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Wahlkampf 2013: Startet Peer Steinbrück eine Aufholjagd oder zündet er nur ein Strohfeuer?

Wahlkampf 2013

Startet Peer Steinbrück eine Aufholjagd oder zündet er nur ein Strohfeuer?

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     Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück beim eintägigen Parteitag der Sozialdemokraten.
    Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück beim eintägigen Parteitag der Sozialdemokraten. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Neue alte Freunde und alte Gegner: Während sich DGB-Chef Michael Sommer und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin erfreut über das Wahlprogramm der SPD zeigten, gab es erwartungsgemäß heftige Kritik aus der Union und von der FDP. Auch darüber, ob der Auftritt des SPD-Spitzenkandidaten Peer Steinbrück auf dem Bundesparteitag der SPD in Augsburg den Startschuss für eine Aufholjagd markiert hat, gehen die Meinungen auseinander.

    Parteienforscher lobt Steinbrücks intellektuelles Potenzial und seine Rednerqualitäten

    Immerhin zollten die Medien, aber auch Politikwissenschaftler dem früheren Finanzminister für seine Rede Respekt. „Steinbrück hat das intellektuelle Potenzial, er ist auch ein mitreißender Redner, der jetzt in Augsburg erstmals auch die eigenen Anhänger begeistern konnte“, sagte der Mainzer Parteienforscher Professor Jürgen Falter unserer Zeitung. Aber: „Steinbrück bietet allerdings große Angriffsflächen beim Thema Glaubwürdigkeit. Es ist relativ leicht, ihm seine Äußerungen vor zwei, drei oder fünf Jahren, die oft völlig anders als heute ausfielen, vorzuhalten.“

    Steinbrücks Aufreger

    Seit Beginn seiner Kandidatur hat Peer Steinbrück immer wieder mit pointierten Aussagen für Aufsehen gesorgt - der SPD-Kanzlerkandidat selbst findet manches über Gebühr zugespitzt. Die Partei fragt sich, ob das Land nicht andere Probleme habe, als auf vermeintliche Fettnäpfchen zu lauern. Im Kontext gesehen wirken einige Aussagen weit weniger spektakulär.

    NEBENVERDIENSTE: «Ich glaube, dass es Transparenz nur in Diktaturen gibt. Ich glaube, dass eine gewisse Privatheit gelten muss.» (Steinbrück am 6.10.2012 im Deutschlandfunk auf die Frage, ob es nicht einen gläsernen Abgeordneten geben muss, der alles offen legt.)

    «Ich werde mich dafür einsetzen, die Transparenzregeln des Deutschen Bundestags so zu verschärfen, dass alle Abgeordneten bis auf den letzten Cent angeben müssen, von wem und wofür sie in welcher Höhe für eine Nebentätigkeit bezahlt worden sind.» (Steinbrück nach allgemeiner Kritik an seinen hohen Nebeneinkünften am selben Tag in einer persönlichen Erklärung.)

    PINOT GRIGIO: «Schon zehn Euro Erhöhung würden den Staat eine Milliarde kosten. Und man weiß dann auch nicht, wo das Geld hingeht. Zehn Euro sind ja auch zwei Schachteln Zigaretten, zweieinhalb Bier oder zwei Pinot Grigio. Also zwei Gläser Pinot Grigio. Denn eine Flasche, die nur fünf Euro kostet, würde ich nicht kaufen.» (Steinbrück nach Angaben der «Bild»-Zeitung» am 3.12.2012 bei einer Veranstaltung in Berlin mit Blick auf eine Kindergelderhöhung.)

    KANZLERGEHALT: «Nein. Dieses Gefühl gab es nie. Im Übrigen finde ich allerdings, dass manche Debatte über die Bezahlung unserer Abgeordneten bis hin zur Spitze der Bundesregierung sehr schief ist. Nahezu jeder Sparkassendirektor in Nordrhein-Westfalen verdient mehr als die Kanzlerin. Abgeordnete des Bundestags arbeiten fast sieben Tage die Woche, durchschnittlich zwölf bis 13 Stunden. Sie sind gemessen an ihrer Leistung nicht überbezahlt. Manche Debatte, die unsere Tugendwächter führen, ist grotesk und schadet dem politischen Engagement. (...) Ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin verdient in Deutschland zu wenig - gemessen an der Leistung, die sie oder er erbringen muss und im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten mit weit weniger Verantwortung und viel größerem Gehalt.» (Steinbrück am 30.12.2012 in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» auf die Frage, ob er sich als Abgeordneter unterbezahlt fühle und ob die Kanzlerin zu wenig verdiene.)

    CLOWNS IN ITALIEN: «Bis zu einem gewissen Grad bin ich entsetzt, dass zwei Clowns gewonnen haben.» (Steinbrück am 26.02.2012 bei einer «Klartext»-Veranstaltung in Potsdam zum Wahlausgang in Italien in Anspielung auf Silvio Berlusconi und den Berufskomiker Beppe Grillo.)

    UMGANG MIT RUSSLAND: «Zweifellos. Aber in bilateralen Gesprächen und nicht auf dem Marktplatz. Sonst verspielt man Zugänge, um praktische Fortschritte zu bewirken.» (Steinbrück in einem am 26. März 2013 veröffentlichten Zeit-Online-Interview auf die Frage, ob man die Russen nicht auf Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen hinweisen müsse. An dem Tag gab es Razzien bei deutschen Stiftungen in Russland, das Interview war aber bereits zuvor geführt worden.)

    GETRENNTER SPORTUNTERRICHT VON JUNGEN UND MÄDCHEN: «Wenn die Schulen es einrichten können, dann sollten sie es machen. Ich würde da Rücksicht nehmen auf religiöse Überzeugungen. Mir ist die Problematik aus den familiären Schilderungen meiner Frau sehr geläufig. Es läuft dann meistens darauf hinaus, dass die Eltern eines Mädchens islamischen Glaubens einfach eine Krankheitsmeldung machen, damit sie nicht teilnehmen muss. Eh das so gehandhabt wird, würde ich versuchen, Lösungen zu finden, um den religiösen Überzeugungen Rechnung zu tragen.» (Bei einer «Klartext»-Veranstaltung am 3. April 2013 im Berliner Tempodrom mit Blick auf die Forderung eines muslimischen Vaters, nach Geschlecht getrennten Schulsportunterricht anzubieten.)

    Eine Woche vor der Bundestagswahl 2013 posiert Peer Steinbrück auf dem Cover des SZ-Magazins - mit gerecktem Mittelfinger. Die eindeutige Geste ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. In den sozialen Netzwerken tauchen Bild-Montagen und Spott-Fotos auf. (dpa/AZ)

    Genau dies könnte zum Problem werden, schließlich galt der Mann, der heute den Kapitalismus bändigen will, vor gar nicht allzu langer Zeit, als derjenige, der allzu forsche Kapitalismuskritiker in der SPD zähmen wollte. Die Bundestagsfraktion der Union kritisierte das Programm, in dem soziale Fragen im Mittelpunkt stehen, als nicht zukunftsfähig. Noch nicht verraucht ist der Ärger in der SPD über eine Äußerung von Außenminister Guido Westerwelle. Der FDP-Politiker hatte den SPD-Wahlkampfslogan „Das Wir entscheidet“ mit DDR-Propaganda verglichen. Westerwelle habe „die Maske des Außenministers abgelegt“ und zeige wieder das Gesicht des FDP-Generalsekretärs, sagte Gabriel in Augsburg.

    Gewerkschafter Sommer lobt SPD als "Partei der kleinen Leute"

    Lob für die SPD-Programmatik gab es von Michael Sommer. Die SPD sei „wieder Partei der kleinen Leute“, lobte der erste Gewerkschaftler im Lande. Auch die Grünen reagierten angetan. Fraktionschef Trittin erkannte „viele Schnittstellen und Gemeinsamkeiten mit den Vorstellungen der Grünen“ im Wahlprogramm. Nicht wenige Sozialdemokraten dürften nun mit einer Mischung aus Hoffnung und Furcht auf die neuen Umfragen der Demoskopen warten. Ausschließen mag Falter fünf Monate vor der Bundestagswahl nicht, dass es eine Mehrheit für Rot-Grün geben könnte. Allerdings werde diese „aus heutiger Sicht nur schwer zu erreichen sein“. Das liegt aus Sicht Falters nicht zuletzt an der Bundeskanzlerin: „Merkel hat ein Potenzial, bei den Wählern zu punkten, das Steinbrück wohl kaum erreichen kann.“

    Die Frage wird sein, ob es dem Kandidaten gelingen wird, in der bürgerlichen Mitte mehr Resonanz zu finden. Die Erwartung, dass er dafür der richtige Mann sein könnte, war schließlich eines der Hauptargumente, mit Steinbrück in das Rennen zu gehen. Die SPD jedenfalls scheint seit Augsburg geschlossener hinter ihm zu stehen. (mit afp)

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