Dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geht beim CDU-Wirtschaftsflügel wieder das Gespenst des Kommunismus um. Es trägt kein scharlachrotes Gewand mehr, es schimmert heute in rot und grün. Vertreiben müsste dieses Gespenst eigentlich der eigene Kanzlerkandidat Armin Laschet. Doch in einem noblen Berliner Hotel in der Nähe des Tiergartens haben die versammelten Unternehmer und Firmenchefs ihre Not, sich Laschet als Geisterjäger vorzustellen. Das sagen sie an diesem Dienstag wenige Wochen vor der Wahl am Mittagsbuffet oder bei einem Kaffee zwischen den Diskussionsrunden beim Jahrestreffen des CDU-nahen Wirtschaftsrates. Sie bringen aber das mentale Kunststück fertig, nur wenig später dem angeschlagenen Kanzlerkandidaten stehenden Beifall zu spenden.
CDU-naher Wirtschaftsrat ist angetan von der FDP
„Es fällt mir schwer, CDU zu wählen. Ich habe immer CDU gewählt“, sagt die Versicherungsmaklerin Aylin Polk-Eisele. Sie erzählt, wie ihr Vater sie zum Wirtschaftsrat brachte. Die junge Frau ist nicht allein. Vier von fünf Mitgliedern (82 Prozent) bescheinigen der FDP, das beste wirtschaftspolitische Profil zu haben. CDU und CSU erreichen nur 66 Prozent. Die Präsidentin des Wirtschaftsrates, Astrid Hamker, räumt ein, dass die Wirtschaftskompetenz der Union schwer gelitten hat.
Dass Kanzlerin Angela Merkel eine sozialdemokratische Politik umgesetzt hat – Stichworte Mindestlohn, Rente mit 63 – dafür kann Armin Laschet nichts. Doch der 60-Jährige hat sichtbar Mühe, das eigene Lager zu mobilisieren. In einer neuen Umfrage der Meinungsforscher von Forsa im Auftrag der Sender RTLundN-TV kommt die Union auf 21 Prozent. Sie ist in den letzten Wochen abgerutscht und liegt hinter der SPD. Laschet zieht nicht., „Natürlich hätte es der Söder machen müssen“ sagt Ralph Schäfer frei heraus. Schäfer ist Rechtsanwalt aus Esslingen und hat sich auf den Verkauf von Immobilien spezialisiert. Er ist Mitglied des Wirtschaftsrates, aber nicht bei der CDU, sondern bei den Freien Wählern in Baden-Württemberg aktiv. Schäfer ist somit gleichzeitig nah dran und dennoch draußen. Der Unternehmer erzählt, was seine Kollegen beim Dinner diskutieren. Sie gehen davon aus, dass die SPD die Wahl gewinnt und mit den Grünen zusammengeht. Um Rot-Rot-Grün zu verhindern, wird sich Christian Lindner zum Gespensterjäger aufschwingen und mit seiner FDP in eine Ampel-Koalition einsteigen. „Das hören sie an allen Tischen“, sagt Schäfer.
FDP-Vorsitzender Christian Lindner überzeugt mit seiner Rede
Der Retter vor dem Kommunismus bekommt für seinen Auftritt auf dem Wirtschaftsrat viel Applaus. “Mir fehlt die Phantasie, welches Angebot Olaf Scholz und Annalena Baerbock der FDP machen wollen“, ruft Lindner in den Saal. In seiner Rede bringt er die Punkte, die Unternehmer hören wollen. Keine Steuererhöhungen, weniger Bürokratie, solide Haushalte. Lindner hatte sich früh an Laschet gebunden, mit dem er in Nordrhein-Westfalen die schwarz-gelbe Landesregierung einfädelte, bevor er nach Berlin ging. Doch dann schmierte der NRW-Ministerpräsident ab, was Lindner zwar bedauern mag, aber ihn gleichzeitig zum gefragten Mehrheitsbeschaffer in den unübersichtlichen Farbenspielen der Parteien macht. Als gesetzt im politischen Hauptstadtbetrieb gilt aber, dass der FDP-Vorsitzende seine Liberalen nicht noch einmal in die Opposition führt. Lindner ist zum Regieren verdammt – gerne mit seinem Lieblingspartner aus NRW, aber auch ohne ihn.
Armin Laschet lobt Friedrich Merz
Laschet wäre aber nicht Laschet, würde er aufstecken. In seinem Leben war er schon häufig der Unterschätzte, der als zu weich galt. Am Ende stand er meistens doch dort, wo er hinwollte. Der Aachener hat Friedrich Merz im Ringen um den CDU-Vorsitz ausgestochen. Ironischerweise ist Merz nun sein größter Joker. Der Sauerländer soll die Konservativen mobilisieren, die Laschet nicht erreicht. Und deshalb bietet er ihm auf dem Wirtschaftstag das Wirtschaftsministerium auf dem Silbertablett an, sollte er doch noch Kanzler werden. „Friedrich Merz ist das wirtschafts- und finanzpolitische Gesicht (der Union)“, verkündete Laschet. „Er wird nach der Wahl auch die Bundespolitik prägen“. Kein Satz seiner frei gehaltenen Ansprache löst mehr spontanen Applaus aus. Auch der K-Kandidat gibt den Unternehmern Zuckerbrot. Die Peitsche schwingt er gegen seinen SPD-Kontrahenten Olaf Scholz, der ein Linksbündnis nicht ausschließen will. Er muss das Phantom spuken lassen, damit es Lindner verscheuchen kann.