockerung der Auflagen solle etwa mit „dem flächendeckenden Tragen von Mund-Nasen-Schutz einhergehen“, heißt es in der Stellungnahme. „Dies gilt im gesamten öffentlichen Raum, u. a. in Betrieben, Bildungseinrichtungen und im öffentlichen Nah- und Fernverkehr.“ Voraussetzung ist freilich die flächendeckende Verfügbarkeit von Masken. „Der Mangel sollte bereits jetzt durch selbst hergestellten Mund-Nasen-Schutz, Schals und Tücher überbrückt werden“, raten die Wissenschaftler.

    Wissenschaftler sprechen sich für freiwilliges Teilen mobiler Daten aus

    Auch die kurzfristige Verwendung mobiler Daten, die ortsunabhängig den räumlichen und zeitlichen Kontakt von Personen abbilden, ist nach Meinung der Wissenschaftler hilfreich. „Daher sollten schnellstmöglich digitale Werkzeuge wie eine entsprechende App für Mobiltelefone verfügbar gemacht werden, in denen Personen freiwillig und unter Einhaltung von Datenschutz sowie Persönlichkeitsrechten anonym diese Daten teilen“, fordert die Leopoldina. Genau das macht jetzt das Robert-Koch-Institut. Es stellt ab sofort eine App zur Verfügung, die ergänzende Informationen dazu liefern soll, wo und wie schnell sich das Coronavirus in Deutschland ausbreitet.

    Die App ist unter dem Namen „Corona-Datenspende“ für iOS und Android-Geräte verfügbar. Sie funktioniert in Kombination mit Fitnessarmbändern und Smartwatches verschiedener Hersteller. Das Ziel der App wird wie folgt beschrieben: „Viele Menschen in Deutschland zeichnen regelmäßig mit Smartwatches oder Fitnessarmbändern ihre Vitaldaten auf. Dazu zählen der Ruhepuls, Schlaf und das Aktivitätsniveau. Bei einer akuten Atemwegserkrankung ändern sich diese Vitalzeichen in den meisten Fällen deutlich. Daher können auch typische Covid-19-Symptome wie Fieber durch die App erkannt werden.“ Der Haken: Aufgrund der derzeit hohen Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus müssten in Deutschland wohl deutlich mehr als 60 Prozent der Bevölkerung die Software nutzen, wie der Virologe Christian Drosten in seinem Podcast „Coronavirus-Update“ erläuterte.

    Für Lockerungen der Einschränkungen ist es zu früh

    Einig ist sich die Wissenschaft aber noch in einem anderen Punkt: Die Gesellschaft braucht eine Perspektive. „Es ist zu früh, Öffnungen jetzt vorzunehmen. Aber es ist nie zu früh, über Kriterien für Öffnungen nachzudenken“, sagt etwa der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, der Theologe Peter Dabrock. „Alles andere wäre ein obrigkeitsstaatliches Denken, das bei uns nicht verfangen sollte und mit dem man das so notwendige Vertrauen der Bevölkerung nicht stärken würde.“ Es stimme auch nicht, dass man den Menschen damit falsche Hoffnungen mache. „Hoffnungsbilder brauchen Menschen genau dann, wenn sie in einer katastrophalen Situation wie der jetzigen sind. Das motiviert zum Durchhalten“, sagt der Ethiker Dabrock.

    Ende der Corona-Maßnahmen: Das sagt die Kultur

    Wann mit dem Exit beginnen? Der Philosoph Julian Nida-Rümelin sagt: „Unter ökonomischen, sozialen und kulturellen Gesichtspunkten so schnell wie nur irgend möglich.“ Allerdings müsse das vereinbar sein mit den Zahlen der Erkrankten und Intensivbett-Pflichtigen. Was „auf keinen Fall“ gehe, so der renommierte Risikoethiker: „Dass wir Menschenleben verrechnen mit ökonomischen Größen wie dem Einbruch des Bruttoinlandsproduktes.“

    Wie also abwägen? Entscheidend sei nach dem, so Nida-Rümelin, „zunächst sicher notwendig gewesenen Shutdown“ nun die Strategie mit den „wirklich effektivsten Maßnahmen zum langfristigen Schutz von Menschenleben“. Und dabei spiele die ökonomische Prosperität eben auch eine entscheidende Rolle. Der Philosoph: „Daten zeigen, dass massive Wirtschaftseinbrüche ebenfalls Menschenleben in großer Zahl kosten – die Weltwirtschaftkrise 2009 etwa eine halbe Million weltweit.“

    Es sei also gefährlich, Krisen wie die gegenwärtige möglichst zu strecken, um Infektionszahlen zu verlangsamen. Die derzeitige Strategie sei darum langfristig untauglich: Sie rechne bis zum Abflauen der Krise damit, dass 50 bis 70 Prozent der Bevölkerung infiziert würden – was bei einer Sterberate von einem Prozent noch 400.000 Tote bedeute; und habe zudem durch die Streckung schwerwiegenden Wirtschaftseinbrüche fatale, tödliche Folgen. Nida-Rümelin klar: „Das geht nicht, das können wir nicht machen.“

    Mehr spezifische, wenige allgemeine Maßnahmen

    Der Ausweg? „Wir müssen möglichst rasch weg von allgemeinen, nur mäßig effektiven Maßnahmen, die alle gleichermaßen betreffen, hin zu spezifischen Maßnahmen, die diejenigen schützen, die das höchste Risiko tragen.“

    Das entscheidende Potenzial sieht der Philosoph in den Menschen außerhalb der Risikogruppen – die nach einer Untersuchung in Italien wiederum zu weniger als einem Prozent zu den Todesopfern von Covid-19 gehörten. Und unter diesen gebe es bereits jetzt viel mehr Menschen, die bereits infiziert waren und nun immun seien, als es Statistiken bislang zeigten. Diese große Mehrheit müsste – trotz vereinzelter Todesfälle, die hinzunehmen aber verhältnismäßig sei, „um einen totalen Breakdown der Wirtschaft und der Gesellschaft zu vermeiden“ – schrittweise wieder in das normale Leben entlassen werden. Und zugleich müssten sie „in einer Kooperation der Gesellschaft über die Generationen hinweg“ dafür sorgen, dass die Risikogruppen tatsächlich geschützt würden, nicht mehr selbst einkaufen gehen müssten etwa.

    Aber auch, was die Hochrisikogruppen angeht, sei „nur anfangs Zwang erlaubt“, etwa um das Gesundheitssystem intakt zu halten. „Dann“, so der in München lehrende Philosoph, „soll jeder für sich selbst entscheiden können.“ Auch Alte müssten sagen können: Nein, ich gehe das Risiko ein, mir ist es jetzt wichtiger, meine Enkel zu sehen. Julian Nida-Rümelin stellt klar: „Das muss eine freiheitliche Gesellschaft aushalten.“

    Ende der Corona-Maßnahmen: Das sagt die Wirtschaft

    Auch das am Mittwoch veröffentlichte Frühjahrsgutachten führender Wirtschaftsinstitute belegte einmal mehr, wie gut es wäre, wenn es bald wieder aufwärts ginge: Deutschland wird in eine schwere Rezession rutschen, die Wirtschaftsleistung wird um 4,2 Prozent schrumpfen. Für das zweite, das Shutdown-Quartal rechnen die Forscher mit einem Minus von 9,8 Prozent. So sehr ist es seit 1970 nicht mehr abwärts gegangen. Umso mehr stellt sich die Frage nach wirtschaftlicher Wiederauferstehung. 2021 wären Erholung und ein Wachstum von 5,8 Prozent drin.

    Bleibt die Frage nach dem Wie? Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln zum Beispiel hat einen Zwölf-Stufen-Plan entwickelt: Voraussetzung dafür ist, dass die Test- und Behandlungskapazitäten „großflächig“ erhöht würden. Sprich: Test-Kits, Laborkapazitäten, Tracing-Software, Beatmungsgeräte, Intensivbetten und nicht zuletzt Personal. Je schneller diese Infrastruktur steht, desto besser für einen zügigen Exit. Dann könnten am Anfang des Neustarts Schulen und Kindergärten (im Schichtbetrieb) wieder öffnen, was den Eltern mehr Arbeitskraft gebe.

    Nach und nach soll die Industrie wieder hochgefahren werden

    Der Neustart ginge dann – entsprechende Sicherheitsmaßnahmen stets mitgedacht – über den öffentlichen Verkehr (höhere Taktung, frei gelassene Abteile), über die Verwaltung (Kfz-Zulassungsstellen!) in den Handel. Bis schließlich die Industrie nach und nach wieder hochgefahren und die Grenzen teilweise geöffnet würden. Überall gilt: Sicherheit vor einem Pandemie-Rückfall first.

    Gleichzeitig fordert das Institut politische Ansagen: Es müsse deutlich sein, wer sich langfristig auf Schließungen einstellen müsse (z. B. die Messewirtschaft). Und natürlich müsse der Staat weiter „massiv unterstützen“, sagt der IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt. Sonst droht eine Pleitewelle. Abschließend sieht das Institut die Notwendigkeit eines „fiskalischen Startschusses“ wie die komplette Abschaffung des Soli zum Sommer. Außerdem: Nachfrage (für klimafreundliche Heizungen etwa) und Wachstumsprogramme.

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