"Wir vertrauen ihm nicht mehr wie früher", sagt Antonina Arefjewa und fasst damit zusammen, was viele in St. Petersburg am Sonntag davon abhält, bei der Präsidentschaftswahl für Wladimir Putin zu stimmen. Der Rückhalt für den 59-Jährigen, gegen dessen Rückkehr in den Kreml sich im gesamten Land eine Protestbewegung formiert hat, bröckelte in den vergangenen Wochen selbst in dessen Heimatstadt. Umfragen sagten Putin für St. Petersburg sein wohl bisher schlechtestes Wahlergebnis voraus.
Putin wird wohl in den Kreml zurückkehren
Für die Museumsangestellte Arefjewa war der Urnengang am Sonntag eine Premiere. Erstmals seit der starke Mann Russlands das Zepter in der Hand hält, stimmte sie nicht für Putin. "Putin ist seit sehr langem an der Macht", sagt die 50-Jährige nach der Stimmabgabe. "Er hat kein Potenzial mehr als Staatschef." Dies sieht sie dagegen bei dem Milliardär Michail Prochorow, bei dem sie diesmal ihr Kreuz machte.
Putin wird zwar ohne Zweifel in den Kreml zurückkehren. Doch als Erfolg dürfte er gerade das Ergebnis in seiner Heimatstadt wohl nicht verbuchen. Noch bei seiner ersten Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2000 fuhr er in St. Petersburg mit 62 Prozent der Stimmen ein Ergebnis ein, das fast zehn Prozentpunkte über seinem landesweiten Abschneiden lag. Diesmal standen die Vorzeichen fast umgekehrt. Während Putin in Umfragen landesweit auf 60 Prozent der Stimmen kam, kündigte sein Wahlkampfmanager für St. Petersburg, Wladimir Litwinenko, vor der Abstimmung an, alles zu tun, damit Putin über 50 Prozent komme.
Von Putins Aufsteig hat St. Petersburg kaum profitiert
Putin - Der Kämpfer
Wladimir Putin kam 1952 in Leningrad zur Welt. Die Arbeiterfamilie lebte in einer 20-Quadratmeter-Wohnung.
Der kleine Wladimir prügelte sich oft mit Gleichaltrigen. Heute beherrscht er Boxen, Sambo und Judo.
Nach der Schule studierte er Jura.
Von 1975 bis 1982 war Putin Offizier des weißrussischen Geheimdienstes.
1999 ernannte Jelzin Putin zum Ministerpräsidenten. Als Jelzin im Dezember überraschend sein Amt niederlegte, übernahm Putin die Geschäfte des Präsidenten.
2000 wurde er zum russischen Präsident gewählt. Nach zwei Amtszeiten gab er 2008 den Posten an Freund Dmitri Medwedew ab.
Im März 2012 wurde Putin erneut Präsident.
Am Vortag der Wahl fand eine Massenkundgebung gegen Putin statt, bei der es zu blutigen Ausschreitungen kam.
Kritiker bringen Putin mit Korruption, Justizwillkür und Menschenrechtsverletzungen in Verbindung.
Auch von Gefolgsleuten wird ihm vorgeworfen, er sei beratungsresistent.
Die Enttäuschung über Putin ist in St. Petersburg groß. Vom Aufstieg des ehemaligen KGB-Agenten aus der dortigen Stadtverwaltung an die Spitze des Staates hat die Metropole kaum profitiert. Viele historische Gebäude, die zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören, warten seit langem auf eine Restaurierung. Zudem müssten die Straßen, die Wasserversorgung und das Stromnetz dringend auf Vordermann gebracht werden. Darüber hinaus prangern auch in St. Petersburg die Bürger die Tatenlosigkeit der Behörden an - beispielsweise wenn es darum geht zu verhindern, dass Menschen von herunterfallenden Eiszapfen erschlagen werden.
Auch in St. Petersburg gingen in den vergangenen Wochen tausende Demonstranten gegen Putin und seine erneute Präsidentschaftskandidatur auf die Straße. Die Teilnehmerzahlen lagen mit bis zu 10.000 Menschen deutlich unter denen, die in Moskau protestierten. Dennoch waren die Demonstrationen die größten seit einem Jahrzehnt in St. Petersburg.
"Keine Lust auf ein totalitäres Regime"
"Wir haben genug von Putin", sagt der 30-jährige Anton Krassowski. "Ich habe nicht für Putin gestimmt, weil ich keine Lust habe, in einem totalitären Regime zu leben", ergänzt seine Frau Maria. Der 59-Jährige herrsche schon viel zu lang über das Land.
"Was mich stört, ist, dass man keine echte Wahl hat - der Eindruck, dass ein Schauspiel aufgeführt wird", kommentiert Michail Kartatschow den von langer Hand vorbereiteten Ämtertausch zwischen Putin und dem Noch-Präsidenten Dmitri Medwedew. Dennoch habe er für den 59-Jährigen gestimmt. "Das ist meiner Meinung nach das geringere Übel", sagt der Ingenieur. "Er ist sympathisch, hat einen guten Sinn für Humor und auch einen Ruf als starker Mann im Ausland. Das gefällt mir." afp