Es muss doch irgendwann einmal zu Ende sein! Irgendwann ist auch die letzte Kugel bei der schier endlosen Auslosung für die Fußball-WM aufgeschraubt, ja sogar die Punkteverteilung beim Eurovision-Songcontest führt letztlich zu einem Ergebnis. Und tatsächlich, am heutigen Samstag, 18 Uhr, soll feststehen, welches Duo die SPD in Zukunft führt – lässt man mal die endgültige Bestätigung durch den Bundesparteitag Ende kommender Woche unter den Tisch fallen. Doch gleich, ob das leicht favorisierte Duo Geywitz/Scholz oder das Gespann Esken/Walter-Borjans die Gunst der Basis findet: Die SPD hofft, ja sie muss hoffen, dass das Ende der quälend langatmigen Kandidatenkür für die Partei einen Neuanfang markiert. Misslingt der Start, droht die Sozialdemokratie – zumindest in ihrer organisierten Form – ins politische Nirwana abzugleiten.
Suche nach SPD-Chefs: Bei den Kandidaten und in der Partei wuchs die Gereiztheit
Dementsprechend war in den letzten Tagen eine etwas aufgekratzte Gereiztheit bei den Kandidaten, aber auch in der Partei zu spüren. Die SPD-Mitglieder hatten bis Freitag, 24 Uhr, tatsächlich eine echte Wahl: Die Unterschiede zwischen dem Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz und seiner Partnerin Klara Geywitz auf der einen sowie Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken auf der anderen Seite sind deutlich.
Brisant an dieser Situation ist, dass die Gewinner des Votums unmittelbar an einer politischen Weggabelung stehen: Weiter regieren in der Großen Koalition oder auf Konfrontation zur Union gehen und so das Ende der schwierigen Partnerschaft einläuten? Für diese Strategie stehen Esken und Walter-Borjans, die angekündigt haben, CDU/CSU mit knallharten Forderungen zu drangsalieren: Da geht es um Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur, ohne Rücksicht auf die Schwarze Null, oder um die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Sollte die Union sich weigern, diese Vorhaben mitzutragen – womit zu rechnen ist – hat das Duo einen „geordneten Rückzug“ aus der GroKo angekündigt. Was „geordnet“ in der Praxis heißen würde, ist eine interessante Frage.
Von einem Ausstieg aus der Koalition ist beim trocken-hanseatischen Machtpolitiker Scholz und seiner ebenfalls pragmatischen Partnerin Geywitz nicht die Rede. Nimmermüde betonen sie, dass die Koalition solide arbeite und die SPD-Minister im Kabinett viele ihrer Punkte durchgesetzt hätten. Natürlich weiß Olaf Scholz genau, dass diese Haltung in seiner Partei unter keinen Umständen als schnödes „weiter so“ ankommen darf. Denn das hieße dem Trend folgend, dass die SPD weiter Schritt für Schritt verschwindet. Die Serie der krachenden Wahlniederlagen ist mittlerweile so lang, dass sogar in Teilen der Union so etwas wie Unbehagen, ja fast Mitleid aufkommt – Höchststrafe für jeden Sozialdemokraten.
Wahl zum SPD-Chef: Die Herausforderungen für die Doppelspitze sind gewaltig
Wie auch immer die Sache ausgeht. Der Herausforderungen für die neue Doppelspitze sind gewaltig. Zunächst ist es eine Gratwanderung, klare neue Akzente zu setzen, ohne den ohnehin schon brüchigen Parteifrieden zu gefährden. Ganz nebenbei soll neue Begeisterung und Aufbraustimmen erzeugt werden. Doch wie? Alleine auf das alte Rezept Umverteilung zu setzen, wird die SPD kaum retten. Das Thema soziale Gerechtigkeit ist fast der letzte Bereich, in dem die Deutschen der Partei mehr Kompetenz zutrauen als der Konkurrenz.
Erfolg hatten die Sozialdemokraten in der Vergangenheit immer dann, wenn die Wähler ihnen auch wirtschaftliche Expertise zutrauten. Kanzler Willy Brand hatte seinen hochgeachteten Wirtschaftsexperten Karl Schiller, sein Nachfolger Helmut Schmidt stand als Person für ökonomsches Fachwissen und der bisweilen raubauzige „Genosse der Bosse“, Gerhard Schröder, stieß als Kanzler weitreichende Wirtschaftsreformen an.
Die Annäherung an Thesen der Linkspartei bringt die SPD nicht weiter
Was bedeutet das auf die heutige Zeit übertragen? Wenn die SPD aus dem Dauertief herausfinden soll, muss sie als Partei wahrgenommen werden, die in der Lage ist, Globalisierung, ökonomische Konkurrenzfähigkeit glaubhaft zusammenzubringen mit sozialer Gerechtigkeit. Das wird kaum gelingen, wenn sie sich den Thesen der Linkspartei annähert. Warum es der Partei helfen könnte, die GroKo vorzeitig zu verlassen, ist unklar. Die Befürworter eines solchen Schrittes führen an, dass sich die waidwunde Partei dann Zeit nehmen könnte, ohne den Druck des Regierenmüssens über ihre Zukunft zu debattieren. Im Falle der SPD kann dies leicht in eine dauerhafte Selbstbespiegelung nebst Flügelkämpfen münden.
Dazu passt der Vorschlag von Norbert Walter-Borjans, doch gleich darauf zu verzichten, einen SPD-Kanzlerkandidaten aufzustellen. Der Verlust an öffentlicher Wahrnehmung, der damit einhergehen würde, wird offensichtlich achselzuckend gerne in Kauf genommen.
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