Wenn AKK vor Publikum spricht, nimmt sie ihre Armbanduhr ab. Das schlichte, silberfarbene Schmuckstück liegt dann auf dem Tisch. So hat sie die Zeiger immer im Blick. So weiß sie, wann ihre Zeit abgelaufen ist. AKK, so nennen die Saarländer ihre Ministerpräsidentin mit dem phonetisch anspruchsvollen Namen Annegret Kramp-Karrenbauer. Wie viel Zeit ihr im Amt noch bleibt, entscheidet sich am Sonntag. Doch nicht nur das. Glaubt man den Spitzenkandidaten aller Parteien, geht es bei dieser Landtagswahl nicht nur um die Frage, wer künftig in Saarbrücken regiert. Auf dem Spiel steht mehr. Viel mehr. Es geht um die Existenz des Saarlandes als Bundesland.
Annegret Kramp-Karrenbauer will keine "Lautsprecherin" sein
Theatralik gehört gewiss nicht zu den ausgeprägten Eigenschaften der Ministerpräsidentin. Sie will keine „Lautsprecherin“ sein. In ihrer sachlichen Art erinnert die 49-Jährige eher an die junge Angela Merkel, nur ohne Hosenanzug. Fragt man, ob das am Sonntag die letzte Landtagswahl im Saarland sein könnte, wird aber auch AKK pathetisch, für ihre Verhältnisse jedenfalls. „In den kommenden fünf Jahren wird sich entscheiden, ob wir auf Dauer eigenständig bleiben können“, sagt die CDU-Politikerin. Sie meint das ernst. Mehr als elf Milliarden Euro Verbindlichkeiten drücken das Land, das gerade mal ein Viertel der Größe des Regierungsbezirks Schwaben hat. 260 Millionen Euro erhält es jedes Jahr an Zuschüssen. Nur: Wie lange werden die anderen Länder noch dazu bereit sein?
Fragen wie diese hört Kramp-Karrenbauer in letzter Zeit öfter. Aus der Ruhe bringt sie das kaum. Ihre Hände liegen fast regungslos auf dem Tisch. Von Anspannung ist wenig zu sehen. Allenfalls unter der Tischplatte. Mit der Ferse schlüpft sie aus ihren schwarzen Pumps. Das macht sie gerne, wenn ihr ein Thema besonders wichtig ist. Vielleicht tun ihr aber auch nur die Füße weh. Denn AKK ist viel unterwegs in diesem Wahlkampf, der so spannend ist und zugleich so langweilig wie selten einer zuvor.
Langweilig deshalb, weil jeder weiß, wer die künftige Regierung bildet. CDU und SPD haben sich gleich nach dem Scheitern des schwarz-gelb-grünen Jamaika-Experiments auf eine Große Koalition festgelegt. Spannend deshalb, weil völlig offen ist, wer Regierungschef wird. Kramp-Karrenbauer und ihr sozialdemokratischer Konkurrent Heiko Maas liegen in Umfragen gleichauf bei 34 Prozent. Die Abstimmung wird so zur Direktwahl des Ministerpräsidenten.
Heiko Maas kandidiert schon zum dritten Mal
Heiko Maas kandidiert schon zum dritten Mal für dieses Amt. Ein Politikerleben lang wartet er darauf, dass seine große Zeit kommt. Als Triathlet weiß er, wie wichtig Ausdauer sein kann. Doch ihm ist auch klar: Das ist seine letzte Chance. Maas ist 45 Jahre alt. Er sitzt bald zwei Jahrzehnte im Landtag und wirkt mit seinem Zweitagebart, dem schicken Anzug und der nicht ganz so schicken Krawatte trotzdem immer noch wie ein BWL-Student – nur nicht ganz so locker vielleicht.
Der Herausforderer spricht leise, ein bisschen durch die Nase, sein Blick fixiert einen für den Gesprächspartner unsichtbaren Punkt, irgendwo an der Zimmerdecke. Wenn Maas die zerbrochene Koalition aus CDU, FDP und Grünen angreift, dann tut er das weniger leidenschaftlich als pflichtschuldig, mit den üblichen Floskeln aus dem Satzbausteine-Kasten für Politiker. „Chaoten-Truppe“ und so.
Er ist keiner, der auf den Putz haut. Wer ihn aus der Reserve locken will, muss einen wunden Punkt finden. Man könnte es mit einer kleinen Provokation versuchen, zum Beispiel mit der Theorie, das Saarland wäre besser dran, würde es nur endlich mit Rheinland-Pfalz fusionieren. Funktioniert. Maas wird beinahe laut, als er antwortet: „Ländergrenzen können nicht von Finanzbuchhaltern gezogen werden.“
Es folgt ein kurzer Ritt durch die Geschichte mit einer überraschenden Pointe: „Das Wirtschaftswunder nach dem Krieg, das haben wir dem Saarland zu verdanken.“ Eine gewagte These, die sich – aus dem Maas’schen Blickwinkel – allerdings lupenrein belegen lässt: Als einziges Bundesland hatte das Saarland vor dem Beitritt zur Bundesrepublik 1957 eine eigene Fußball-Nationalmannschaft. Diese habe dem deutschen Team im Qualifikationsspiel zur Weltmeisterschaft 1954 den Sieg überlassen, sagt Maas, und damit das spätere Wunder von Bern erst möglich gemacht. Und heute weiß doch jedes Kind: Ohne Wunder von Bern keine Euphorie und ohne Euphorie kein Wirtschaftswunder.
Nun muss man diese Anekdote nicht ganz so ernst nehmen. Über den Stolz der Saarländer auf ihre Heimat sagt sie gleichwohl einiges aus. Fusion mit Rheinland-Pfalz? Unverschämtheit!
Aber zurück zum smarten Herrn Maas. So kurz vor der Wahl scheint der zweifache Familienvater vor allem darauf bedacht zu sein, keine Fehler zu machen. Immer schön die Nerven behalten. Wirklich schwer fällt ihm das nicht. Es sei denn, die Sprache kommt auf den dritten ernst zu nehmenden politischen Akteur im Saarland: „de Oskar“. Noch so ein wunder Punkt.
Oskar Lafontaine war, damals noch als Sozialdemokrat, fast ein Jahrzehnt Oberbürgermeister von Saarbrücken und mehr als 13 Jahre saarländischer Ministerpräsident. Er hat Maas entdeckt und gefördert. Heute jedoch gehört Lafontaine als Spitzenkandidat der Linken zu den schärfsten Kritikern seines politischen Ziehsohnes, den er in der Öffentlichkeit gerne mal „Heikochen“ oder „meinen Lehrling“ nennt. Man duzt sich. Man demütigt sich.
Das kuriose Eigenleben des Oskar Lafontaines
Lafontaine führt in diesem Wahlkampf ein kurioses Eigenleben. Ohne Zweifel ist der „Napoleon von der Saar“ der Kandidat mit der größten Strahlkraft. Er zeigt jene Angriffslust, die Ecken und Kanten, die seinen Widersachern fehlen. Er genießt es, zu provozieren, und wenn dann „dem Heikochen“ oder „der Karrenbauer“ die Spucke weg bleibt, lehnt er sich zurück, trinkt einen Schluck Kaffee, legt den Kopf leicht schief und lächelt schelmisch.
„Lafo“ liebt es, CDU und SPD vorzurechnen, dass ihre Sparpläne hinten und vorne nicht reichen werden, um das Saarland zu sanieren, und dass die einzige Lösung eine „Millionärssteuer“ ist. Im Wahlkampf blüht er auf. Wenn „de Oskar“ mit seiner Freundin Sahra Wagenknecht durch Saarbrücken läuft – und das tut er oft in letzter Zeit –, dann drehen sich die Menschen um. Manche schütteln den Kopf, aber viele hören ihm immer noch zu.
Lafontaine weiß, dass seine beste Zeit hinter ihm liegt. Aber wenn Kramp-Karrenbauer und Maas ihn schon nicht mitspielen lassen, dann will er sie wenigstens noch ein bisschen ärgern. In einer Anzeigenkampagne hat er die Koalitionäre in spe als Hochzeitspaar abbilden lassen – mit der Botschaft: „... dann doch liewer de Oskar!“ Darauf angesprochen, nippt er noch mal am Kaffee, grinst noch frecher und sagt: „WIR haben wenigstens Humor.“ Den beweist er im Übrigen auch mit seiner Antwort auf das Gerede von einer Länderfusion: „Wir übernehmen die Pfalz gerne, solange Saarbrücken die Landeshauptstadt bleibt.“
Bei der Wahl vor zwei Jahren haben die Linken mit dem „Oskar-Bonus“ 21 Prozent geholt – ein schier unglaubliches Ergebnis für ein westdeutsches Bundesland. Aktuellen Umfragen zufolge können sie am Sonntag mit 16 Prozent der Stimmen rechnen – mehr als Piratenpartei, Grüne und FDP zusammen. Für ein rot-rotes Bündnis mit der SPD würde das locker reichen. Doch Maas will mit seinem Duz-Feind nichts mehr zu tun haben. Eine Koalition mit den Linken schloss er in den vergangenen Wochen gefühlte tausend Mal aus. Und wenn der Preis dafür heißt, dass er auch im dritten Anlauf nicht Ministerpräsident wird, dann ist das eben so.
Dass CDU und SPD andere Optionen als die Große Koalition gar nicht erst in Betracht ziehen, liegt eben nicht nur daran, dass „große Probleme große Lösungen“ erfordern (Maas) oder an der Schwäche der kleinen Parteien, die um den Einzug in den Landtag zittern. Es liegt auch an persönlichen Antipathien. Maas kann nicht mit Lafontaine. Und mit den Grünen will er auch nicht, weil die beim letzten Mal lieber in die Jamaika-Koalition gingen, als ihm ins Amt des Regierungschefs zu verhelfen.
Und AKK? Die Ministerpräsidentin ist ein hohes Risiko eingegangen, als sie ihrem natürlichen Partner, der sich selbst demontierenden FDP, im Januar den Stuhl vor die Tür gestellt hat: Machen die Saarländer die CDU am Sonntag nicht zur stärksten Kraft, ist die Zeit der Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer abgelaufen. Nach rekordverdächtig kurzen sieben Monaten. „Ach, von solchen persönlichen Befindlichkeiten muss man sich mal freimachen“, sagt sie. Vor ihr auf dem Tisch: eine schlichte, silberne Armbanduhr. Der Countdown läuft. Für AKK. Und für das Saarland.