Es ist ein seltsamer Wahlkampf. Die Niederlande befinden sich im strikten Lockdown: Geschäfte und Schulen sind seit Mitte Dezember geschlossen – und werden frühestens nach dem 8. Februar wieder öffnen dürfen. Vorausgesetzt, die Infektionszahlen sind bis dahin deutlich gesunken. Damit rechnet aber kaum jemand: In den Niederlanden wird die deutlich ansteckendere Virus-Mutation, die zuerst in Großbritannien aufgetreten war, immer öfter nachgewiesen. Das ist nicht nur der Hintergrund, sondern auch das Vorspiel der Parlamentswahl am 17. März.
Ministerpräsident Mark Rutte, 53, von der rechtsliberalen VVD strebt eine weitere Amtszeit an. Er regiert die gut 16 Millionen Einwohner des Oranje-Staates seit 2010 mit wechselnden Koalitionen. Derzeit führt er ein Mitte-Rechts-Bündnis aus vier Parteien, das politisch von den Christdemokraten der CDA bis zu den Linksliberalen der D66 reicht. Dazwischen bewegen sich Ruttes Rechtsliberale sowie der vierte Partner, die Christenunion. An weiteren vier Jahren an der Spitze des Landes gibt es wenig Zweifel.
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat sich das Image des Machers erarbeitet
Rutte selbst hat sich in der Coronavirus-Krise das Image eines Machers erarbeitet, die aktuellen Fehler werden weder ihm noch seiner Partei angelastet. Büßen muss vor allem Gesundheitsminister Hugo de Jonge, 43, aus den Reihen der CDA. Als in der EU die Impfungen am 27. Dezember begannen, zeigten sich die folgenschweren Konsequenzen seiner Fehleinschätzung. Unter de Jonge hatte das Land auf den falschen Impfstoff gesetzt und seine gesundheitspolitische Infrastruktur darauf ausgerichtet, dass der Hersteller AstraZeneca mit seinem leicht zu behandelnden Vakzin als Erstes zum Zuge kommen würde. Auf die Dosen des Konsortiums Biontech/Pfizer, für die eine lückenlose Kühlkette mit Temperaturen unter minus 70 Grad nötig gewesen wäre, war man nicht vorbereitet.
Während die Impfungen in der EU in Gang kamen, standen die Niederländer abseits. Der erste Piks konnte erst am Ende der ersten Januar-Woche gesetzt werden. Der Skandal beschäftigte das Land um den Jahreswechsel herum mit ungewohnter Heftigkeit. Dass es ausgerechnet Rutte war, der am Anfang der Krise die Risiken eher heruntergespielt hatte, schien jedoch kein Thema mehr.
Wahlen in den Neiderlanden: Rutte will Geert Wilders das Wasser abgraben
Inzwischen präsentiert sich der Premier sogar nach einem – zumindest im Wahlprogramm sichtbaren – Sinneswandel als Anwalt des kleinen Mannes. So spricht er sich neuerdings für Tariferhöhungen aus, die die Regierung durchsetzen könne. Zugleich plädiert er für eine starke Rolle des Staates, damit „wir uns beschützen und unsere Wirtschaft und Gesellschaft gerecht und gesund erhalten“, wie er im TV seinen Zusehern sagt. Es ist der Versuch, dem Mann das Wasser abzugraben, der vor Wahlen wieder und wieder an Boden gewinnt: Geert Wilders, 57.
Der früher wasserstoffblonde Chef der PVV (Partei für die Freiheit) wurde mit seiner „Ein-Mann-Partei“ bei der vorangegangenen Wahl zur zweitstärksten Kraft im Parlament, Umfragen sagen ihm einen ähnlichen Erfolg wieder voraus. „Die Niederlande gehört uns“, fordert er und lehnt sich an die Parolen der Brexiteers aus dem Vereinigten Königreich an.
Geert Wilkens: "Was die Briten können, können wir auch"
„Was die Briten können, können wir auch“, ist einer seiner häufig zitierten Sätze, mit denen er die Einwanderung stoppen und den Austritt aus der EU voranbringen will. Doch im politisch stark zersplitterten System der Niederlande sind seine Chancen auf Mehrheiten bestenfalls überschaubar. Deshalb bleibt wohl am Ende die Frage, auf wen sich ein Kabinett Rutte IV stützen könnte.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Wahlen in den Niederlanden: Mark Rutte - der Mann für alles
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