Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Da es in Israel keine Briefwahl gibt, haben die Behörden in den Corona-Stationen der Krankenhäuser notgedrungen Wahllokale eingerichtet, für positiv Getestete und Menschen in Quarantäne steht ein kostenloser Shuttle-Service bereit – und gerade noch rechtzeitig vor der Wahl an diesem Dienstag ist auch der Flughafen in Tel Aviv wieder offen. Israelis, die im Ausland leben und wählen wollen, müssen schließlich auch ins Land kommen können.
Politisch ist der Ausgang der vierten Wahl innerhalb von zwei Jahren so ungewiss wie der der drei vorherigen. Die konservative Likud-Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verliert in den Umfragen zwar, liegt aber noch weit vor den anderen Parteien. Ob „Bibi“, wie die Israelis ihren Regierungschef nennen, auch eine stabile Regierung bilden kann, ist trotzdem ungewiss. Die zersplitterte Parteienlandschaft macht das Bilden von Koalitionen in Israel ohnehin schwer, diesmal aber kommen noch persönliche Animositäten dazu. Unter anderem wildert der frühere Innenminister Gideon Saar, der den Likud im Streit verlassen und einige Abgeordnete zu seiner eilig gegründeten Partei „Neue Hoffnung“ mitgenommen hat, im Netanjahu-Lager um Stimmen.
Benjamin Netanjahu - der Architekt des Impfwunders in Israel?
In den letzten Umfragen allerdings hat Saar noch deutlicher an Boden gegenüber dem Ministerpräsidenten verloren als Oppositionsführer Jair Lapid oder die siedlerfreundliche Yamina-Partei des einstigen Verteidigungsministers Naftali Bennett. Netanjahu dagegen setzt sich geschickt als Vater des israelischen Impfwunders und als Architekt einer neuen Ordnung im Nahen Osten in Szene, die seine Regierung durch die Aussöhnung mit einer Reihe von arabischen Staaten geschmiedet hat. Seine Allianz aus konservativen und religiösen Parteien käme im Moment auf 59 Sitze in der Knesset - für eine Regierungsmehrheit würden dem 71-jährigen damit nur zwei Mandate fehlen. Trotz des gegen ihn laufendes Korruptionsverfahrens erreicht keiner seiner Herausforderer bisher auch nur annähernd solche Werte.
Der letzte, dem das gelang, war der frühere Generalstabschef Benjamin Gantz mit seinem Mitte-Rechts-Pakt „Blau-Weiß.“ Nach der Wahl im März vergangenen Jahres hatte er mit Netanjahu eine Koalition ausgehandelt, in der er selbst zur Mitte der Wahlperiode neuer Ministerpräsident hätte werden sollen, die nach wenigen Monaten aber schon an einem heftigen Streit über die Staatsfinanzen und die Finanzierung der Corona-Hilfen zerbrach. Heute rangiert die Gantz-Partei in den Prognosen der Wahlforscher nur noch unter „ferner liefen.“
Auch eine Korruptionsaffäre bremst Netanjahu nicht
Die Situation ist paradox: Obwohl die konservativen und ultra-rechten Parteien in Israel ein klares Übergewicht haben, bringen sie keine stabile Regierungsmehrheit zustande. Saar zum Beispiel will auf keinen Fall mit Netanjahu koalieren, was weniger an den fehlenden politischen Gemeinsamkeiten liegt als an ihrem zerrütteten persönlichen Verhältnis: 2019 wollte Saar Netanjahu von der Spitze des Likud verdrängen, scheiterte aber spektakulär.
Der Ministerpräsident wiederum war bisher stets ausgebufft genug, um auch gegen großen Widerstände noch Mehrheiten für sich zu organisieren. Politisch erledigt, wie seine Gegner nach dem Beginn der Korruptionsermittlungen schon unkten, ist Benjamin Netanjahu jedenfalls noch nicht. Er sei der einzige, hat er gerade erst in einem Fernsehinterview gesagt, der dieses Land führen könne. Da staunte auch die sonst eher zurückhaltende Jüdische Allgemeine: „Egal wie scharf die Kritik seiner Widersacher ausfällt, egal, wie viele Prozesse gegen ihn geführt werden - der 71-Jährige scheint alles abzuschütteln.“
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